Neue KRINKO-Empfehlung lässt Eingaben weitgehend unberücksichtigt
24.08.2023 - Weder die dringend erforderliche Stellenaufwertung von Hygienefachpersonal noch eine an die aktuellen Notwendigkeiten angepasste Stellenberechnung ist enthalten.
Die im März 2023 veröffentlichte neue KRINKO-Empfehlung „Personelle und organisatorische Voraussetzungen zur Prävention nosokomialer Infektionen“ stieß in Fachkreisen auf deutliche Kritik – vor allem der Umgang mit Anpassungs-, Ergänzungs- und Änderungsvorschlägen wurde von Standes- wie auch von Krankenhausgesellschaften bemängelt. Die Vereinigung der Hygienefachkräfte der Bundesrepublik Deutschland (VHD) hat aus dieser Situation heraus im April 2023 einen offenen Brief an den Bundesminister für Gesundheit sowie an die Landesgesundheitsminister und Senatoren für Gesundheit gerichtet. Die Zielsetzung des Schreibens wie auch die Kritikpunkte an der KRINKO-Empfehlung erläutert Sascha Holitschke, Vorstand der VHD, im Gespräch.
M&K: Die VHD hat sich in einem offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister sowie an die Gesundheitsminister der Länder gewandt und ihre Sicht auf die jüngste KRINKO-Empfehlung dargelegt. Welche drei Hauptkritikpunkte sehen Sie in der Empfehlung?
Sascha Holitschke: Zu allererst ist es die Änderung der Berechnungsgrundlage! Die neue Empfehlung mit der inkludierten Berechnungsvorlage des Bedarfs an Hygienefachkräften führt nicht zu einer entsprechenden Erhöhung des Personalbedarfs, sondern im besten Fall zu einer Stagnation, in vielen Fällen sogar zu einer Reduktion.
Zum zweiten wurden die während des Anhörungsverfahrens gemachten Anmerkungen nicht mitberücksichtigt. Als Berufsverband hatten wir bereits in der schriftlichen Anhörung auf die Problematik der Berechnungsgrundlage hingewiesen. Wie schon bei zahlreichen anderen Anhörungen zu den KRINKO-Empfehlungen haben wir in der finalen Fassung kaum Änderungen gegenüber dem Entwurf feststellen können. Auch die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft hat hierzu bereits in einem Rundschreiben ihren Unmut geäußert.
Drittens geht es um das Aufgabenprofil der Hygienefachkraft und des Krankenhaushygienikers. In der Empfehlung geht man davon aus, dass in jedem Krankenhaus ein Krankenhaushygieniker beschäftigt ist, der von der Hygienefachkraft (HFK) unterstützt wird. In sehr vielen Krankenhäusern steht die HFK dem Krankenhaushygieniker aber nur stundenweise und dann beratend zur Verfügung, so dass im Gegenzug eine ausreichende Ausstattung mit Hygienefachkräften mehr als notwendig erscheint.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die in den letzten Jahren neu hinzugekommenen Aufgaben für HFKs.
Holitschke: Das Aufgabenfeld der Hygienefachkräfte hat sich in den letzten Jahren so rasant erweitert, dass auch in Zukunft immer mehr Aufgaben hinzukommen werden. Auch ist das Augenmerk der Aufsichtsbehörden zum Thema Hygiene deutlich geschärft worden und auch die Hygieneforderungen der Patienten und Mitarbeitenden hat deutlich zugenommen. Die Forderung zur Transparenz in der Krankenhaushygiene verbessert ebenfalls die Patientensicherheit und das Sicherheitsgefühl jedes einzelnen Mitarbeitenden.
Die für die Hygienefachkräfte und zeitgleich auch für die jeweilige Einrichtung wichtigsten und zeitintensivsten Aufgaben sind u.a. die Organisation und Durchführung von Compliance-Beobachtungen (z. B. beim Verbandswechsel, zur Händehygiene), die sektorenübergreifende Qualitätssicherung, die komplexen Zertifizierungsverfahren von Kliniken und Zentren oder Themenbereichen, wie z. B. Patientensicherheit oder Ernährung, sowie nicht zuletzt das intensivierte Infektionsmanagement.
In Zukunft werden darüber hinaus noch deutlich mehr Leistungen auf den Bereich Hygiene zukommen. Neben der Europäischen Harmonisierung, z. B. der Desinfektionsmittel, steht der Klimawandel mit ressourcenschonendem Arbeiten immer mehr im Mittelpunkt. Die Einrichtungen sollen z. B. in Zukunft Wärmsicherheitspläne sowie Wassersicherheitspläne erstellen.
Nun zu Ihrem ersten Kritikpunkt. Die Bewältigung der Aufgaben bei hoher Personalfluktuation und zunehmendem Personalmangel. Wie stellen Sie die Umsetzung der Forderungen sicher?
