Interdisziplinäre Hilfe für seltene Erkrankungen
25.02.2022 - In Europa leiden mehr als 30 Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung. Das Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen (MZCSE) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) gilt als Anlaufstelle für Patienten, die im Gesundheitssystem bereits viele Spuren hinterlassen haben und auf die keine gängige Diagnose passt. Anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar beantwortet Prof. Dr. Christoph Schramm, Direktor des Martin Zeitz Centrums für Seltene Erkrankungen (MZCSE) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), Fragen zu unbekannten Krankheiten, deren Aufspüren und interdisziplinäre Behandlung.
In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Wann spricht man von einer seltenen Erkrankung?
Prof. Dr. Christoph Schramm: Eine Erkrankung wird in Europa als selten definiert, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen sind. Meist haben diese Betroffenen viele Stationen im Gesundheitssystem durchlaufen, sind von vielen unterschiedlichen Fachdisziplinen untersucht worden und haben auch nach langer Zeit, manchmal nach vielen Jahren, noch keine stimmige Diagnose.
Bei seltenen Erkrankungen ist die Diagnosestellung und Behandlung häufig komplex. Wie können Betroffene Kontakt zu Ihnen aufnehmen?
Prof. Dr. Schramm: Wir bieten keine Sprechstunde im herkömmlichen Sinne an. Betroffene, bei denen noch keine Diagnose gestellt werden konnte, sollten über ihre behandelnden Haus- oder Fachärzten bei uns anfragen. Oft werden uns unklare Fälle aus dem eigenen Klinikum vorgestellt, die meisten aber von Kollegen externer Einrichtungen oder Niedergelassenen. Da es an vielen Orten keine spezialisierten Zentren für die jeweilige Erkrankung gibt, wurde 2013 im UKE das Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen (MZCSE) gegründet, um die Expertise aus den verschiedenen Bereichen der Seltenen Erkrankungen zu bündeln und die Menschen mit bislang nicht diagnostizierten und nicht selten genetisch bedingten Erkrankungen zu versorgen. Für sie haben wir speziell ein Programm „für undiagnostizierte Erkrankungen“ entwickelt.
Wie finden Sie heraus, ob es sich um eine Seltene Erkrankung handelt?
Prof. Dr. Schramm: Das ist medizinische Detektivarbeit und geht nur im Team. Grundlage ist die eingehende Begutachtung und Bewertung der Krankenakte und der Befunde der Betroffenen, um herauszufinden, unter welcher Erkrankung sie leiden könnten. Die Betroffenen werden dann je nach Fragestellung von verschiedenen Fachdisziplinen im UKE untersucht und einer humangenetischen Diagnostik einschließlich einer Exom-Sequenzierung, eine Technologie, die Veränderungen im Erbgut nachweisen kann, unterzogen.
Wie sehen die Symptome bei einer seltenen Erkrankung aus und benötigen die Betroffenen eine spezielle Therapie?
Prof. Dr. Schramm: Seltene Erkrankungen sind häufig sehr komplex und gehen teilweise mit schweren Krankheitsverläufen einher. Diese Patienten brauchen eine intensive und fachübergreifende Betreuung durch ein spezialisiertes und erfahrenes Team an Medizinern, Wissenschaftlern und Pflegenden. Unter dem Dach des MZCSE arbeiten aktuell 18 Kompetenzcentren mit ausgewiesener klinischer und wissenschaftlicher Expertise zusammen. Neben unserem internen Netzwerk arbeiten wir in 14 Europäischen Referenznetzwerken (kurz: ERN), um alle Fragestellungen mit der entsprechenden Expertise beantworten zu können.
Wie wichtig sind solche Netzwerke?
Prof. Dr. Schramm: Solche Netzwerke sind sehr wichtig, um eine bestmögliche und spezifische Versorgung für die Patienten zu gewährleisten. Das UKE koordiniert eines dieser Netzwerke (für seltene Lebererkrankungen) und war bisher an fünf weiteren europäischen Netzwerken beteiligt. Jetzt sind wir Mitglied in acht weiteren Netzwerken im Bereich der hereditären und kongenitalen Anomalien (ERNICA), Knochenerkrankungen (ERN BOND), Hämatologischen Erkrankungen (ERN EuroBloodNet), Augenerkrankungen (ERN EYE), genetisch bedingten Tumor-Risiko-Syndromen (ERN GENTURIS), kongenitalen Fehlbildungen und seltenen geistigen Beeinträchtigungen (ERN ITHACA), Krebserkrankungen im Kindesalter (ERN PaedCan) sowie Transplantation im Kindesalter (ERN Transplant Child) und können dort unsere Expertise einbringen und für unsere Patienten den Rat europäischer Experten einholen. Die Beteiligung an den vielfältigen Netzwerken unterstreicht die hohe klinische Kompetenz, die das UKE in der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen hat.
Wie kann man sich die Arbeit der Netzwerke vorstellen?
Prof. Dr. Schramm: Die Referenznetzwerke sind virtuelle Gesundheitsnetzwerke aus europäischen Kliniken, deren Experten auf verschiedenen Gebieten seltener Erkrankungen zusammenarbeiten. Sie bieten den beteiligten Einrichtungen eine Plattform für den Wissens- und Erfahrungsaustausch. In Zusammenarbeit zwischen ärztlichem, pflegerischem und administrativem Personal sowie Patientenvertretern stellen die Netzwerke Informationen zur Verfügung, um das Expertenwissen und die Behandlungsstandards über ganz Europa hinweg anzugleichen und zu verbessern. In regelmäßigen digitalen Patientenkonsultationen (CPMS) tauschen sich Ärzte zur Diagnostik und Therapie besonders komplexer oder seltener Fälle aus.
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