Inspiriert durch die Luftfahrt
16.11.2023 - Der Visual Patient Avatar von Philips verbessert am Universitätsklinikum Bonn die klinische Entscheidungsunterstützung im OP.
In Zusammenarbeit mit zwei Klinikern der Forschungsgruppe Visualization Technology Research Group am Institut für Anästhesiologie des Universitätsspitals Zürich (USZ) bringt Philips eine Innovation für die Patientenüberwachung auf den Markt: Der Visual Patient Avatar ist eine leicht erfassbare Visualisierung komplexer Patientendaten. Die stark vereinfachte menschlichen Darstellung übersetzt Informationen zum Patientenzustand beispielsweise in Farben und macht so eine schnelle und gezielte Reaktion auf unerwünschte Veränderungen möglich. Neben der Forschungsinstallation am USZ ist das Universitätsklinikum Bonn UKB weltweit die erste Klinik, in dem die neue kommerzielle Lösung des Visual Patient Avatar zum Einsatz kommt.
Das Universitätsklinikum Bonn schaut sehr aufmerksam auf neue und innovative Technologien zur Verbesserung der Patientenversorgung. Der Visual Patient Avatar ist aus meiner Sicht eine davon. Das zeigt auch die Akzeptanz bei den Anwenderinnen und Anwendern,“ erklärt Marcus Krüger, Leiter Geräte- und Medizintechnik und Beauftragter für Medizinproduktesicherheit am UKB.
Steigerung der Patientensicherheit durch klare Illustration
In Operationssälen führen Zeitdruck und Informationsüberlastung häufig zu einem verschlechterten Situationsbewusstsein. Dieser Umstand ist Ursache für bis zu 81,5 % aller anästhesiebezogenen Fehler [1]. Bisher haben Überwachungsmonitore die Situation der Patienten durch Vitalwerte und Zahlen dargestellt. Das medizinische Fachpersonal braucht für die Interpretation dieser Daten Zeit. Dies kann die Fähigkeit, alle Informationen aufzunehmen und zeitgerecht klinische Entscheidungen zu treffen, beeinträchtigen. „Die Patientensicherheit hat bei uns immer höchste Priorität. Dabei ist es entscheidend, die relevanten Alarme rechtzeitig zu identifizieren. Die unverwechselbaren Signale des Visual Patient Avatar lenken meinen Fokus sofort auf das Wesentliche und ich werde darin unterstützt, die bestmögliche Entscheidung für den Menschen auf meinem OP-Tisch zu treffen”, sagt Prof. Dr. Mark Coburn, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am UKB.
Kognitive Entlastung und ein geschärfter Blick für kritische Situationen
Ein Ziel der neuen Lösung ist das Situationsverständnis für klinische Veränderungen während der Anästhesie im OP zu verbessern. Alle wichtigen Informationen werden über Animationen und eine Veränderung der Farben und Formen einer simplifizierten menschlichen Illustration visualisiert. Ein kurzer Blick zum Patientenmonitor, auf dem der Avatar integriert ist, reicht aus, um die kritischen Daten zu erfassen und zu verarbeiten. Prof. Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am UKB, sieht im Visual Patient Avatar darüber hinaus eine sehr erwünschte Hilfe für die Entlastung des klinischen Personals: „Gerade dann sind neue Techniken hoch willkommen, wenn sie die Behandlung verbessern und mehr Zeit für den Umgang mit unseren Patientinnen und Patienten frei machen.“
Aus dem Cockpit in den Operationssaal
Die Inspiration für die Entwicklung des Visual Patient Avatar ist während eines Fluges des Züricher Anästhesisten Priv.-Doz. Dr. David Tscholl entstanden. Der Pilot nutzt im Cockpit die Technologie Synthetic Vision, die einfache Abbildungen der Flugumgebung liefert. Diese Darstellung der Umgebung hilft, flugbezogene Entscheidungen sicherer zu treffen. Diesen Vorteil transferierte er gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Christoph Nöthiger, ebenfalls Pilot und Anästhesist am USZ, in einen ähnlichen Ansatz für die Patientenüberwachung während einer Operation: „Sowohl das Führen von Flugzeugen als auch die Patientenversorgung erfordern eine kontinuierliche Bewertung entscheidender Parameter in Situationen, in denen viel auf dem Spiel steht“, erklären Tscholl und Nöthiger. „Als Anästhesisten und lizenzierte Piloten wissen wir, wie wichtig das Verstehen der Situation ist, um erfolgreich zu agieren und die Sicherheit anderer zu gewährleisten – in der Luft und im OP. Wir wollten die Art und Weise vereinfachen, wie kritische Informationen in klinischen Umgebungen dargestellt werden. Die Zusammenarbeit mit Philips zur Umsetzung dieser Vision macht es möglich, die Patientenversorgung zu revolutionieren.“ Dem folgten zehn Jahre Forschungsarbeit und Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.
Innovationen aus der Klinik für die Klinik
Mit seinen Innovationen hat Philips den Anspruch, den Alltag für medizinische Anwender durch klinische Entscheidungsunterstützung zu verbessern. „Die Zusammenarbeit mit der klinischen Forschung ist für Philips essenziell, um innovative medizinische Lösungen auf den Markt zu bringen, die die Gesundheitsversorgung verbessern. Nur so können wir die Brücke zwischen Wissenschaft und einem wirklichen Patientennutzen bauen,“ betont Dr. Lorenzo Quinzio, der das Product Management Clinical Measurement bei Philips leitet.
Um sicherzustellen, dass der Visual Patient Avatar tatsächlich die notwendige Unterstützung im täglichen Arbeitsablauf leistet, hat das Universitätsspital Zürich zahlreiche Studien durchgeführt. Dabei wurde der Visual Patient Avatar mithilfe etablierter Methoden validiert und optimiert. Zu den wichtigsten Erkenntnissen gehören:
- Im Vergleich zu konventionellen Überwachungsszenarien konnten die Teilnehmenden doppelt so viele Vitaldaten nach einem 3- oder 10-sekündigen Blick auf den Monitor mit dem Visual Patient Avatar abrufen [2].
- Der Visual Patient Avatar steigerte den prozentualen Anteil der wahrgenommenen Vitalzeichen bei einer Betrachtungsdauer von 10 Sekunden um 57 % und verringerte gleichzeitig die wahrgenommene Arbeitsbelastung für die Aufgabe um 12 % [3].
- Bei der ersten Nutzung des Visual Patient Avatar wurden 73 % aller Vitaldaten korrekt eingeordnet [4].
Referenzen
[1]Schulz et al. BMC Anesthesiol. 2016;16(14) doi: 10.1186/s12871-016-0172-7
[2] Tscholl DW, Handschin L, Neubauer P, et al. Using an animated patient avatar to improve perception of vital sign information by anesthesia professionals. British Journal of Anaesthesia. 2018;121(3):662-671. doi: 10.1016/j.bja.2018.04.024
[3] Garot O, Rossler J, Pfarr J, et al. Avatar-based versus conventional vital sign display in a central monitor for monitoring multiple patients: a multicenter computer-based laboratory study. BMC Medical Informatics and Decision Making.2020;20(26). doi.org/10.1186/s12911-020-1032-4
[4] Wetli DJ, Bergauer L, Nothiger CB, et al. Improving Visual-Patient-Avatar Design Prior to Its Clinical Release: A Mixed Qualitative and Quantitative Study. Diagnostics (Basel). 2022;12(2):555.5. doi.org/10.3390/diagnostics12020555