Gesundheitspolitik

Hauptstadtkongress 2012: Medizinprodukte zur MRSA-Sanierung vergüten

01.08.2012 -

Zum Schutz vor Verbreitung von resistenten Erregern haben sich auf dem Hauptstadtkongress in Berlin Mediziner und Politiker für die Vergütung von Produkten zur MRSA-Sanierung ausgesprochen. Ein entsprechender Änderungsantrag der FDP sei gestellt, hieß es.

Wie sich MRSA und die wachsende Zahl gramnegativer nicht therapierbarer resistenter Erreger in den Griff bekommen lassen, war Thema auf dem Hauptstadtkongress. Politiker und Mediziner machten in der Sitzung "Keime kennen keine Grenzen" am 14. Juni 2012 deutlich, was sie dafür benötigen: Bundesweit einheitliche Hygienekonzepte über die Sektorengrenzen hinaus und eine ausreichende Vergütung sowohl ambulant als auch stationär seien der Schlüssel zur Prävention multiresistenter Erreger. Kritik an der Kostenorientierung des Systems gab es dazu nicht nur von den anwesenden Medizinern aus Berlin und Kassel, sondern auch von dem FDP-Politiker Lars Lindemann, der das Infektionsschutzgesetz kurzfristig weiter verbessern möchte. Die FDP fordert, dass Versicherte die für eine Dekolonisation erforderlichen Medizinprodukte, z. B. antiseptische Waschlösungen und Mundspülungen, erstattet bekommen, wenn bei ihnen multiresistente Erreger festgestellt werden. Weiterhin setzten sich die Experten dafür ein, den Antibiotika-Missbrauch in der Tiermast zu stoppen und die Industrie in der Entwicklung neuer Medikamente zu unterstützen. In Deutschland würden 360 Tonnen in der Humanmedizin und in der industriellen Tierproduktion 780 Tonnen Antibiotika pro Jahr eingesetzt.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene empfiehlt zur Sanierung und als Infektionsprophylaxe von MRSA-Patienten spezielle Präparate mit nachgewiesener MRSA-Wirksamkeit. Allerdings werden diese Produkte, mit denen sich Patienten mindestens sieben Tage waschen müssen, um die Keime von der Haut zu entfernen, nicht von den Krankenkassen erstattet und können daher vom Arzt nicht rezeptiert werden.

Die FDP-Fraktion setzt sich derzeit für eine entsprechende Nachbesserung des Infektionsschutzgesetz ein. Wie die Ärztezeitung im Juni berichtete, hat die FDP einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt, der eine Gesetzesänderung herbeiführen soll. Der FDP-Politiker Lars Lindemann sieht darin eine gesellschaftliche Fürsorgepflicht. "Ein MRSA-Patient gefährdet nicht nur sich sondern auch Dritte", so der Politiker.

"Die Oma im Altenheim muss die Sanierung von ihrem Taschengeld bezahlen" erklärt auch der Leiter der Hygieneabteilung Dr. Markus Schimmelpfennig vom Gesundheitsamt Kassel in seinem Plädoyer. Die Rahmenbedingungen in der häuslichen Pflege seien noch schlechter als im Krankenhaus, die Personalschlüssel noch niedriger, die Bezahlung gering. "Um eine MRSA-Therapie außerhalb der Klinik attraktiv zu machen, muss der Mehraufwand, der bei der Pflege von MRSA-Patienten entsteht, vergütet werden", sagt er. "Die Menschen müssten erleben, dass Hygiene einen Mehrwert darstellt. "Hygiene muss leben in Hirn, Herz und Hand und basieren auf Vorbild, Verantwortung und Vertrauen."

