Klinisches Risikomanagement in der Pandemie
02.03.2021
- Erfahrungen und Lessons to Learn
Die Erkenntnis um die Notwendigkeit Risiken zu erkennen, zu minimieren und soweit möglich die finanziellen Auswirkungen zu transferieren, ist nicht neu. Dort wo sich Menschen potentiell lebensbedrohlichen Risiken durch professionelles Handeln aussetzen, ist die Einsicht in den letzten Jahren gereift.
Risikomanagement – von der Luftfahrt lernen
Während schon seit jeher die Luftfahrt-industrie das Risikomanagement als integralen Bestandteil der Ausbildung und Aktivitäten aller Mitarbeiter erkennt, benötigten die Krankenhäuser länger um die Wichtigkeit des Klinischen Risikomanagement wahrzunehmen und die notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Kostendruck fördert Risikomanagement
Landeten die Konzepte und Instrumente zunächst allzu oft in den Schubladen der Verantwortlichen, wurden sie in der Folgezeit zuweilen akademisch überfrachtet und kamen zu selten in der Lebenswirklichkeit der Krankenhäuser an. Dies hat sich spätestens geändert, seit die gestiegenen Kosten des Arzthaftpflicht-Risikotransfers die Verantwortlichen von der Wichtigkeit der Risikominimierung überzeugten und der Gesetzgeber Vorgaben statuierte. Soweit noch nicht geschehen, wurden nun Risikomanagement-Instrumente etabliert bzw. aktiviert. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, diese zu einem kohärenten System zusammenzuführen und bis tief in die Krankenhäuser wirksam werden zu lassen. Diese Wirksamkeit steht in der COVID-19-Pandemie auf dem Prüfstand. Funktionierende Risikomanagement-Systeme ermöglichen die Detektion von Risiken bereits bevor diese sich im Krankenhaus realisieren.
Die Identifikation des Risikos und Risikomanagement in der Praxis
Während viele Menschen immer noch die Veränderungen ihres Alltags durch die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie zu begreifen suchen, war das Szenario durchaus absehbar. Mit beachtlicher Präzision findet es sich beispielhaft bereits in 2012 in dem veröffentlichten Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 (BT-Drs. 17/12051). Man kann darüber streiten, ob auch das relevante Timing so absehbar war. Jedenfalls gilt: Pandemien sind nicht neu und nicht unvorhersehbar.
Und doch, nicht alles war vorbereitet und nicht alles lief glatt. So wurde in einigen Kliniken dem zunächst in seiner Wirkung unbekannten Erreger mit Analogien zur jährlichen Grippe-Epidemie begegnet und die Infektiosität, Mortalität, sowie die medialen Auswirkungen unterschätzt. Dieses menschliche Bedürfnis nach erfahrungsbezogener Zuordnung von Gefahren verleitete – wie in der Luftfahrt bekannt – zu Fehlschlüssen und führte teilweise zu Ausbruchsgeschehen mit strafrechtlichen Ermittlungen.
Und doch tragen die Bemühungen zum Klinischen Risikomanagement Früchte, wie das Beispiel aus dem Bürgerhospital in Frankfurt am Main zeigt: Als Anfang des Jahres das Corona Virus Deutschland erreichte, war die Pandemie noch weit weg. Wer hätte damit gerechnet, dass wir uns sechs Wochen später im Lock-Down befinden? Waren das Bürgerhospital vorbereitet? Im Februar 2020 wurden die ersten Maßnahmen umgesetzt, um das Krankenhaus auf die Behandlung von COVID-19 Patienten vorzubereiten. Neben den Vorbereitungen zur Nutzung eines Teils der Intensivstation als COVID-Station, wurden verschiedene Szenarien vorbereitet.
Krisenstab und Krankenhauseinsatzplan
Als am 12. März 2020 die Aufforderung kam, elektive Behandlungen auszusetzen, die Behandlungskapazitäten für COVID-19-Patienten zu erhöhen sowie zusätzliches Personal zu rekrutieren, nahm der Krisenstab seine Arbeit – nach vorab bereits definierten Kriterien – auf. Als gutes Basisinstrument für die Einsatzstrategie erwies sich der Krankenhauseinsatzplan.
