Frischluft hilft!
Zur Bedeutung der Gebäude- und Klimatechnik beim Bauen für die Pflege
Auf der am 15. April 2021 in Hamburg von Heuer Dialog durchgeführten Veranstaltung wurden Erfahrungen aus der Praxis sowie Thesen zur Architektur der Zukunft unter aktuellen Hygieneanforderungen diskutiert. Christoph Metzger, Open Mainded Projektentwicklung AG, Frankfurt am Main, stellte im Panel sein Thesenpapier „Wohnen im Alter – Betreuungs- und Wohnkonzepte neu denken“ vor. Die Gesprächsleitung hatte der Berliner Architekten Jörn Pötting, prominenter Gesprächspartner vor Ort war Volker Feldkamp, Emvia Living. Im Festsaal des Millerntor-Stadions wurde live diskutiert, die Hybrid-Veranstaltung bundesweit ausgestrahlt.
Forderungen an Qualität der Architektur, multisensorische Räume, Bewegung und Begegnung, gute Ernährung ermöglichen in Summe eine stabile Gesundheit bis ins hohe Alter. Mehr denn je gilt: Nur gute, sensorisch attraktive Räume ermöglichen auch eine gute Pflege. Gute Räume bieten Personal und Bewohnern eine gesunde Atmosphäre, reduzieren Be-lastungen täglicher Abläufe. Auch die personelle Ausstattung mit einheitlichen Personalschlüsseln gewinnen an Bedeutung, wenn es gilt, Formen des Wohnens mit Betreuung in Kleingruppen an der Grenze zwischen stationären und ambulanten Wohnformen neu aufzustellen. Architektonische Voraussetzungen, am Bedarf der Bewohner ausgerichtet, müssen zuvor erfasst werden und in die Planung einfließen.
Neben allgemeinen Forderungen, die sich auf Umgebungen und den mentalen Zustand des Menschen beziehen, rückt die Lüftungs- und Klimatechnik, in den Fokus, deren Leistungsfähigkeit über Möglichkeiten des Zusammentreffens von Menschen entscheidet. Genehmigungen öffentlicher Veranstaltungen, Zugang zu Bildungseinrichtungen sowie Besuchsreglungen von Gesundheits- und Alteneinrichtungen sind gleichermaßen von den Systemen abhängig.
I.
Es zeichnen sich Forderungen an die Gebäudetechnik ab, die viele Jahre nach dem Ende der Pandemie alle am gesellschaftlichen Prozess beteiligten Gruppen beschäftigen werden. Nicht auszuschließen, dass durch die zunehmend präzisere Messtechnik und damit mögliche Erfassung der Daten auch Forderungen an den Gesetzgeber formuliert werden, die, die Qualität der Luft zum Atmen in klaren Parametern erfassen. So wie Richtgrößen etwa im Bereich der Schulen gelten, die bei weitem aber nicht flächendeckend umgesetzt werden, so werden auch Regelwerke zu Alteneinrichtungen in den nächsten Jahren entwickelt werden.
Damit werden sicher auch Anforderungen von Außenbereichen in Innenräume übertragen – wie dies etwa mit den Abgasnormen in Europa seit den 1970er Jahren zu beobachten ist, wo Emissionen des Straßenverkehrs und Industrieanlagen durch Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffen und Stickoxiden als Luftschadstoffen in Zahlenwerke erfasst wurden, um gesundheitsschädliche Belastungen in den innerstädtischen Bereichen zu regulieren. Hier gilt es nun in Zukunft, die Qualität der Luft von Innenräumen zu messen, zu bewerten und zu regulieren. Dabei kann nur die Kenntnis von Anforderungen der Nutzer und die Zusammensetzung der Atemluft und deren täglichen Änderungen, es den Gebäudeplanern ermöglichen, die relevanten Zielgrößen zu erreichen. Es gilt, Parameter zu nutzen, um nach erfolgten Messungen die Steuerungen der Raumluft zu optimieren und somit gesundheitsfördernde Qualität zu sichern.
II.
Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Belastungen durch Schadstoffe zeigen Auswirkungen auf den motorischen wie kognitiven Status sämtlicher Lebewesen und besonders auch des Menschen. Das Raumklima spiegelt sich im Körper und in der Aktivität mentaler Prozesse. Und es zeigt sich im Hautbild des Menschen sowie dessen Bewegungsprofilen. Neben physikalischen Größen wie Volumen, Material und Oberflächen beeinflussen auch Bilder an den Wänden jene mentalen Zustände, die meist unterbewusst erlebt werden. So wie winterliche Landschaften das Bedürfnis nach höheren Raumtemperaturen auslösen, so zeigen umgekehrt sommerliche Atmosphären den Wunsch der Bewohner nach niedrigeren Temperaturen im Raum.
Ein altersgerechtes, auf die Mobilität der Personen in der Architektur hin abgestimmtes Raumklima, trägt einen erheblichen Anteil daran, kognitive Kompetenzen zu erhalten und mit zunehmendem Alter zu sichern. Erneut gilt: Warme Füße und kalter Kopf! Nur so können kognitive Leistungen gefördert werden, die durch Bewegung, Sauerstoff, Begegnung, gesunde Ernährung und multisensorische Erlebnisse alle Sinne ansprechen.
