Aus den Kliniken

Mukoviszidose-Medikament könnte bei Lungenentzündungen helfen

19.12.2022 - Erreger wie SARS-CoV-2 oder Pneumokokken können schwere Lungenentzündungen auslösen. Füllen sich in der Folge die Atemwege mit Flüssigkeit, besteht die Gefahr eines akuten Lungenversagens.

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun die molekularen Zusammenhänge aufgeklärt, die zu den Wasseransammlungen in der Lunge führen. Dabei haben sie einen neuen möglichen Therapieansatz entdeckt, mit dem Lungenentzündungen künftig erregerunabhängig behandelt werden könnten. Ein Wirkstoff, der bei Mukoviszidose eingesetzt wird, zeigte sich in Laborversuchen als wirksam. Die Studie ist im Fachmagazin Science Translational Medicine erschienen.

Lungenentzündungen sind die häufigste Ursache für „Wasser in der Lunge“. Fachleute sprechen von einem Lungenödem. Dabei sind Teile der Atemwege nicht mehr mit Luft, sondern mit Flüssigkeit gefüllt und können ihrer eigentlichen Aufgabe – dem Gasaustausch – nicht mehr nachkommen. Die Betroffenen haben Luftnot und ihr Körper wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Diagnose lautet dann: akutes Lungenversagen. „Trotz modernster medizinischer Methoden versterben auf den Intensivstationen leider mehr als 40 Prozent der Patientinnen und Patienten mit akutem Lungenversagen. Das Problem ist, dass antibiotische, antivirale oder auch immunmodulatorische Therapien häufig nicht hinreichend anschlagen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Kübler, Direktor des Instituts für Physiologie an der Charité. „Unsere Studie verfolgt daher einen gänzlich anderen, erregerunabhängigen Ansatz: Die Barrierefunktion der Blutgefäße in der Lunge stärken.“ Denn von dort kommt ursächlich die Flüssigkeit eines Lungenödems. Die Lungengefäße werden durchlässig, flüssige Anteile des Blutes strömen in das umliegende Gewebe hinein – und fluten so die Atemwege.

Doch wie kommt es überhaupt dazu? Welche molekularen Mechanismen stehen dahinter? Diesen Fragen ist das Charité-Forschungsteam um Prof. Kübler nachgegangen. Dafür haben die Wissenschaftler Versuche mit Zellen, Lungengewebe und isolierten Lungen durchgeführt. Im Zentrum der Untersuchungen stand der Chloridkanal CFTR. Bekannt ist, dass dieser Zellkanal vor allem in den Schleimhautzellen unserer Atemwege vorkommt. Dort ist er maßgeblich daran beteiligt, den Schleim flüssig zu halten, damit er gut abfließen kann. Die Forschenden konnten nun aber erstmals zeigen, dass auch die Zellen der Blutgefäße der Lunge mit CFTR ausgestattet sind und dass sich bei Lungenentzündungen sein Vorkommen drastisch reduziert.

Um herauszufinden, welche Rolle CFTR in den Lungengefäßen spielt und was auf molekularer Ebene passiert, wenn es zum Verlust des Chloridkanals kommt, blockierten die Forschenden ihn mit einem Hemmstoff und bestimmten die Menge an Chlorid-Ionen innerhalb der Zelle. Dazu nutzten sie unter anderem ein spezielles bildgebendes Verfahren, das Immunfluoreszenz-Imaging. „Wir konnten beobachten, dass durch die Hemmung von CFTR eine molekulare Kaskade in Gang gesetzt wird, die letztlich dazu führt, dass die Blutgefäße der Lunge undicht werden“, sagt Dr. Lasti Erfinanda, ebenfalls vom Institut für Physiologie und Erstautorin der Studie. „CFTR spielt bei der Entstehung von Lungenödemen also tatsächlich eine ganz zentrale Rolle.“

Den Studienergebnissen zufolge sammelt sich durch den Verlust von CFTR in den Zellen Chlorid an, da es nicht mehr hinaustransportiert wird. Durch das Zuviel an Chlorid wird eine Signalabfolge angestoßen, an deren Ende durch einen Kalziumkanal unkontrolliert Kalzium in die Zellen einströmt. „Die erhöhte Kalziumkonzentration führt dann wiederum dazu, dass sich die Gefäßzellen zusammenziehen – ganz ähnlich wie auch Muskelzellen dies unter Kalziumeinwirkung tun“, erklärt Prof. Kübler. „Dadurch entstehen zwischen den Zellen aber Lücken – die Blutgefäße werden undicht und es strömt Flüssigkeit aus. Die Chloridkanäle sind also für die Aufrechterhaltung der Barrierefunktion der Lungengefäße ganz entscheidend.“

Das Forschungsteam ging anschließend einer weiteren Frage nach: Wie könnte der durch Lungenentzündungen ausgelöste Verlust der Chloridkanäle in den Lungengefäßen abgeschwächt oder verhindert werden? Für ihren Untersuchungsansatz haben die Forschenden einen Wirkstoff genutzt, der zu den sogenannten CFTR-Modulatoren gehört und aus der Mukoviszidose-Behandlung bekannt ist. Bei Mukoviszidose-Patienten funktioniert der Chloridkanal CFTR in den Schleimhautzellen der Atemwege aufgrund einer Genmutation nicht ausreichend. Das führt dazu, dass der Schleim sehr zäh ist. „Der Wirkstoff Ivacaftor erhöht die Öffnungswahrscheinlichkeit des Chloridkanals und fördert so den Sekretfluss in den Atemwegen“, erklärt Dr. Erfinanda. „Wir wollten schauen, ob wir damit vielleicht auch in den Zellen der Blutgefäße der Lunge eine positive Wirkung erzielen können.“

Tatsächlich nahm durch den Wirkstoff die Stabilität der Chloridkanäle in den Gefäßzellen zu, sie wurden durch die Entzündungsprozesse in der Lunge nicht mehr so stark abgebaut. Und das zeigte sich auch in Untersuchungen im Tiermodell: Die Behandlung mit Ivacaftor erhöhte die Überlebenswahrscheinlichkeit bei schweren Lungenentzündungen, es gab weniger Lungenschäden und die Symptome sowie der Allgemeinzustand waren deutlich besser als ohne Medikation. „Dass es so gut funktioniert, damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet!“, sagt Prof. Kübler. „Wir hoffen, dass wir mit unseren Forschungsergebnissen den Weg für nachfolgende klinische Studien bereiten, in denen die Wirksamkeit von CFTR-Modulatoren bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Lungenentzündung geprüft wird. Sollte dieser vielversprechende und erregerunabhängige Therapieansatz den Weg in die klinische Praxis finden, könnte er einer großen Patientenzahl zugutekommen und schwere Krankheitsverläufe bei Lungenentzündungen verhindern – auch bei unbekannten Erregern.“

In folgenden Forschungsprojekten möchten Prof. Kübler und sein Team auf Basis des nun bekannten CFTR-Signalwegs weitere mögliche therapeutische Ansätze entwickeln. Sie werden außerdem erforschen, welche Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Risiko haben, ein akutes Lungenversagen zu entwickeln, um sie präventiv und personalisiert therapieren zu können.

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