Aus den Kliniken

Metabolische Gesundheit und kardiometabolische Risikocluster als Chance für Präzisionsmedizin

09.05.2023 - Warum haben schlanke, stoffwechselkranke Menschen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als fettleibige, stoffwechselgesunde Menschen? Solch eine Heterogenität im Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Typ-2-Diabetes, wird seit einiger Zeit beobachtet.

Kürzlich zeigen auch computergestützte „Clusteranalysen“, dass es eine große Variabilität im Risiko für solche Erkrankungen und im Ansprechen der Therapie bei Patienten mit Typ 2 Diabetes gibt. Ein Übersichtsartikel in ‚Lancet Diabetes & Endocrinology‘ zeigt die Ursachen für diese Zusammenhänge und die sich daraus ergebenden Chancen dieser neuartigen Konzepte für die Risikostratifikation auf.

Schlanke, stoffwechselkranke Menschen haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als fettleibige, stoffwechselgesunde Menschen. Weiterhin weisen neuartige, computergestützte Clusteranalysen auf eine große Heterogenität des Risikos für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sowie des Ansprechens auf eine Behandlung, hin. Die Ergebnisse zeigen, dass es auf dem Gebiet der kardiometabolischen Forschung möglicherweise einen riesigen, noch unentdeckten Schatz zu heben gibt. In ihrem aktuellen Übersichtsartikel in ‚Lancet Diabetes & Endocrinology‘ zeigen die DZD-Forscher Norbert Stefan von Helmholtz Munich und der Universität Tübingen sowie Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, wie diese neuartigen Konzepte zur Abschätzung des Komplikationsrisikos helfen können, die Präzisionsmedizin in der klinischen Praxis besser umzusetzen.

Unter den 20 weltweit führenden Risikofaktoren für den Verlust von Lebensjahren im Jahr 2040 werden Bluthochdruck, Fettleibigkeit und ein erhöhter Nüchternblutzuckerwert die größte Bedeutung haben. Zusammen mit anderen etablierten Risikofaktoren, wie einem niedrigen HDL-Cholesterin- und hohem Triglyzerid-Wert, fließen sie in die Bewertung der metabolischen Gesundheit ein. In den meisten der über tausend bisher veröffentlichten Studien gelten Menschen als stoffwechselgesund, wenn weniger als zwei dieser Risikofaktoren oder eine pharmakologische Behandlung für diese Erkrankungen vorliegen. Dabei wurden Subphänotypen, wie Menschen mit metabolisch ungesundem Normalgewicht (metabolically unhealthy normal weight; MUHNW) und metabolisch gesunder Adipositas (metabolically healthy obesity; MHO) identifiziert, die sich in ihrem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark unterscheiden.

In einer vorhergehenden Meta-Analyse von 2016 verglich das Forscherteam um Matthias Schulze und Norbert Stefan diese beiden Gruppen mit metabolisch gesunden, normalgewichtigen Personen (metabolically healthy normal weight; MHNW). Sie fanden heraus, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Personen mit MHO um 45 Prozent und bei Personen mit MUHNW sogar um 100 Prozent erhöht ist.

In ihrem aktuellen Übersichtsartikel fassen die beiden DZD-Forscher nicht nur das Wissen über diese Zusammenhänge zusammen, sondern heben auch ihre neue Definition von metabolischer Gesundheit hervor. Unter Berücksichtigung der Risikofaktoren Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und einem hohen Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang – dem sogenannten Taille-Hüft-Index - fanden sie bei der Analyse von Daten aus der US National Health and Nutrition Examination Survey III- und UK Biobank-Studie heraus, dass das Sterblichkeits-Risiko aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit MUHNW um 100 Prozent erhöht war, bei Menschen mit MHO jedoch nicht. „Diese Daten zeigen, wie wichtig es ist, die Auswirkungen der Körperfettverteilung bei der Definition der metabolischen Gesundheit zu berücksichtigen", betont Matthias Schulze, der am DIfE die Abteilung Molekulare Epidemiologie leitet.

Norbert Stefan, Professor für Klinische und Experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen, fügt hinzu: "Von großem Interesse ist, ob die neuen kardiometabolischen Risikocluster auch dabei helfen, Untergruppen von Menschen mit einem ausgeprägten Risiko für kardiometabolische Erkrankungen zu identifizieren." Um diese Frage zu beantworten, diskutieren die Autoren des vorliegenden Übersichtsartikels die Ergebnisse der wichtigsten Ansätze zur Reduktion von komplexen Datensätzen, die unter dem Begriff "Clusteranalyse" zusammengefasst werden können. Die Untersuchungen wurden meist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes oder bei Personen mit einem Risiko für Typ-2-Diabetes durchgeführt. Die Cluster-Ansätze basieren ebenfalls auf routinemäßig verfügbaren, klinischen Variablen, können aber auch komplexere Daten, wie z. B. genetische Daten, einbeziehen. Zu den Untergruppen, die sich aus diesen Cluster-Analysen ergeben, gehören u. a. Menschen, die überwiegend eine geringe Insulinsekretion, eine Insulinresistenz, eine Fettleber, eine viszerale Adipositas, einen leichten altersbedingten Typ-2-Diabetes oder einen leichten Adipositas-bedingten Typ-2-Diabetes aufweisen.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sowohl das Konzept der metabolischen Gesundheit, als auch der Cluster-Ansatz, den bereits etablierten Risikovorhersagemodellen nicht überlegen sind. Beide Ansätze könnten jedoch informativ sein, um das kardiometabolische Risiko in Untergruppen besser vorherzusagen, z. B. bei Personen in verschiedenen BMI-Kategorien oder bei Menschen mit Typ-2-Diabetes. Sie betonen auch, dass die Anwendbarkeit der Konzepte durch die behandelnden Ärzt*innen und die Kommunikation des kardiometabolischen Risikos mit den Patient*innen für das Konzept der metabolischen Gesundheit einfacher sein könnte. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Einstufung als stoffwechselgesund oder -ungesund oder die Zuordnung zu einem bestimmten kardiometabolischen Risikocluster in den meisten Fällen eine vorübergehende Zuweisung sein wird. Die Ansätze zur Identifizierung von kardiometabolischen Risikoclustern seien jedoch nützlich, um Personen bestimmten pathophysiologischen Risikogruppen zuzuordnen. Inwieweit diese Zuordnung die Risikobewertung und das Ansprechen auf die Behandlung verbessern könnte, muss noch sorgfältig untersucht werden.

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