III.
Als Projektentwickler im Bereich der Gesundheitsimmobilien verfolgen wir einen Ansatz, der Leitlinien der Gebäudetechnik von Bildungseinrichtungen im Ansatz aufgreift, um diese Standards in Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen in modifizierter Form zu übertragen. Frischluft hilft, und kann sogar eigene thermische Zonen im Gebäude ausbilden. So wie die Konzentration von CO2 in der Innenraumluft von Klassenzimmern im Durchschnitt eine Konzentration von 1000 ppm nicht überschreiten darf, so sollte auch in Altenpflegeeinrichtungen auf die Zirkulation von Frischluft geachtet werden.
Lüftungskonzepte, wie in Bildungseinrichtungen bereits seit einigen Jahren etabliert, sollten – auch in Zeiten nach der Pandemie – Standard werden. Wenn dann Verfahren der Mess- und Steuerungstechnik zum Standard der Qualitätsprüfungen gehören, um entsprechende Zielgrößen zu erfassen, kann durch den Einsatz innovativer Regeltechnik die Qualität von Innenräumen verbessert werden. Es gilt Missstände zu erkennen und zu beseitigen. Die Einführung regelmäßiger Messungen in Protokollen digital zu dokumentieren würde helfen, die Qualität der Raumluft im Zusammenspiel mit Materialien und der Nutzung besser zu verstehen.
Wie in der Vergangenheit die Verwendung von Zimmerpflanzen im Bereich der Büroflächen zunehmend auf Hydrokulturen zur Verbesserung der Luftqualität zurückgegriffen wurde, stellen aktuelle Klimakonzepte höhere Anforderungen an Hygienekonzepte. Nicht mehr nur das Grün im Gebäude reicht als Bild für eine gesunde räumliche Atmosphäre, sondern es werden zeitgemäße Tools zu entwickeln sein, die den Gebäudekörper als einen in sich funktionierenden Organismus erscheinen lassen, die den Menschen eine wohnliche Heimat bieten und eine gute Atmosphäre aufweisen.
Das moderne und intelligente Gebäude reguliert sich im Zusammenspiel mit seiner Umgebung und zeigt dies in (täglichen) Phasen und (jahreszeitlichen) Profilen, die durchaus an Vegetationsphasen von Pflanzen angelehnt sein können. Dies wurde etwa in dem berühmt gewordenen Baumhaus (= Haus mit Bäumen) des Darmstädter Architekten Ot Hoffmann vor gut 40 Jahren am Rande des aristokratischen Herrngartens in der hessischen Metropole erstellt. Als Wahrzeichen eines ökologischen Klimaverständnisses verbindet das Haus Elemente klassischer Architekturmoderne mit den Forderungen nach innerstädtischem Grün. Und dies im Sinnbild einer stark frequentierten Straße, die das Baumhaus als Modell in vielfältiger Form zum Zukunftsentwurf macht.
Das Grün der Umgebung färbt die Architektur an einer belebten Straße und es absorbiert auch hohe Pegel des städtischen Verkehrs. Die Pflanzen wuchern teilweise vor sich hin, ich kenne das Bauwerk seit den späten 1970er Jahren – und bin ein begeisterter Beobachter. Der wachsende Erfolg der Pflanzen macht diese zur Gefahr für das Gebäude und droht es gar in den nächsten Jahrzehnten zu überwuchern. Ein Schauspiel, das an Projekte der Kunst erinnert, wie etwa Joseph Beuys, „7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Ein Landschaftskunstwerk, das 1982 im Rahmen der Kassler Documenta 7 begonnen wurde und seitdem – im Schutz der Kunst –vor sich hin wuchert.
Lernen lässt sich an dem Baumhaus von Ot Hoffmann, dass Filter- und Lüftungssysteme im Zeichen von Natur und Architektur zusammengeführt werden können. Daher werden die Beschaffenheit von Oberflächen und deren Absorptions- und Diffusionsleistungen ein Thema zukünftigen Planens und Bauens ebenso sein, wie die Messbarkeit räumlicher Qualität.
So wie vor Jahrzehnten mit der Einführung von Katalysatoren die Luftqualität in den Städten und auf dem Land in ganz Europa verbessert werden konnte, ist nicht auszuschließen, dass für die Bewertung der Luft zum Atmen ein Luftqualitätsindex in sensiblen Einrichtungen seitens der Gesetzgeber erlassen wird. Elektrosmog, Lärm und der Einfluss der Lichtsetzungen bilden weitere Parameter, die als Belastung oder Qualität empfunden werden.
Anforderungen an die Planung und biografische Aspekte lassen sich durchaus miteinander verbinden. Gute Architektur im Zeichen der Lüftungstechnik und der Förderung von Bewegung im Raum bedarf einer regional eingeführten Material- und Formensprache, die intuitiv von Bewohnern und dem Personal als vertraut identifiziert wird und dazu angelegt ist Sicherheit in den Bewegungsabläufen zu bieten. Denn nur als sicher erkannte Umgebungen fördern die Mobilität, wenn visuelle und materiale Haltepunkte die Räume prägen.
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