Kompetenzzentrum Demenz München
Zwischen den Welten
Als gemeinsames Projekt der Diakonie Neuendettelsau und der Arbeiterwohlfahrt München ist das Kompetenzzentrum Demenz München speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz zugeschnitten. Das gilt insbesondere auch für die Architektur. Der Entwurf des Neubaus stammt von Feddersen Architekten. Es bietet unter anderem Raum für familiär strukturierte Wohngruppen. Eine Besonderheit liegt darin, dass diese Wohngruppen für verschiedene Stadien der Demenz jeweils unterschiedlich ausgestattet sind. Stefan Drees, Mitinhaber und Geschäftsführer von Feddersen Architekten, stellt das Haus vor.
An klaren Tagen sehen die Bewohner der Gruppe „Pfaffenwinkel“ von ihrer Dachterrasse aus die Zugspitze. Zwar bieten nicht alle Etagen Alpenblick, doch jede Wohngruppe des Kompetenzzentrums Demenz hat an der Südseite des Hauses ihre eigene Terrasse oder Loggia. Sie blicken in die abwechslungsreich angelegten Gärten des Zentrums, die direkt an die benachbarten Reihenhäuser grenzen. Hier ist dasHaus selbstverständlicher Teil des Österreicher-Viertels, einer ruhigen Wohnlage im Münchner Westen. Ganz anders die Straßenseite: Von der vielgleisigen Bahntrasse nur durch einige Supermärkte getrennt, ist an der vierspurigen Landsberger Straße von der grü- nen Idylle hinter dem Haus nichts mehr zu spüren. Unterschiedlicher könnte das Umfeld eines Gebäudes kaum sein. Und so liegt zwischen der Stadtstraße im Norden und der sonnigen Gartenseite ein Haus, das zwischen Gegensätzen und verschiedenen Sphären vermittelt. Der von der Diakonie Neuendettelsau und der Arbeiterwohlfahrt München gemeinsam errichtete und betriebene Neubau vereinigt in drei Abschnitten unterschiedliche Funktionen in sich. Das Kopfgebäude in Richtung Stadtmitte beherbergt eine Kindertagesstätte, soziale Beratungsdienste und eine Musikschule. Westlich schließen sich die zwei Bauteile des fünfgeschossigen Wohn-Pflegegebäudes an, die über eine Galerie miteinander verbunden sind. Neben 117 Plätzen in den verschiedenen Wohn- gruppen umfasst das Haus im Erdgeschoss eine Tagesspflege mit zwölf Plätzen, einen Andachtsraum und die Verwaltung. Im zurückgesetzten vierten Obergeschoss entstanden elf barrierefreie Wohnungen. Die Kombination von stationärer Pflege und Wohnen innerhalb eines Gebäudes braucht bei aller Nähe eine getrennte innere Erschließung. Bewohner wie auch Besucher betreten das Haus über eine gemeinsame repräsentative Lobby, die sich in den südlich gelegenen Garten öffnet. Die Aufzüge werden so gesteuert, dass nur Wohnungsmieter Zugang zum Dachgeschoss haben. Hier trennen sich die Sphären zwischen dem Wohnen und dem gemein- samen Leben in der stationären Pflege.
Autarke Gruppen
Das schmale Grundstück führte zu einem langgezogenen Baukör- per, der auch den Wohngruppen eine gestreckte Form gibt. Sie funktionieren als eigenständige Gemeinschaften, in denen acht bis zwölf Menschen mit Demenz leben. Die Dienstzimmer zwischen den Gruppen im westlichen Gebäudeteil sind „durchgesteckt“: Mitarbeiter können direkt von einer Gruppe zur anderen wech- seln und in der Nacht beide betreuen. Die Bewohner verlassen wie in einem herkömmlichen Wohnhaus ihr Zuhause durch eine „Wohnungstür“, durchqueren den kurzen Flur und können dann wieder durch die nächste Tür die benachbarte Gruppe besuchen. Diese eigene Adresse unterstreicht die Selbstständigkeit jeder Gemeinschaft.
