Medizin mit Mission: 3D-Modell hilft, Amputation bei ukrainischem Kriegsversehrten abzuwenden
23.08.2024 - Immer wieder werden im Rahmen der Solidaritätsvereinbarung mit der Ukraine auch am UKM ukrainische Patient*innen behandelt, die dort wegen der Kriegshandlungen nicht ausreichend versorgt werden können.
Ein 26 Jahre alter Soldat, dessen Oberschenkel direkt unterhalb der Hüfte durch einen Granatsplitter zerschmettert worden war, konnte in seinem Heimatland gerettet werden – aber die komplexe Operation, die nötig war, um sein rechtes Bein vor einer vollständigen Amputation zu bewahren, konnte man dort nicht leisten. Am UKM behandeln den jungen Mann zahlreiche Disziplinen in engem Austausch. Um perfekt vorbereitet zu sein, haben die Operateure den Eingriff an einem 3D-Modell geplant.
Es ist auch für die Spezialist*innen einer Universitätsmedizin eine Herausforderung: Wie kann ein Oberschenkelknochen, bei dem nach den ersten Operationen zehn Zentimeter fehlen, so ersetzt werden, dass der Patient sein Bein nicht verliert und im Idealfall wieder laufen kann? „Nicht nur, dass im Oberschenkel ein großer knöcherner Defekt ist, auch der Hauptnerv ist betroffen. Zusätzlich hat der Mann noch Granatsplitter rund um die Hüfte. Der Eingriff ist so komplex, dass hier viele Disziplinen mit im Boot sind – vom ABS-Team, das uns zur richtigen Antibiose berät, über die Gefäßchirurgie bis hin zur Mikrobiologie“, sagt Prof. Steffen Roßlenbroich. Diese interdisziplinäre Abstimmung wurde auf Grundlage des G-BA geförderten
EXPERT-Projekts am UKM etabliert. In diesem Projekt, bei welchem neun Fachdisziplinen interdisziplinär komplexe Patienten besprechen, werden 31 Krankenhäuser in Nordwest-Deutschland mit universitärer Expertise versorgt. In diesem Fall profitiert auch ein Patient aus der Ukraine von dieser Struktur.
Am Tag vor der geplanten Operation hat sich der Geschäftsführende Oberarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am UKM (Universitätsklinikum Münster) mit seinem Kollegen Prof. Tobias Hirsch, Direktor der Plastischen Chirurgie, und mit Priv.-Doz. Martin Schulze, Leiter des 3D-Centers der Universitätsmedizin Münster, getroffen. „Heute kommen wir alle gemeinsam ins Spiel, weil wir überlegen müssen: Wie können wir diesen Defekt ersetzen? Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir den Patienten auf Hüfthöhe amputieren – und das wäre tragisch“, so Hirsch. „Die Anforderung an das 3D-Center war: Zeigt uns diesen Defekt, zeigt uns die jetzige Situation im Oberschenkel, zeigt uns, was wir aus dem Wadenbein entnehmen müssen und zeigt uns, wo wir es ans Blutgefäßsystem anschließen können“, fasst Hirsch die komplexe Herausforderung zusammen. Wobei das Team um Schulz seine Mission erfüllt hat: Vor den Experten liegt ein aus verschiedenen Materialien gedrucktes, lebensgroßes „Puzzle“ des Operationsgebiets. Die relevanten Knochen und das versorgende Gefäßsystem sind farblich unterscheidbar.
Den Weg über ein teures 3D-Modell gehen die Universitätsmediziner immer dann, wenn die Ausgangssituation schwierig ist und die Operationsschritte der verschiedenen Disziplinen aufeinander aufbauen, weiß Priv.-Doz. Martin Schulze: „Es muss natürlich eine gute Begründung geben, die den Aufwand rechtfertigt. Und da sind komplexe Fälle wie dieser einfach prädestiniert. Das Zusammenspiel aus zu ersetzenden Oberschenkelknochen, Venen und Arterien muss verstanden werden. Jeder Chirurg bekommt durch unser Modell die 1:1-Verhältnisse, wie sie ihn im OP erwarten, direkt vor Augen geführt. Da hilft es natürlich der Konfiguration auch, selbst Chirurg zu sein, denn man spricht die gleicher Sprache und kennt die Herausforderungen“, so der 3D-Zentrumsleiter.
Der ukrainische Patient konnte am Folgetag der interdisziplinären Beratungen erfolgreich operiert werden. „Diese komplizierte Operation hat sehr gut geklappt, jetzt muss es nur noch heilen, freut sich Unfallchirurg Roßlenbroich. Und fügt hinzu: „Wir wünschen ihm und uns sehr, dass das Bein erhalten bleibt und tragfähig genug sein wird, damit weiter durchs Leben gehen zu können.“