IT & Kommunikation

FAU-Wissenschaftler über praktischen Nutzen der Medizininformatik-Initiative

14.02.2023 - Wer in einem Krankenhaus behandelt wird, kann selbst anderen helfen: und zwar mit einer Spende von Gesundheitsdaten für die Forschung.

Bereits seit 2018 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Medizininformatik-Initiative (MII), um das Potenzial dieses Datenschatzes zum Wohle aller Menschen in Deutschland zu nutzen. Maßgebliche Forschungspartner sind dabei die FAU und das Uniklinikum Erlangen. Nun bekommt die Initiative insgesamt weitere 200 Millionen Euro.

 

Wie die Arbeit der Initiative aussieht, welchen Nutzen sie Patienten bietet und wie dafür gesorgt wird, dass die Daten sicher sind, erläutern Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch und Prof. Dr. Thomas Ganslandt, beide Lehrstuhl für Medizinische Informatik, im Interview.

M&K: Was sind die Ziele der Initiative in den kommenden vier Jahren?

Prof. Prokosch: Neben dem weiteren Ausbau der Infrastrukturen zur Datenintegration an allen deutschen Universitätskliniken und einem zentralen deutschen Forschungsdatenportal werden insgesamt elf neue Anwendungsfälle zur Nutzung der Daten gefördert. An sieben davon ist Erlangen beteiligt. Außerdem sollen auch Kliniken außerhalb der Universitätsmedizin und in einigen der Projekte auch niedergelassene Praxen in die MII integriert werden.

Die Basis dafür bilden die Datenintegrationszentren (DIZ), die in den vergangenen fünf Jahren an den Universitätskliniken aufgebaut wurden. Sie sammeln und speichern die Daten von Patienten, die bei ihnen ambulant oder stationär behandelt wurden. Diese neue Infrastruktur ermöglicht es, Daten zwischen der Patientenversorgung und der Forschung auszutauschen.

Prof. Ganslandt: Unter den jetzt geförderten Anwendungsfällen sind drei, die eher technisch beziehungsweise methodisch orientiert sind. Die restlichen sieben haben hingegen bestimmte Erkrankungen im Fokus, bei denen es um einen konkreten Patientennutzen geht.

Ein großes Projekt, an dem wir beteiligt sind, ist PM4Onco. Dabei geht es um personalisierte Medizin in der Onkologie, um Krebskranken die bestmögliche individuell angepasste Therapie zu bieten. Das Besondere ist, dass wir alle Datenquellen zusammenbringen, z.B. aus der genetischen Diagnostik, aus der ganz normalen Tumordokumentation, aus der Vorgeschichte der Patienten und auch aus dem Verlauf der Erkrankung nach der Therapie, um den vollständigen Krankheitsverlauf für die Forschung nutzbar zu machen.

Die Patienten können zudem mit einer App ihren Gesundheitszustand dokumentieren, welche Therapiemaßnahmen durchgeführt wurden oder wie sie sich fühlen. Wir beziehen alle Informationen mit ein und können den Patienten auch Informationen zurückspielen. Mit einer grafischen Aufbereitung können sie beispielsweise sehen, wo sie sich in ihrem Therapieverlauf befinden.

Das hat also einen Nutzen für den Einzelnen beziehungsweise die Einzelne?

Prof. Ganslandt: Ja, wir wollen Patienten stärker in die Projekte involvieren.Bei anderen Anwendungsfällen wie InterPOLAR steht die Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Vordergrund, in diesem Fall die Vermeidung von Medikationsfehlern. Hier werden die Daten von Patienten untersucht, die viele Medikamente gleichzeitig einnehmen. Wir wollen herausfinden, bei welchen Personen das höchste Risiko für das Auftreten unerwünschter Wechselwirkungen besteht und sich daher im Krankenhaus ein Stationsapotheker beziehungsweise eine Stationsapothekerin die Verschreibungen genau ansehen sollte.

Dafür müssen die Daten verschiedener Kliniken vereinheitlicht sein. Wie steht es darum?

Prof. Ganslandt: Hier zeigt sich die Leistung der letzten Förderphase: Am Ausgangspunkt vor fünf Jahren saß jede der einzelnen Unikliniken – bildlich gesprochen – auf einem riesigen Topf von Daten. Viele davon werden dauerhaft gespeichert, etwa aus rechtlichen Gründen. Die meisten Daten wurden in der Vergangenheit jedoch nicht nachgenutzt. Uns ist es gelungen, quer über alle 34 Unikliniken in Deutschland eine aktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu etablieren und uns auf Formate und Datenstrukturen zu einigen, die auch international anschlussfähig sind.

Diese vereinheitlichten Daten stehen jetzt in der Breite erstmals in Deutschland für die Forschung zur Verfügung.

Da kommen wir gleich zu einer weiteren Herausforderung, zu den Risiken, die die Verfügbarkeit einer derart großen Datenmenge birgt, zum Beispiel eine missbräuchliche Nutzung. Frühzeitig haben wir uns entschieden, dass die Daten an den einzelnen Kliniken verbleiben. Es gibt also keinen „Riesendatentopf“, in den alle ihre Daten reinkopieren. Jede Uniklinik lässt ihre Daten hinter ihren Mauern, ihren Firewalls.

In den Datenintegrationszentren, kurz DIZ?

Prof. Ganslandt: Ja, in den Datenintegrationszentren. Die Daten sind dort genauso gut geschützt wie in den normalen Informationssystemen der Krankenhäuser. Es gibt verschiedene Maßnahmen, um diesen Schutz weiter zu verbessern. Eine davon ist die Pseudonymisierung: Die Daten können nicht mehr ohne Weiteres Personen zugeordnet werden. An den Unikliniken sind hierzu Treuhandstellen aufgebaut worden, die die Pseudonymisierung vornehmen. Nur sie können die Daten wieder zuordnen. Die DIZ müssen immer die Treuhandstellen fragen, falls eine Zuordnung nötig ist.