Orte der Erinnerung
Die Gestaltung der Wohngruppen im Kompetenzzentrum knüpft an die Bedeutung der Landsberger Straße vor dem Haus an. Für Generationen von Münchnern begann hier der Wochenend- ausflug hinaus aus der Stadt, ins Fünf-Seen-Land oder weiter bis in die Allgäuer Alpen. Diese „Erinnerungslandschaften“ mit ihren ganz eigenen Bildern liegen dem innenarchitektonischen Konzept des Kompetenzzentrums zugrunde. Jede Wohngruppe ist nach einem Ort in der Umgebung benannt und gestaltet.
Dabei gilt das Prinzip „Je höher, desto weiter“. Die Gruppen im Erdgeschoss „Stadtpark Pasing“ und „Agricolaplatz“ greifen Orte in angrenzenden Quartieren auf, während die Bewohner im drit- ten Obergeschoss im „Pfaffenwinkel“ und den „Allgäuer Alpen“ leben. Für die Etagen dazwischen stehen weitere Ausflugsziele Pate, die sich alle südwestlich von München befinden. Diese „Patenschaft“ gibt jeder Gruppe eine eigene Identität und ermöglicht ihren Bewohnern, sich an einen angenehmen Ort zu erinnern. Das jeweils Charakteristische vermittelt sich in Farben, Stoffen und Hölzern und wird durch Fotografien unterstrichen. Auch wenn diese Gestaltung zum nachfühlenden Erinnern einlädt, schafft sie doch keine künstlichen Welten, die den Ort imitieren oder ein Idyll vorgaukeln.
Jedes Gruppenthema drückt sich in einer Zusammenstellung von Materialien, Oberflächen und Möbeln aus. So besitzt der „Agricolaplatz“ noch einen städtischen Charakter, matte Rottöne erinnern an Putzfassaden der Mehrfamilienhäuser in dieser Gegend. In der Gruppe „Schlosspark“ gibt eine elegante Farbzusammenstellung gemeinsam mit barocken Mustern und geschwungenen Möbeln den Ton an. Und die lichte Atmosphäre in der Gruppe „Allgäuer Alpen“ erinnert an Felsen und Moose jen- seits der Baumgrenze. Zusätzliche Ausgestaltungen wie beispiels- weise eine Picknicksituation am Wörthsee oder ein Caféhaus am Agricolaplatz können die sinnlichen Erfahrungen der Bewohner intensivieren, zu gegenseitigen Besuchen im Haus anregen und für Biografiearbeit genutzt werden. Und auch für die Zukunft bleibt das Konzept offen: Passende Möbel und Dekorationsstücke können jederzeit ergänzt werden.
Anpassung an die Krankheitsstadien der Demenz
Die Gestaltung unterstützt das pflegefachliche Konzept des Kompetenzzentrums. So ist eine Anpassung der Wohnform an die Stadien der Demenz möglich, Kontraststärke und Intensität der Farben sind unterschiedlich ausgebildet. Besitzt der „Agri- colaplatz“ noch einen reizstarken, animierenden Charakter, vermitteln die Oberflächen in der Gruppe „Allgäuer Alpen“ mit ihren matten Tönen eine ausgeglichene, beruhigende Stimmung. Die neutralen Treppenhäuser und Flure unterbrechen die wohn- liche Gestaltung der Gruppen. So entsteht kein einheitlicher, kein institutioneller Charakter innerhalb des Hauses, vielmehr vermitteln diese Zwischenräume unter den bewusst unterschiedlichen Sphären.
Unterschiedliches miteinander zu verbinden – diese Aufgabe erfüllt das Kompetenzzentrum Demenz in München in besonde- rer Weise. Das Haus liegt nicht nur an einer Schnittstelle zweier konträrer Stadträume, es bietet Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Unterstützung und vereinigt vielgestaltigeWohnwelten unter seinem Dach. Gegensätze außen und Vielfalt im Innern moderiert das Gebäude durch seine klaren Formen und einen lebhaften Wechsel von neutralen und intensiv gestalteten Bereichen. Es schafft einen Ort, der zwischen Welten vermittelt – zwischen denen des Alltags genauso wie zwischen denen der Erinnerung.