Gesundheitsökonomie

Nebendiagnose Demenz - Nachlese zum AKG-Herbsttreffen 2021

25.11.2021 - In deutschen Krankenhäusern werden Tag für Tag rund 50.000 Patientinnen und Patienten mit Demenz behandelt, als Nebendiagnose.

Dennoch sind Krankenhäuser bislang kaum auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe vorbereitet – sowohl vom Behandlungsablauf als auch räumlich. Aktuell gibt es 30 Special-Care-Units mit demenzsensibler Ausrichtung bei rund 2.000 Krankenhäusern. Wie kann ein Krankenhausaufenthalt für Menschen mit Demenz und begleitende Angehörige gestaltet werden? Dieser Frage stellte sich der Fachtag Demenz/Geriatrie im Rahmen der 18. Fortbildungsveranstaltung der AKG (Architekten im Krankenhausbau und Gesundheitswesen) kürzlich in Dresden. Nach der pandemiebedingten Pause trafen sich rund 100 AKG-Mitglieder. Ein Bericht von Insa Schrader, Feddersen Architekten.

Menschen mit Demenz sind keine homogene Gruppe – weder medizinisch noch im Hinblick auf das Stadium des Krankheitsverlaufs oder in Bezug auf therapeutische Ansätze. Hier spielen soziale und biografische Aspekte eine große Rolle. Diese Gemengelage stellte Dr. med. Barbara Schubert, Chefärztin der Fachabteilung für Onkologie, Geriatrie und Palliativmedizin, Klinik für Innere Medizin am Krankenhaus St. Joseph-Stift, Dresden dar. Wie komplex und interdisziplinär die Altersmedizin ist, stellte Dr. Jochen Gerd Hoffmann vor. Neben der klassischen Medizin gehe es auch um therapeutische und soziale Aspekte im häuslichen oder stationären Wohnumfeld, stellte der Chefarzt der Klinik für Geriatrie und Tagesklinik Zentrum für Altersmedizin und Demenz, St. Hildegard-Krankenhaus, Köln, fest.

Aneignung und Atmosphäre
Jörg Fischer, Geschäftsführender Gesellschafter Feddersen Architekten, Berlin, berichtete über die Konzeption und Umsetzung von stationären Lösungen für Menschen mit Demenz. Er plädierte dafür, Pflege als Wohnen zu verstehen: Räumliche Angebote zur Aneignung zu machen, etwa durch einen „Lieblingsplatz“. Dieser kann in unterschiedlichen Varianten – als Sitznische im Flur, Eckbank am Tisch oder gegenüber dem Empfang des Wohnbereichs entstehen. Das schaffe Geborgenheit, Sicherheit und Orientierung. Letztlich seien das auch Aspekte, die ebenso den Pflegenden zu Gute kommen, da sich für alle Seiten so der Stresslevel reduziere. Wenn sich auch Atmosphäre schwerlich fassen lasse, setze sie sich letztlich aus verschiedenen Bausteinen zusammen: Ausgehend von einer Mitte, brauche es klare Wegeführung und Sichtachsen. Letztlich gehe es dabei um das Erzeugen von Intensität durch die Konzentration aufs Wesentliche, im Sinne einer atmosphärischen Verdichtung der architektonischen Mittel: Sinnliches Erleben durch einen multisensorischen Ansatz.

Prof. Dr.-Ing. Gesine Marquardt stellte ergänzend Planungsgrundlagen für ein demenzsensibles Krankenhaus aus ihrer Forschung Praxis vor. Sie leitet das Institut für Gebäudelehre und Entwerfen, Professur für Sozial- und Gesundheitsbauten an der TU Dresden. Insbesondere zentrale „Ankerpunkte“ seien entscheidend, um Menschen mit Demenz räumlich zu begegnen. Sie stellte heraus, dass die Entwurfskriterien grundsätzlich eine krisenfeste Architektur ermöglichen und damit auch unabhängig von Demenz zur Anwendung kommen sollten.

Gudrun Kaiser, Architektin und Inhaberin von WIA – Wohnqualität im Alter, Aachen, stellte dar, dass die DIN 18040 nicht explizit auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgerichtet sei, aber Spielräume zur Auslegung biete. Entscheidend sei es, kognitive Barrieren wie Schattenwürfe oder Spiegelungen zu vermeiden. Konkrete Erfahrungen aus der forschenden Praxis zum Thema Alters- und demenzsensible Architektur brachte Birgit Dietz, Bayerisches Institut für alters- und demenzsensible Architektur (BIfadA), Bamberg, ein. Die Lehrbeauftragte der Technischen Universität München machte deutlich, wie generationenübergreifend viele der Lösungsansätze sind und damit einen Mehrwert für alle bieten.

Tageslicht und klare Raumstruktur
Am nächsten Tag besuchten die Teilnehmer verschiedene Projekte in Dresden wie etwa die Chirurgische Notaufnahme am Universitätsklinikum Dresden (RRP), die durch ihre lichte Gestaltung beeindruckte. Das Nationale Zentrum für Tumorerkrankungen, NCT, (Wörner Traxler Richter) mit Büros und Laboren ist als Kleeblatt organisiert: Farb- und Formcodes wirken als Orientierungssystem und verbinden sich selbstverständlich mit der Raumentwicklung und dem Corporate Design. Besonders beeindruckte die Besucher die durchdachte und gut funktionierende Tageslichtführung trotz hoher Bautiefe. Bemerkenswert war auch die Gestaltung des Empfangstresens für Rollstuhlfahrer. Das Projekt OncoRay (Wörner Traxler Richter), einem Zentrum für Strahlenforschung, wirkt über den Einsatz natürlicher Materialien. Dieser Ansatz kann manche Hemmschwelle abbauen gegenüber der technischen Ausrichtung der Einrichtung: Ein Protonenbeschleuniger erscheint nicht wirklich fassbar.

Das Diagnostisch Internistisch Neurologische Zentrum – DINZ – (HWP Planungsgesellschaft) ist als kammartige Großstruktur ausgelegt. Bemerkenswert ist die sehr gute Organisation als klare Struktur für Patienten und Mitarbeitende. Im Fokus der Tagesklinik St. Joseph (Wörner Traxler Richter) steht die barrierefreie Gestaltung: Auf der Station überzeugte auch die demenzsensible Gestaltung der Doppelzimmer durch kontrastierende Farben Blau und Gelb wie ein Magnetboard und eine analoge Uhr. Daneben war auch die Raumstruktur gut verständlich, mit der Option für einen Rundlauf sowie einer Therapieküche. Auch in die Wand eingebaute Sitzbänke schaffen auf dem Treppenpodest ein Angebot für eine Pause in der Sitznische. Die Mulde am Tresen, um den Gehstock sicher abzulegen, zeigt, dass sich hier jemand über das Formale hinaus Gedanken gemacht hat.

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