Europäische Spitzenförderung für Rubén Fernández Busnadiego
03.02.2023 - Der Experte für Kryo-Elektronenmikroskopie an der Universitätsmedizin Göttingen erhält Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats zur Erforschung der Membranarchitektur von Nervenzellen und deren pathologischen Veränderungen bei Axonopathien.
Prof. Dr. Rubén Fernández Busnadiego vom Institut für Neuropathologie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Mitglied im Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) hat einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Der ERC fördert sein Forschungsvorhaben „In situ structural basis of human axonopathies“ zur Entschlüsselung der strukturellen Grundlagen menschlicher Axonopathien („cryoNERVE“) für fünf Jahre mit insgesamt rund 2 Millionen Euro. Ziel des Forschungsvorhabens ist es, das Potenzial der Kryo-Elektronentomographie (Kryo-ET) so zu erweitern, um natives Nervengewebe in noch nie dagewesener Auflösung abbilden zu können. Dies ist erforderlich, um die Prozesse im Detail zu analysieren, die zur Entstehung menschlicher Axonopathien, wie die hereditäre spastische Paraplegie (HSP) und die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit (CMT), führen.
„Das Projekt „cryoNERVE“ wird eine ganzheitliche molekulare und strukturelle Grundlage für menschliche Axonopathien, wie HSP und CMT, liefern. Wir ebnen den Weg für hochauflösende Analysen von nativem menschlichem Gewebe und erkunden das Potenzial der Kryo-ET als diagnostisches Instrument mit nanometrischer Präzision“, sagt Prof. Fernández Busnadiego.
Neurologische Erkrankungen stellen eine große gesundheitliche Belastung dar und ursächliche Behandlungen sind kaum vorhanden. Nervenzellen (Neurone) stehen vor der großen Herausforderung, ihr ganzes Leben lang funktionsfähig bleiben zu müssen. Ihre langen Nervenfortsätze, die Axone, in denen eine Vielzahl biosynthetischer Aktivitäten stattfindet, sind aufgrund der Entfernung vom Zellkörper besonders anfällig gegenüber Beschädigung oder Zerstörung. Dies gilt insbesondere für die bis zu einem Meter langen Axone von motorischen und sensorischen Nervenzellen. Völliger oder teilweiser Funktionsverlust von Axonen führt zur Entstehung von Erkrankungen, die als Axonopathien bezeichnet werden. Bei einigen Formen dieser Erkrankungen sind die Myelinscheiden, die es den Axonen ermöglichen, Reize in Form von Aktionspotentialen über ansonsten unüberwindbare Distanzen zu übertragen, geschädigt oder zerstört.
Hauptursache für vererbte, familiäre Axonopathien, wie HSP und CMT, sind Mutationen in Genen, die für membranbildende Proteine kodieren. Mit bisher verfügbaren Techniken ist es aufgrund der geringen Auflösung nicht möglich, die Funktionen dieser Proteine und ihre pathologische Fehlfunktion in natürlichen Nerven zu bestimmen. Zudem lassen sich die hochspezialisierte Architektur der Axone und ihr empfindliches Zusammenspiel mit den umgebenden Gliazellen nur in der natürlichen Umgebung (in situ) untersuchen.
Projekt „cryoNERVE“
Das „cryoNERVE“ Projekt beruht auf der Annahme, dass die Gesundheit und Funktion der Axone entscheidend durch die Struktur und Form ihrer Membran (Membranmorphologie) bestimmt wird. „Die Weiterentwicklung von Methoden für die Kryo-Elektronentomographie wird es uns ermöglichen, natives Nervengewebe mit einer noch nie dagewesenen Auflösung abzubilden. Dies ist wichtig, um zu verstehen, wie zelluläre Funktionseinheiten funktionieren und reguliert werden und wie ihre Fehlfunktionen zu Krankheiten führen“, sagt Prof. Fernández Busnadiego“.
Der Göttinger Experte für Kryo-Elektronenmikroskopie konnte bereits zeigen, dass die Kryo-ET eine leistungsstarke Methode ist, um die strukturellen Grundlagen von neuronalen Funktionen und Krankheiten in intakten Zellen aufzudecken. Die Darstellung von Geweben mit Hilfe von Kryo-ET-Bildgebung stellt jedoch weiterhin noch eine große Herausforderung dar. Im Rahmen des „cryoNERVE“ Projekts wollen Fernández Busnadiego und sein Team Arbeitsabläufe für die Kryo-ET entwickeln, die es erlauben, natives Nervengewebe von Mäusen und Fruchtfliegen in bisher unerreichter Auflösung darzustellen und detailliert zu untersuchen.
„Wir werden so die Grundlagen schaffen, um die Funktion von Proteinen in ihrer physiologischen Umgebung untersuchen zu können, die bedeutsam für die HSP- und CMT-Erkrankung sind“, sagt Prof. Fernández Busnadiego. „Unser Ziel ist es, Antworten auf zentrale Fragen zu bekommen: Wie formen diese Proteine axonale Organellen und wie kommunizieren sie miteinander? Wie ist die molekulare Architektur von Myelinscheiden? Welches sind die Kommunikationsmechanismen zwischen Nerven- und Gliazellen? Auch wollen wir die Veränderungen genauer analysieren, die durch die Axonopathien-verursachenden Mutanten hervorgerufen werden, um unser molekulares Verständnis dieser Erkrankungen zu vertiefen“, so Prof. Fernández Busnadiego.
Zudem plant Fernández Busnadiego mit seinem Team, die ersten Kryo-ET-Analysen von menschlichem Gewebe durchzuführen, dass zuvor durch Schock-frosten in einem glasähnlichen Zustand konserviert wurde (Vitrifizierung). Mit bisher verfügbaren Methoden können Gewebeproben peripherer Nerven von Axonopathie-Patient*innen oft nicht diagnostiziert werden. Mit Hilfe der weiterentwickelten Kryo-ET-Analyse sollen die Gewebeproben von Patient*innen in molekularer Auflösung untersucht werden. Erkenntnisse aus Untersuchungen an Fliegen und Mäusen werden dabei genutzt, um bisher verborgene pathologische Anomalien aufzudecken.
Prof. Dr. Rubén Fernández Busnadiego ist Experte auf dem Gebiet der biomedizinischen Kryo-Elektronenmikroskopie, mit der er die molekulare Architektur von Nervenzellen (Neuronen) erforscht. Nach Forschungsaufenthalten an der Yale University und am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried wurde er im Jahr 2019 im Rahmen des MBExC als Professor für Strukturelle Zellbiologie an die Universitätsmedizin Göttingen berufen. Innerhalb des Exzellenzclusters trägt er mit seiner skalenübergreifenden Bildgebung dazu bei, die Grenze zwischen Struktur- und Zellbiologie zu überwinden. Seine Forschung stützt sich auf ein Instrumentarium für Kryo-Elektronenmikroskopie/-tomographie. Die Beschaffung der Mikroskope und der erforderliche Umbau der Räumlichkeiten wurden von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bund beziehungsweise dem Land Niedersachsen getragen.
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