Also sind beide Systeme zur Sicherheit der Patientendaten tatsächlich voneinander getrennt?

Prof. Prokosch: Sie sind nicht nur technisch voneinander getrennt, sondern auch organisatorisch. Die Treuhandstelle ist unmittelbar dem Klinikumsvorstand zugeordnet, das DIZ steht unter Leitung der IT-Abteilung.

Die Patienten werden in den jeweiligen Kliniken gefragt, ob sie der Nutzung ihrer Daten zustimmen?

Prof. Prokosch: Ja, wir bitten die Patienten im Rahmen der Aufnahmeprozesse oder kurz danach, eine Einwilligung zu unterschreiben. Natürlich ist diese Einwilligung freiwillig. Im Unterschied zur Einwilligung für die Nutzung der Daten bei Klinischen Studien, bei denen die Forschenden genau beschreiben können, wofür sie die Daten nutzen, ist es bei der Erhebung von Krankenhaus-Routinedaten anfangs noch nicht klar, für welche Forschungsfragen und Projekte die Daten am Ende genutzt werden. Die Einwilligung für Klinische Studien wird deshalb Informed Consent genannt, die breite Zustimmung für die Datennutzung zu Forschungszwecken Broad Consent.

Eine der großen Leistungen der MII war, einen Mustertext zu entwickeln, der einen solchen Broad Consent als Patienteninformation gut und laienverständlich einschließlich der zugehörigen Einwilligungsformulare beschreibt. Wir mussten den Broad Consent deutschlandweit übergreifend mit allen vier Konsortien der MII, mit allen 16 Landesdatenschützern, mit den Bundesdatenschützern und mit dem Arbeitskreis der Deutschen Ethikkommissionen abstimmen. Das war ein ungefähr 2,5 Jahre dauernder Prozess.

Ein Patient kann der Datennutzung auch in Teilen zustimmen?

Prof. Prokosch: Richtig. Es gibt vier Module in der Einwilligungserklärung. Die Patienten können hier wählen, welche Daten von ihnen für die Forschung genutzt werden dürfen:

  • In Modul 1 können sie ihre Einwilligung für die Verwendung der Daten geben, die während ihres Krankenhausaufenthalts erhoben werden.
  • Mit Modul 2 können sie die Zustimmung erteilen, dass Bioproben, z.B. Urin oder Gewebe, die bei Untersuchungen entnommen werden, ebenfalls für zukünftige Forschungsprojekte verwendet werden dürfen.
  • Modul 3 deckt die Nutzung der Daten ab, die außerhalb von ambulanten und stationären Aufenthalten im Uniklinikum erhoben werden, z.B. in anderen Krankenhäusern und insbesondere in ärztlichen Praxen. Denn diese Informationen fehlen uns im Verlauf der Patientengeschichte.
  • Im Modul 4 fragen wir die Patienten, ob sie einverstanden sind, für neue Forschungsprojekte wieder kontaktiert zu werden.

Durch die Datenerhebung zu Forschungszwecken lassen sich auch Patienten herausfiltern, die für die Teilnahme an einer klinischen Studie infrage kommen. Damit entsteht für diesen Personenkreis ein praktischer Nutzen.

Prof. Prokosch: Ganz genau. Anhand der Daten und einem automatisierten Abgleich, der die Ein- und Ausschlusskriterien einer klinischen Studie umfasst, können wir feststellen, welche Patienten für eine Teilnahme infrage kommen und sie anfragen, ob sie teilnehmen wollen. Durch die Automatisierung werden auch Personen in die Anfrage eingeschlossen, die ansonsten womöglich übersehen und nicht über die jeweilige Studie informiert worden wären.

Wie können Forschende bei den riesigen Datenmengen nach bestimmten Parametern suchen?

Prof. Prokosch: Dafür haben wir das Forschungsdatenportal für Gesundheit entwickelt. Die Entwicklung davon ist von Erlangen aus mit koordiniert worden und wird nun ausgebaut.

Forschende können über dieses Portal den Zugang zu Daten und Bioproben beantragen. Patienten wiederum erhalten hier einen Überblick über die laufenden Forschungsprojekte.

Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an der MII?

Prof. Prokosch: Es handelt sich um eine langfristig angelegte Maßnahme des BMBF. Wir erleben erstmalig, dass alle 34 deutsche Universitätskliniken in diesem Bereich sehr eng zusammenarbeiten. Die übergreifende Nutzung und Harmonisierung der Daten, der Broad Consent und das Forschungsportal – all das ist erst durch die gemeinsame Arbeit in den vergangenen fünf Jahren entstanden. Das ist für Deutschland ein absolutes Novum. Wir hier in Erlangen können unter anderem stolz darauf sein, dass wir die Entwicklung des Forschungsdatenportals vorwärtsgetrieben haben und weiterhin koordinieren. Und dass wir an sieben der insgesamt elf nun entwickelten Anwendungsfälle beteiligt sind.

Prof. Ganslandt: Wir schaffen Grundlagen dafür, alte Denkweisen und alte Arbeitsmuster aufzubrechen. So trägt die MII auch zu einer digitalen Transformation des Gesundheitswesens bei. Durch die Harmonisierung zwischen den Standorten und dadurch, dass die Daten strukturiert untereinander geteilt und damit austauschbar werden, schaffen wir die Grundlage, die Digitalisierung wirklich zu nutzen.

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