Dass Hygiene sich lohnen kann, zeigen die Niederlande. Das Land investiert seit Jahren in MRSA-Prävention und hat weniger Probleme mit MRSA als andere europäische Länder. "Eine gute Mikrobiologie kostet Geld" erklärt Ron Hendrix aus der Region Twente in den Niederlanden. Der Niederländer beschreibt noch einmal das Vorgehen: Sie screenen dort systematisch Risikopatienten, legen Blut- und Urinkulturen an und dokumentieren die Dynamik der auftretenden Bakterienstämme. Derzeit im Gespräch sei, Patienten vor großen chirurgischen und orthopädischen Eingriffen auf nicht resistente Staphylococcus aureus - Keime zu untersuchen, weil dieser Hautkeim ein Risiko bei größeren Eingriffen darstellen könne. "Gerade bei Patienten, die ein künstliches Gelenk erhalten, ließen sich dadurch postoperative Infektionen mit in der Folge langen Behandlungsprozessen vermeiden und damit den Patienten viel Leid ersparen." Die Niederlande habe außerdem hohe Personalschlüssel (auf Intensivstationen 1 zu 1), auch die Hygienestandards der Krankenstationen würden regelmäßig kontrolliert. "In Deutschland gibt es zu wenig Fachkräfte", meint der Niederländer.

Sektorenübergreifende Konzepte seien notwendig, um den Drehtüreffekt zu vermeiden. "Das Krankenhaus ist ein offenes System, sagt Prof. Dr. Nils-Olaf Hübner, Leiter des Ressorts Angewandte Infektionen und KH-Hygiene des Robert Koch-Institutes (RKI). Das heißt: Patienten sind nur kurz im Krankenhaus und werden dann zu Hause, in der Arztpraxis und im Pflegeheim behandelt. "Bei den kurzen Liegezeiten im Krankenhaus ist es gar nicht möglich, eine Sanierung zu Ende zu führen", beschrieb Prof. Hübner die Situation. Gerade bei sehr alten, unter vielen Krankheiten leidenden Patienten sei oft der nächste Krankenhausaufenthalt vorprogrammiert. Nicht sanierte Patienten brächten die Keime so wieder ins Krankenhaus. Das RKI forciert deshalb den Aufbau regionaler Netzwerkstrukturen. "Wir brauchen eine einrichtungsübergreifende Sicherheitskultur, die von allen am Behandlungsprozess Beteiligten gemeinsam getragen wird", erklärt Hübner.

In Deutschland sind etwa 500.000 Menschen pro Jahr von einer Krankenhausinfektion betroffen. "Ca. 40 000 Menschen sterben jährlich daran. Das sind zehn Mal mehr Menschen als im Straßenverkehr" erklärt der Berliner Prof. Michael Wich. Schätzungen zufolge sind etwa 30 Prozent der Infektionen vermeidbar. Viele dieser MRSA-Patienten leiden an Wund- und Harnwegsinfektionen. Dieses Jahr wurde der Infektionsschutz per Gesetz erweitert, um dem Drehtüreffekt entgegenzuwirken und die MRSA-Infektionen in den Griff zu bekommen. Dazu gehören unter anderem die Einrichtung einer Expertenkommission für sachgerechte Antibiotikatherapie sowie die zentrale Datenerfassung nosokomialer Infektionen beim Robert Koch-Institut. Des Weiteren sind die Leiter medizinischer Einrichtungen gesetzlich dazu verpflichtet, die Hygienerichtlinien des Robert Koch-Instituts umzusetzen und einzuhalten. Seit April können niedergelassene Ärzte Aufwendungen und Laborkosten mit einer eigenen EBM-Ziffer für das Screening von MRSA abrechnen. Zukünftig wird es auch möglich sein, im Rahmen der häuslichen Krankenpflege Dekolonisationsmaßnahmen zu verordnen. Medizinprodukte für die ambulante Sanierung sind allerdings bisher vom Patienten zu tragen. Auch eine Pflegepauschale für den Mehraufwand einer Patientensanierung ist nicht enthalten. In Deutschland gibt es ein MRSA-(Krankenhaus-Informations-)Surveillance-System (KISS) auf freiwilliger Basis, an dem inzwischen 800 von 2000 Kliniken teilnehmen. Dazu gehören unter anderem das Screening von MRSA-Risiko-Patienten sowie die Übermittlung der Daten.

 

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