Profitieren konnte man ebenfalls von den Erfahrungen der vollständigen Evakuierung des Bürgerhospitals im Jahr 2017, bedingt durch die Entschärfung einer Weltkriegsbombe. Die operativen Themen waren nicht direkt vergleichbar, die im Nachgang aufgearbeiteten Erkenntnisse aus der Situation aber eine intensive Übung des Krisenbetriebs.
Trotz dieser strukturell eher guten Voraussetzung blieben noch viele Fragen offen. Die volatile Informationslage zum Corona-Virus bzw. dem Ausbruchsgeschehen machte die permanente Recherche beim Robert Koch-Institut bzw. den zuständigen Ministerien erforderlich. Die Abteilung für Krankenhaushygiene – die auch in die Entscheidungen des Krisenstabes immer einbezogen wurde – hatte sich zwar personell verstärkt, die Arbeitsbelastung war trotzdem enorm hoch. Nahezu täglich mussten Veränderungen in den Klinikalltag integriert, Informationen, Hinweise und Handlungsanweisungen über verschiedene Kanäle bereitgestellt werden.
Täglicher Krisenstab und klar strukturierte Agenda
- Medizinischer Lagebericht;
- Pflegerischer Lagebericht;
- Personalressourcen;
- Versorgungslage;
- Bericht der Krankenhaushygiene.
Situationsabhängig wurden Maßnahmen direkt im Krisenstab vereinbart oder in kleineren Arbeitsgruppen vorbereitet. Dass die Sitzungen nahezu ausschließlich online oder als Telefonkonferenz durchgeführt werden konnten, war zu Beginn gewöhnungsbedürftig. In einigen Bereichen musste die technische Infrastruktur nachgerüstet werden – auch hier gab es zeitweise Versorgungsengpässe. Die ersten akut intensivpflichtigen COVID-19-Patienten wurden Ende März behandelt.
Die Aufgaben haben sich seitdem deutlich verändert. Neben den medizinischen Themen und dem sehr wichtigen Austausch unserer Ärzte mit Experten und Virologen anderer Kliniken, rückte die Fürsorge für die Mitarbeiter in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Gegenseitige Unterstützung Aufklärung, Transparenz, psychologische Begleitung sowie das Erstellen von Ausfallkonzepten für den Worst-Case bestimmten seitdem das Tagesgeschäft. Die Erfahrungen aus der ersten Welle wurdenin Interviews mit allen Berufsgruppen evaluiert und daraus weitere Strategien zur Krisenbewältigung entwickelt, die in der zweiten Welle angewendet werden. In der Pandemie haben eingeübte und bestehende Strategien zum wirksamen Risikomanagement den Praxistest in der Regel trotz aller Widrigkeiten bestanden. Gleichwohl gilt es auch die Hemmnisse und Fehler zu analysieren und daraus die notwendigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.
Neue Prioritäten zur Versorgungssicherheit
Nicht unterschätzt werden sollte, dass die Erfahrungen des Jahres 2020 im Bewusstsein der Menschen lange nachwirken und die Prioritäten verändern werden. Absehbar ist, dass dem
Thema Hygiene nachhaltig erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen ist. Gleiches gilt für die fragilen Lieferketten bei Therapeutika und Schutzausrüstungen. Gleichzeitig zeigt die Ausnahmesituation wie wichtig die Anpassungsfähigkeit von Strukturen und der Erhalt der Leistungsfähigkeit der Akteure in der Pflege und im medizinischen Dienst sind.
Um den Menschen als maßgeblichen Erfolgsfaktor zu erhalten bedarf es konsequenten Trainings zum Verhalten in Krisensituationen und einer intensiven Begleitung der Therapeuten und Pflegenden als Second Victims der Pandemie. Die Zeit nach der Krise ist als Rüstzeit um Risikoprävention noch erfolgreicher wirken zu lassen zu nutzen.
Autoren:
Mathias Lenschow, Geschäftsführer, Funk Health Care Consulting GmbH, Berlin und
Claudia Jacobs, Leitung Organisationsentwicklung, Bürgerhospital Frankfurt