Individuelle Therapie bei Lymphdrüsenkrebs und Leukämie möglich und wirksam
13.10.2021 - Aggressive, hämatologische Krebserkrankungen wie Leukämien oder Lymphome sind im fortgeschrittenen, wiederkehrenden Stadium nur schwer behandelbar, Standardtherapien zeigen oftmals wenig Wirkung. Dieser Problematik widmen sich Wissenschaftler sowie Ärzte der MedUni Wien und des AKH Wien, des CeMM Research Center for Molecular Medicine der ÖAW und der ETH Zürich. Erstmals konnte eine am AKH Wien durchgeführte Studie belegen, dass eine über einen funktionellen Test ausgewählte Therapie wirksam und umsetzbar ist.
Mittels Einzelzellprofilen von PatientInnenbiopsien wurde die Wirkung von Medikamenten in einem neuen experimentellen Verfahren quantifiziert, 56 Patienten wurden daraufhin individuell auf sie abgestimmten Therapien unterzogen – mit deutlich positiven Ergebnissen. Die Studie wurde in Cancer Discovery (IF: 39.4), einem Journal der American Association for Cancer Research, publiziert.
Medikamente und Therapien zeigen bei Patienten mit gleichem Krankheitsbild oft unterschiedliche Effekte. Besonders in der Krebstherapie wird dies mehr und mehr ersichtlich. Die personalisierte Medizin zielt darauf ab, die individuell richtige Behandlung für Patienten zu finden, unter anderem indem sie spezifische Merkmale des Tumors der/des Betroffenen präzise analysiert und dadurch therapeutisch potentiell angreifbar macht. Personalisierte Therapieanpassungen erfolgen derzeit in erster Linie anhand genetischer Biomarker, diese bieten jedoch nur für weniger als 10 Prozent der Krebspatienten abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten. Funktionelle Präzisionsmedizin (FPM) zeichnet sich durch den Einsatz von funktionellen Tests aus, in denen ähnlich einem Antibiogramm, mittels „drug screening“ die Wirksamkeit einer Vielzahl von Medikamenten direkt an Krebszellen ausgetestet wird.
In dieser innovativen Form der funktionellen personalisierten Medizin, speziell „single-cell functional precision medicine (scFPM)“, werden durch detaillierte Analyse einzelner Zellen die Effekte der Wirkstoffe auf sowohl bösartige als auch gesunde Zellen, welche im hierfür frisch entnommenen Gewebe von Krebspatienten isoliert werden, untersucht. Das Verfahren lässt eine Steigerung der spezifischen Wirksamkeit und eine Reduktion an Nebenwirkungen zu. In der hier angewandten Methode wird eine hohe Präzision durch automatisierte Mikroskopie und computergesteuerte Bildanalyse erreicht, ursprünglich wurde sie auch „Pharmakoskopie“ genannt.
Im Rahmen der EXALT Studie (für Extended Analysis for Leukemia/Lymphoma Treatment) an Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen des Bluts und des Lymphsystems konnten Wissenschaftler und Ärzte um Philipp Staber (MedUni Wien/AKH Wien), Ingrid Simonitsch-Klupp (MedUni Wien/AKH Wien), Giulio Superti-Furga (CeMM) sowie Berend Snijder (ETH Zürich, vormals CeMM) erstmals zeigen, dass eine Therapieauswahl über einen funktionellen Test klinisch umsetzbar und für die Betroffenen von Nutzen ist. Die Erstautorschaft der Publikation wird von Christoph Kornauth und Tea Pemovska (beide MedUni Wien/AKH Wien) sowie Gregory Vladimer (Exscientia, vormals CeMM) geteilt.
Test der Medikamentenwirksamkeit
„Aus Echtzeit-Biopsien haben wir Tumor-Einzelzellen der Patienten untersucht und die Wirkungen von über 130 Kandidaten-Substanzen direkt ausgetestet, um festzustellen, welche Therapie beim jeweiligen Individuum anspricht“, so Studienleiter Philipp Staber, assoziierter Professor an der Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie von MedUni Wien und AKH Wien sowie Mitglied des Comprehensive Cancer Center (CCC). „Um den individuellen Nutzen der Patienten zu testen wurde die Zeit des Therapieansprechens mit der zu ihrer jeweiligen Vortherapie verglichen. 54% unserer Patienten hatten unter der so gewählten Therapie eine deutliche, zumindest um mehr als 30% verlängerte Zeit ihres progressionsfreien Überlebens. Bei 21% der Patienten zeigte sich sogar ein Langzeitansprechen. Unsere Studie belegt, dass eine individuelle Anpassung der Therapie nicht nur machbar, sondern auch wirksam ist, Resistenzen zu Vortherapien zu brechen“, so Staber. Für ihre Studie nutzen die Wissenschaftler „Pharmakoskopie“, einen bildbasierten Ansatz der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM), entwickelt in der Forschungsgruppe von CeMM Principal Investigator und Scientific Director Giulio Superti-Furga, auch Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Giulio Superti-Furga ergänzt: „Unser Anliegen war es, echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten viele, so wie wir am CeMM und an der MedUni Wien, an immer besseren molekularen Profilen von Genen, Proteinen und Metaboliten, die erlauben sollen, Patienten individuell zu behandeln. Aber beim Vorgang, der in dieser Studie eingesetzt wurde, geht es um eine Art von Abkürzung. Wir testen direkt, welches Medikament tatsächlich auf die Krebszellen wirkt. Die Idee zur personalisierten Krebsmedizin ist längst nicht neu. Doch in der dahinterliegenden Technologie, um Tumorgewebe so zu analysieren, dass daraus therapierelevante Informationen gewonnen werden können, stecken viele Jahre an Forschung. Heute können wir mit unerreichter Auflösung und Präzision Einzelzellanalysen von Patientenproben durchführen, einzelne Immunzell-Interaktionen beobachten und damit die Wirkung einer enormen Vielzahl an Medikamenten testen.“
Zielgerichtete Therapiewahl
Erstmals wurde in einer klinischen Krebsstudie im Bereich der Präzisionsmedizin ein funktioneller Assay verwendet. Das heißt, dass Wirkstoffe direkt am individuellen Zellmaterial der Patientin bzw. des Patienten getestet wurden, um daraus eine auf die jeweilige Person abgestimmte onkologische Therapie abzuleiten. Die Studie veranschaulicht, dass Patienten, für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen, von der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin (scFPM) stark profitieren, denn mit scFPM kann im Gegensatz zu früher eine Vielzahl an Wirkstoffen mittels eines High-Content-Assays detailliert erprobt werden.
Die Studie „Functional Precision Medicine Provides Clinical Benefit in Advanced Aggressive Hematological Cancers and Identifies Exceptional Responders“ erschien in der Zeitschrift Cancer Discovery am 11. Oktober 2021, DOI: 10.1158/2159-8290.CD-21-0538
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CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Wien
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