Gadgets oder e-Health? Wo stehen die Apps?
24.01.2021 - Puls, Schrittzähler, Sauerstoffsättigung und nun sogar Schlafstadien. Mit dem Fitness-Gadget lief gerne auch mal der Hund spazieren. Doch die Geräte mausern sich zu ernstzunehmenden Apps.
Ein Gadget ist ein oft unnützes, meist spielerisch zu verwendendes, oft tragbares, gerne besonderes und meist teures technisches Gerät. Manchmal sind Gadgets Brückentechnologien hin zu ernsthaften Hilfsmitteln. Ein Schrittzähler ist eigentlich nur für jemanden wertvoll, dessen Schrittmenge abgerechnet werden soll. Natürlich ist es interessant festzustellen, dass der Wechsel zwischen dem Pressezentrum und der Halle 14 auf der MEDICA einstmals nur 743 Schritt waren. Doch wer dies ein Dutzend Mal an einem Messetag absolvierte, dem taten abends vielleicht die Füße weh – auch ganz ohne Gadget.
Gadgets haben mit den Smartwatches auch einen Schritt in die Richtung des Gesundheitswesens getan. Allerdings oft mit eher fragwürdigen Funktionen wie einer Erinnerung ans Trinken. Aus dem Bereich des Breiten- oder Freizeitsports kamen dann Funktionen hinzu, mit denen sich angeblich die Fitness des Nutzers errechnen lässt. So entstanden aus den Gadgets zunehmend programmierbare Geräte für den Privatgebrauch. Im Marketingdeutsch der Hersteller sind das dann „smarte Devices“ (schlaue Geräte).
Eine überaus spannende Eigenschaft der Produkte ist, dass sie die gesammelten Daten oft auf einem zentralen Dienst beim jeweiligen Anbieter abliefern. Die Anbieter haben durch die massenhafte Verbreitung ihrer Geräte schnell Zugriff auf die (nur Fitness-) Daten von Hunderttausenden, wenn nicht sogar Millionen Menschen. Damit lassen sich selbstverständlich Algorithmen befüllen, die gewisse Aussagen produzieren können. Das könnten beispielsweise Aussagen über die geografische Verteilung von grundlegenden Vitalparametern sein. Ebenso dürften sich schnell Tausende von Nutzern als Studienkohorte rekrutieren lassen – und die Daten sind schon da.
Mit der Verbreitung der Geräte, der darauf laufenden Apps und der Menge an damit erzeugten Daten steigt der Ehrgeiz der Anbieter, in den Gesundheits-„Markt“ vorzudringen. Markt deshalb, weil hier im Endeffekt ein Sportgerät oder Sportbekleidung oder auch nur eine Matratze für den besseren Schlaf vermarktet werden sollen.
Aus Gadgets werden ernsthafte Apps
Mit einem sehr empfindlichen Bewegungssensor und mit einem Pulsmesser könnten Smartwatches nach der Überzeugung von Wissenschaftlern und Medizinern durchaus auch ernsthafte Anwendungen, z.B. in der Schlafmedizin, praktikabel werden. Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Joachim Scheja von der Technischen Hochschule Nürnberg hat untersucht, ob und wie sich handelsübliche Smartwatches für die Ermittlung von Schlafparametern oder gar von Schlafstadien verwenden lassen. Diese Ergebnisse wurden u.a. auf der 28. Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die Ende Oktober virtuell stattfand, vorgestellt.
Zunächst ging es darum, ob sich mit einer Smartwatch beispielsweise bei Schichtarbeitern Aussagen über die Qualität des Schlafes ermitteln lassen und die ersten Ergebnisse scheinen durchaus überzeugend. Durch die Lage des Patienten und die Herzrate lassen sich grundlegende Aussagen über den Schlaf ermitteln. Miriam Goldammer vom Institut für Biomedizinische Technik an der TU Dresden berichtete darüber ebenfalls auf der DGSM-Jahrestagung. Dabei wurden „selbstlernende“ KI-Algorithmen zur Klassifikation der Schlafstadien genutzt. Mit einem verblüffenden Ergebnis: 81 Prozent Genauigkeit bei über 1000 Schlafpatienten.
Auch an der Charité forscht ein Team um Dr. Martin Glos an der Ermittlung von Schlafstadien. Hier untersucht man die Eignung von Sensoren für die Matratze oder die Bettfüße zur Ermittlung von Lageveränderungen sowie von Fingerring-Sensoren für die Oxymetrie, die Pulsrate, ein Plethysmogramm und Bewegungsdaten. In der Kombination mit einer Smartwatch sollen auch hier Schlafstadien ermittelt werden.
Die Lücke zwischen privater und medizinischer Nutzung
Für den Einsatz in der medizinischen Praxis kommen aber noch ganz neue Anforderungen hinzu:
Desinfizierbarkeit: Nicht jeder Patient wird sich eine Smartwatch und ein dazu passendes Handy leisten können oder wollen. Eine Desinfektion von Geräten für eine Leih-Nutzung könnte problematisch sein, weil die Oberflächenvergütung von Display oder Tasten möglicherweise gelegentliches Wasser, nicht aber regelmäßiges, wiederholtes Desinfektionsmittel über Jahre abhält. Auch die „Fitness-“ Armbänder sind derzeit eher für einen einzelnen Privatanwender konzipiert. Schweiß und Desinfektionsmittel dürften den Materialien unerbittlich zusetzen. Ist dann ein Austausch schnell und einfach möglich oder ist die teilweise Demontage der Smartwatch nötig?
Ausdauer der Geräte: Im privaten Bereich mag es nicht schlimm sein, wenn beim Joggen der Pulszähler seine Tätigkeit einstellt. Doch für eine durchgehende Auswertung von Parametern können willkürliche Ausfälle durch eine schwache Batterie nichts nützen. Das gilt auch für die Sicherheit bei der Datenübertragung.
Datensicherheit auf dem Gerät, während der Übertragung und während der Speicherung auf einem Dienst: Ein Problem war die vergleichsweise geringe Speicherkapazität der Smartwatch selbst, weshalb diese ihre Daten permanent an das zugehörige Smartphone schicken musste. Wenn auch das Smartphone mit dem internen Speicher arbeitet, muss dieses dann auch ununterbrochen an den Server senden, dessen Verfügbarkeit und die Verfügbarkeit einer Daten-Verbindung vorausgesetzt. Um eine brauchbare Messung über mindestens sechs Stunden zu erreichen, fließen hier also kontinuierlich Daten vom Gerät zum Handy und vom Handy zum Server. Wie sehr lässt sich die Datenmenge reduzieren, ohne die Aussagen der Messung zu verfälschen? Wieviel Aufwand folgt dann gegebenenfalls aufgrund einer Komprimierung/Dekomprimierung?
DSGVO wichtig und richtig
Schlussendlich bleiben auch bei der Einwilligung in die Verarbeitung die Bestimmungen der DSGVO als Hinderungsgrund, aber auch als wichtiger Schutz der Daten vor zum Beispiel einer unautorisierten Verwendung. Denn auch wenn die Lösungen über die privat genutzten Gadgets in den Markt kommen, bleiben die gerade die Gesundheitsdaten ein schützenswertes Gut – und hier baut die DGSVO möglicherweise weiter in die Zukunft als es anfangs schien. Denn wer möchte ein Mono- oder Duopol privatwirtschaftlicher Anbieter über wichtige, teils arbeitsmedizinische Informationen? Wohl niemand.
Autor: Holm Landrock, Dresden