IT & Kommunikation

Momentum: Mehr Daten und Informationen beim Notfalleinsatz

06.11.2020 - Ein Unfall, der Rettungswagen kommt – gibt es Schwerverletzte, zählt jede Sekunde.

Doch der Kontakt zwischen Rettungsmedizin und Notfallzentrale läuft oft nur telefonisch. Das Projekt „Mobile Medizintechnik für die integrierte Notfallversorgung und Unfallmedizin“ (Momentum) erforscht neue Möglichkeiten, um Funktechnologien für eine unterbrechungsfreie Versorgungskette vom Einsatzort bis zum Klinikum zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielt dabei die AG Nachrichtentechnik der Universität Bremen.

Mit 150 km/h rast das Rettungsfahrzeug über die Autobahn. Ärzte betreuen ein Unfallopfer, das sofort nach der Ankunft im Krankenhaus operiert werden muss. Schon im Fahrzeug werden wichtige Untersuchungen gemacht, der Verletzte geröntgt, grundlegende Patientendaten direkt in den OP gefunkt. Per „Videoschalte“ können sowohl die Notfallmediziner als auch die Ärzte im OP miteinander sprechen – und aus dem Rettungswagen z.B. schon ein aktuelles Röntgenbild zur Diagnose bereitgestellt werden. Schon vor dem Eintreffen des Patienten können sich die Operierenden ein Bild machen und die notwendige Medizintechnik im OP vorbereiten.

Leistungsfähiger Daten- und Informationsaustausch als Ziel

Noch ist das Zukunftsmusik. „Im Moment beschränkt sich der Kontakt zwischen Rettungsfahrzeug und Notfallzentrale meist auf Telefonate – wenn der Zeit- und Handlungsdruck bei der Versorgung das überhaupt zulässt“, sagt Prof. Armin Dekorsy, Leiter der Arbeitsgruppe Nachrichtentechnik im Fachbereich Physik/Elektrotechnik der Universität Bremen. Aber nicht mehr lange, denn im von Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 6,6 Mio. € geförderten Verbundprojekt „Mobile Medizintechnik für die integrierte Notfallversorgung und Unfallmedizin“ soll jetzt ein leistungsfähiger Daten- und Informationsaustausch in der Kette vom Einsatzort bis zum Klinikum entwickelt und getestet werden.

„Unter den 14 beteiligten Einrichtungen sind wir der einzige Partner im Projekt, der sich mit der 5G-Kommunikation und der Vernetzung der Geräte im Rettungswagen beschäftigt“, sagt Dr. Carsten Bockelmann von der AG Nachrichtentechnik, der im Projekt Momentum zusammen mit fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern in Bremen am optimalen Einsatz neuer Funktechnologien arbeitet. Dafür hat die Arbeitsgruppe im Rahmen des Projektes 1,4 Mio. € der Fördersumme erhalten. „Bei den anderen Partnern geht es eher um die Medizintechnik und die medizinischen Anwendungen sowie die Klärung rechtlicher und ethischer Fragen.“

Notfallhelfende bislang vom Informationsfluss abgeschnitten

Bislang sind die die Notfallhelfenden bei der Erstversorgung von Patienten am Notfallort vom Informationsfluss weitgehend abgeschnitten. Hilfestellung kann oft nur telefonisch über die Zentrale vermittelt werden. Aus zeitlichen Gründen wird jedoch selten darauf zurückgegriffen. Auf der anderen Seite bereiten sich vor Eintreffen des Rettungsfahrzeuges unterschiedliche Spezialkräfte in der Notaufnahme frühzeitig auf den Notfall vor. Allerdings stehen im Schockraum nur wenige Informationen zum eintreffenden Opfer zur Verfügung. Gleichzeitig wird sofort ein OP-Saal reserviert und bis zum Abschluss der Untersuchung vorgehalten, die durchaus mehrere Stunden dauern kann. Eine Vorbereitung auf einen spezifischen Notfalleingriff ist aber nicht möglich: „Es liegen ja kaum Informationen zu den Verletzungen, dem aktuellen klinischen Zustand des Unfallopfers oder den bereits erfolgten Maßnahmen vor“, so Prof. Dekorsy. „Diese sind jedoch extrem wichtig für die optimale Versorgung. Systeme, die diese komplexen Prozesse eines Noteinsatzes zufriedenstellend unterstützen, fehlen im Moment noch.“

Das Ziel im Projekt Momentum ist es nun, geeignete Konzepte und Technologien für eine Vernetzung zu entwickeln und zu testen. Zur Überführung der Vernetzungstechnologien in medizintechnische Anwendungen werden aktuelle Rahmenbedingungen aus technischer, ethischer, rechtlicher und sozialer Sicht untersucht. Dies soll die Grundlage für die anwendungsbezogene Übertragung von Patientendaten, Prozessinformationen, Video- und Audiodaten sein.

Ständige Verbindung aufrechterhalten

„Um die Daten zuverlässig zu übertragen, werden beispielsweise Rettungswagen zu beweglichen Funkzellen. Über diese können dann medizinische Geräte an das drahtgebundene Kernnetz des Mobilfunknetzes angebunden werden“, sagt Carsten Bockelmann. Damit die Anbindung an dieses Kernnetz stets aufrechterhalten werden kann, soll eine zusätzliche Anbindung über Drohnen etabliert werden. Sie leiten das Signal weiter, um einerseits die Reichweite der mobilen Zelle zu erhöhen. Es können damit aber auch Funklöcher – etwa in ländlichen Gebieten – überwunden werden.

Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Diagnosen und Therapien über räumliche Distanzen mittels der im Projekt entwickelten Kommunikationstechnologien durchzuführen. Um medizinische Geräte flexibel einbinden zu können, wird im Projekt eine Zwischenschicht entwickelt, mit der eine herstellerunabhängige Schnittstelle zum Mobilfunknetz geschaffen werden soll. Beispielhafte Anwendungsfälle werden zur Evaluierung der Ergebnisse herangezogen, um eine hohe Praxisrelevanz zu sichern.

Anerkannte Expertise bei neuen Mobilfunkstandards

Die Ergebnisse des Projekts Momentum sollen in der Notfallversorgung neue Maßstäbe setzen. „Die im Projekt mit unserer Hilfe entwickelten Netztechnologien erlauben die gebündelte Übertragung aller notwendigen Informationen vom Einsatzort zum Krankenhaus“, sagt Dekorsy. „Dadurch wird eine neue Art der Versorgungskette zwischen Rettungswagen und dem Schockraum im Klinikum realisierbar und die lückenlose, durch Kommunikationstechnik ferngestützte Überwachung von Notfallpatienten vom Beginn der Erstversorgung an ermöglicht.“ Die Arbeitsgruppe Nachrichtentechnik der Universität Bremen hat in den vergangenen Jahren eine große und anerkannte Expertise aufgebaut, was die Funktionalität moderner Mobilfunkstandards und dadurch mögliche neue Anwendungen angeht.

Koordinatorin des Momentum-Forschungsverbundes ist die Universität Leipzig (Innovation Center Computer Assisted Surgery / ICCAS). Neben der AG Nachrichtentechnik der Universität Bremen gibt es zwölf weitere Partner: die Universität Lübeck, die Universitätskliniken Leipzig und Schleswig-Holstein Lübeck, das Heinrich-Braun-Klinikum Zwickau, die SurgiTaix AG, die ERNW Research GmbH, die Primedic GmbH, die Weinmann Emergeny Medical Technology GmbH & Co.KG, die Dräger AG & Co KGaA, die Karl Storz GmbH & Co KG, die Notarztdienste.de GmbH sowie der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.

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