IT & Kommunikation

GDNG: Gesetz mit Kontroversen im Gepäck

02.08.2024 - Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz sollen Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden. Kern des Gesetzes ist die erleichterte Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke.

Derzeit werden in Deutschland zwar an vielen Stellen im Gesundheitssystem Daten erhoben, für eine Weiterverwendung zu Forschungszwecken und weiteren im Gemeinwohl liegenden Zwecken sind allerdings die wenigsten davon zugänglich. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) soll das ändern. Welche Herausforderungen und Möglichkeiten sich mit dem GDNG ergeben, erläutert Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare, Walldorf.

M&K: Die Pandemie hat gezeigt, dass solche Datenflüsse von großer Bedeutung sind, um schnellstmöglich vorhandenes Wissen zu transportieren und neues Wissen zu generieren. Wie soll die Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten zukünftig erleichtert werden?

Michael Pfeil: Die Datenlandschaft in Deutschland ist stark fragmentiert. Das erschwert den Forschungszugang zu diesen so genannten ‚Real-World-Daten‘. Deshalb wird im Moment, um das GDNG überhaupt umsetzen zu können, u.a. eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut. Und diese kommt automatisch mit weiteren, teils großen Aufgaben im Gepäck, etwa dem Thema Datenschutz.

Was genau kommt hier auf die beteiligten Parteien zu?

Pfeil: Datenschutz ist immer ein kritisches Thema, hier aber umso dringlicher, wenn bspw. Krankenkassenabrechnungsdaten von gesetzlich Versicherten Forschenden zugänglich gemacht werden oder Versicherte selbst ihre elektronischen Gesundheitsakten freigeben sollen. Hier rollt eine große Welle an Aufklärungsbedarf für die betroffenen Patienten auf die Krankenhäuser und Kliniken zu – zusätzlich zum schon aufwändige ‚Broad Consent‘ oder Verträgen mit den Patienten, die fünf Jahre gelten, aber jederzeit widerrufen werden können. Wer all diese Anforderungen heute z. B. in der SAP-Branchenlösung IS-H umsetzen möchte, kann das im Standard kaum erreichen.

Gibt es weitere Player, die im Umfeld des GDNG unterstützen?

Pfeil: Die Medizininformatik-Initiative (MII) ist ein bundesweites Förderprojekt mit dem Ziel, die Patienten-Daten, die während eines Klinikaufenthalts entstehen, bundesweit digital zu vernetzen, damit mit ihnen geforscht werden kann, um Krankheiten schneller und besser heilen zu können. Ein Stolperstein ist die Interoperabilität der Daten, denn ohne sie wird das Vorhaben scheitern.

Und was wären Ideen und Ansätze, um das Thema Interoperabilität noch rechtzeitig zum Fliegen zu bringen?

Pfeil: Eine Lösung, die wir in der DSAG bereits diskutiert haben, wäre ein internationales Codierungs-Schema zu nutzen. Aber das erfordert hoch spezialisierte Data-Scientists mit zwei Talenten. Sie müssen modernste Werkzeuge der Informatik beherrschen und mit medizinischen Fachbegriffen vertraut sein, um die wachsenden Datenmengen aus dem gesamten Patienten-Verlauf einrichtungsunabhängig über das gesamte Netzwerk sinnvoll auswerten zu können.

Das GDNG befindet sich aktuell im zweiten Durchgang. Wer kann davon profitieren und wo liegen die Herausforderungen?

Pfeil: Wer davon profitieren kann, zeigt die Zeit. Herausforderungen sind: Alle IT-Strategien müssen erneut ‚angefasst‘ werden, und das vor dem Hintergrund unverändert knapper finanzieller Ressourcen, die eine angemessene IT-Versorgung mit Software, Hardware und Netzinfrastruktur erst ermöglichen. Und abgesehen von der rechtlich-organisatorischen Seite aus u.a. Patienten-Sicht gelten folgende Voraussetzungen für die technische Umsetzung: Erstens müssen die Daten alle strukturiert auswertbar sein. Zweitens an sämtliche klinischen Dokumentations-Systeme kommuniziert und drittens eine Sammlung für klinische Daten eingeführt werden. Selbst wenn ausreichend Fachpersonal zur Verfügung stünde: Wer soll diese Anforderungen wie finanzieren?

Gibt es aus DSAG-Sicht weitere Stolpersteine?

Pfeil: Kritisch sehen wir in diesem Gesamtkonstrukt insbesondere Prozesse wie Widerrufe oder Änderungswünsche aufgrund der ständigen und bekannten Aktualisierungsprobleme. Mindestens ab Zeitpunkt eines Widerrufs dürfen Daten nicht mehr verwendet werden, sind dann aber unter Umständen bereits z. B. in Langzeitstudien eingeflossen. Zudem dürfen einmal verwendete Daten z. B. nicht mehr weiter zu Forschungszwecken genutzt werden.

Welche Bedeutung hat das Gesetz für die SAP-Anwendersysteme in Krankenhäusern und Kliniken?

Pfeil: Hier müssen wir den Status quo der deutschen Krankenhäuser und Kliniken hinsichtlich ihrer IT sehen: Befragungen der DSAG ergeben, dass nicht einmal ein Drittel aller Krankenhäuser ein SAP-S/4HANA-Migrationsprojekt gestartet oder realisiert hat. Es fehlen personelle und finanzielle Voraussetzungen, die u.a. durch erhebliche Lizenzkosten für eine Vertrags-Conversion und Beratungsleistungen entstehen. Aber auch angesichts der Abkündigung von IS-H und damit für das Krankenhausinformationssystem i.s.h.med ist jetzt der falsche Zeitpunkt, der Branche ein Gesetz nach dem nächsten aufzubürden. Häuser und Einrichtungen werden doppelt und dreifach belastet. Das führt dazu, dass viele Anforderungen aus den Gesundheitsreform-Gesetzen wahrscheinlich noch in den laufenden Systemen umgesetzt werden müssen, obwohl wir eigentlich alle Ressourcen für eine Neuimplementierung nutzen sollten.

Außer dem bekannten Ursprungsgedanken des GDNG – welche Vorteile könnte das neue Gesetz parallel mitbringen?

Pfeil: Aktuell müssen viele Krankenhäuser Projekte für ein neues Krankenhausinformationssystem (KIS) aufsetzen. Das erfordert Konsolidierungen in den Bestandssystemen, wobei es sich oft um eine Vielzahl von Dokumentationssystemen in diagnostischen und therapeutischen Bereichen handelt, deren Integration mindestens optimierungsbedürftig ist. Das neue Gesetz bietet daher eine Chance, ein neues KIS umzusetzen. Allerdings sollten die gesetzlichen Verpflichtungen des GDNG dazu zeitlich auf nach 2030 verschoben werden.

Wie lautet ihr Fazit?

Pfeil: Wir begrüßen das GDNG genauso wie das Digital-Gesetz (DigiG) oder das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG). Sie können allen Beteiligten vielversprechende Zukunftschancen bieten. Aber: Bis die Theorie eines Gesetzesblattes in der Praxis angekommen ist, gilt es Prozesse und IT-Systeme zu konsolidieren sowie die Infrastruktur auszubauen und zu erneuern. Und das bedeutet noch mehr Kosten und einen steigenden Bedarf an Fachpersonal mit branchenspezifischem Know-how, das wir schon jahrelang vermissen. Wir treffen, wie so oft in der Branche, auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität.

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