Aus den Kliniken

Kommt die Impfung gegen Multiple Sklerose?

19.01.2022 - Eine in „Science“ publizierte Studie bestärkt die Hypothese, dass die Multiple Sklerose (MS) durch eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) kausal ausgelöst werden könnte. Die Studie wertete longitudinal die Daten von 10 Mio. Angehörigen des US-Militärs aus. Die Infektion mit dem Erreger aus der Familie der Herpesviren erhöhte das MS-Risiko bei den US-Soldaten um das 32-Fache. Die Studiengruppe reißt an, dass eine zukünftige Impfung gegen EBV eine Option sein könnte, um die MS-Inzidenz potenziell zu senken. Moderna hat einen mRNA-Impfstoff gegen EBV entwickelt, er befindet sich derzeit in der ersten Phase der klinischen Prüfung. Doch viele Fragen bleiben offen.

„Die Ergebnisse der in Science veröffentlichten Studie sind bemerkenswert. Zwar handelt es sich ‚nur‘ um Beobachtungsdaten, aber die hohe Teilnehmerzahl, der Ausschluss von Störgrößen und Kovariablen sowie das eindrückliche Ergebnis bestärken die Hypothese, dass die Infektion mit EBV kausal eine MS verursachen kann, eine Hypothese, die in der Wissenschafts-Community schon lange diskutiert wird“, erklärt Prof. Dr. Ralf Gold, Bochum, ehemaliger Präsident der DGN. „Die Daten untermauern nun die Erkenntnis, dass EBV höchstwahrscheinlich ein Auslöser der MS ist, wenn auch vielleicht nicht der einzige.“

Die Studie untersuchte über 10 Mio. Angehörige des US-Militärdienst zwischen 1993 und 2013. Alle Militärangehörigen wurden vor Aufnahme auf HIV gescreent und diese Proben wurden, sofern vorhanden, verwendet, um eine vorausgegangene EBV-Infektion nachzuweisen. Wie in der Allgemeinbevölkerung war die EBV-Durchseuchung hoch, nur 5,3% der Proben waren EBV-negativ. Die Forscherinnen und Forscher werteten dann aus, wie viele Personen der Kohorte im Verlauf an MS erkrankten und wie ihr EBV-Status war. 955 Menschen erkrankten im Verlauf ihres Militärdiensts an MS, von 801 lagen Serumproben vor, von den meisten sogar bis zu drei Serumproben im Verlauf, bevor die MS-Diagnose gestellt wurde. Nur einer der 801 Fälle war EBV-negativ – alle anderen Fälle traten in der Gruppe auf, die mit EBV infiziert war. Die meisten MS-Erkrankungen traten im Median fünf Jahre nach der ersten EBV-positiven Probe aus (alle zwischen einem und 10 Jahren).

Es handelt sich um eine Fall-Kontroll-Studie und für jeden MS-Betroffenen wurden zwei gematchte Kontrollpersonen eingeschlossen, die im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Ethnizität etc. vergleichbar waren, aber keine MS-Erkrankung aufwiesen. Interessant war: Die an MS Erkrankten hatten mit 97% eine extrem hohe Serokonversionsrate, d.h. sie hatten viele Antikörper gegen EBV, während die gesunden Kontrollpersonen eine Serokonversionsrate von nur 57% aufwiesen (p< 0,001).

„Diese Daten legen einen kausalen Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS nahe und zeigen, dass EBV höchstwahrscheinlich nicht nur ein Risikofaktor, sondern ein Auslöser ist. Der bisher gewichtigste Risiko für MS, das humane Leukozyten-Antigen (HLA)-DRB1*15:01, ist mit einem dreifach erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert – und wir sehen bei EBV nun ein 32-faches Risiko, was enorm ist und auf einen kausalen Zusammenhang hindeutet “, erklärt der MS-Experte aus Bochum. „Ob aber EBV der einzige Auslöser ist, können wir nicht sagen, letztlich kam es auch in der Gruppe der EBV-negativen zu einem Fall“. Zwar haben die Autorinnen und Autoren diskutiert, dass in dem Fall ggf. eine Infektion schon vorlag, aber die Immunreaktion noch nicht messbar gewesen sein könnte, aber räumen ein, dass es auch ebenso ein „spontaner“, nicht-EBV-assoziierter Falle gewesen sein könnte.

Um auszuschließen, dass es einen Bias gibt, weil Menschen mit einer Prädisposition für Herpesviren evtl. auch eine Prädisposition für MS aufweisen, wurden auch die Konzentrationen von Antikörpern gegen das Cytomegalovirus (CMV) erhoben, einem anderen häufigen Virus der Herpes-Familie, das ebenfalls wie EBV über den Speichel übertragen wird. Doch hier zeigte sich eine solche Korrelation nicht, im Gegenteil: Die CMV-positiven Personen hatten in dieser Studie ein geringeres MS-Risiko.

„Vor dem Hintergrund dieser Daten gewinnt die Impfung gegen das EBV an Relevanz, gerade für gefährdetere Populationsgruppen. Frauen sind beispielsweise doppelt so häufig von MS betroffen wie Männer. Die Impfung gegen EBV könnte auch deshalb interessant und effizient sein, da sie womöglich nicht nur der MS, sondern auch verschiedenen Krebserkrankungen vorbeugt“, ergänzt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Noch gibt es keinen zugelassenen EBV-Impfstoff, aber verschiedene Firmen arbeitet daran, u.a. auch das Unternehmen Moderna. Offene Fragen seien neben der Wirksamkeit und Sicherheit der EBV-Vakzine auch, wann und wie häufig eine Impfung erfolgen muss. Ebenso wichtig ist es, Kriterien für die Selektion von Menschen mit einem hohen MS-Risiko zu erarbeiten. „Der Weg zu einer Impfung gegen MS ist noch weit – und wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht, bleibt ohnehin die Frage, wie hoch seine Akzeptanz in der Bevölkerung sein wird. Letztlich hat Corona eine sehr hohe Impfskepsis in der Bevölkerung offenbart.“

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