Holitschke: Die erweiterten Arbeitsanforderungen werden zu einer entsprechenden Arbeitszeitverdichtung führen, die schnell zu einer Frustration und somit zu einem Ausstieg aus dem Tätigkeitsfeld der Hygiene führen könnte. Um diesem entgegenzuwirken ist u.a. eine realistische Arbeitsbelastung, eine bessere Arbeitsplatzausstattung sowie eine angemessene Bezahlung Grundvoraussetzung.
In Ihrem zweiten Punkt weisen sie auf die „Ambulantisierung“ hin und fokussieren auf die Verschiebung des Patientenklientels. Wo sehen Sie den stationären Mehraufwand?
Holitschke: Die Verlagerung von stationär zu ambulant führt zu einer Änderung des Patientenklientels mit zum Teil verkürzter Verweildauer und somit zu einem erhöhten Aufwand bei der Erstellung von Statistiken wie z. B. die Surveillance der Daten nach § 23 IfSG. Die Dokumentation der Hygieneleistung und die entsprechenden Auswertungen haben in den letzten Jahren auch unter dem Druck der Zertifizierungen und Qualitätssicherungen der Einrichtungen enorm zugenommen.
Bereits die ersten beiden Punkte führen zum Kernproblem: der Bedarf an Hygienefachpersonal. Hier setzt Ihr Hauptkritikpunkt an. Die neue Berechnungsgrundlage bildet bei weitem nicht den aktuellen Bedarf ab. Wie kann dieser – zentrale – Missstand aus Ihrer Sicht aufgelöst werden oder anders gefragt, wo würde es im schlimmsten Falle hinführen, wenn dieser Punkt keine Korrektur erfahren würde?
Holitschke: Es wurde eine Berechnungsgrundlage aus dem Jahr 2013 überarbeitet, was im ersten Schritt positiv ist – schließlich hat sich in den letzten zehn Jahren auch viel verändert. Es wurden aber Anpassungen durchgeführt, die nicht nachvollziehbar sind. Ambulante Fallzahlen finden in der neuen Berechnungsformel keinen Platz mehr. Auch die neue Berechnungsformel bei den Funktionsbereichen kann nicht nachvollzogen werden. Hier werden alle Funktionsbereiche, egal welche Größe diese haben oder wie hoch das Arbeitsaufkommen ist, gleich berechnet.
Im schlimmsten Fall führt diese neue Berechnung zum Stellenabbau bei den Hygienefachkräften und würde dadurch eine weitere Arbeitsverdichtung fördern. Damit steigt nicht nur die Berufsfluktuation sondern nimmt auch das Risiko einer psychosomatischen Erkrankung bei Beschäftigten zu. All das führt zur Verschlechterung der Patienten-, Mitarbeiter- und Besuchersicherheit.
Weshalb haben Sie Ihren Brief nicht direkt an die KRINKO gerichtet? Und welche Form der Zusammenarbeit wünschen Sie sich künftig mit der Kommission? Welches sind die für Sie wichtigsten drei Forderungen, um künftige Divergenzen zu vermeiden bzw. diese frühzeitig aufgreifen und minimieren zu können?
Holitschke: Leider wurden offensichtlich unsere Anmerkungen im Anhörungsverfahren nicht wahrgenommen. Wir versuchen unser Bestes in der Zusammenarbeit mit der KRINKO, nehmen uns jede Empfehlung zu Herzen und versuchen aus unserer Sicht auf Unklarheiten hinzuweisen. In der Vergangenheit wurden viele dieser Anmerkung nicht berücksichtigt. Auch spiegelt die Zusammensetzung der KRINKO die eher geringe Wertschätzung der Hygienefachkräfte wider. Deshalb haben wir uns im Bundesvorstand in Abstimmung mit den Landesvorständen dazu entschlossen das Wort direkt an die Minister zu richten. Unabhängig davon würden wir uns über eine enge Zusammenarbeit mit der KRINKO freuen.
Welche Reaktionen haben Sie bisher auf Ihren Brief erhalten? Wie geht es jetzt im besten Falle aus Sicht der VHD weiter?
Holitschke: Bis Mitte Juli haben wir nur von zwei Bundesländern eine Rückantwort erhalten. Wir sind aber zuversichtlich, dass die noch fehlenden Rückmeldungen nicht auf ein mangelndes Interesse an der Hygiene zurückzuführen sind und gehen deshalb davon aus, dass die Gesundheitsministerien der anderen Bundesländer auch noch antworten werden. Die momentanen Reaktionen geben uns auf jeden Fall Hoffnung, dass wir nicht die einzigen sind, die das Problem erkannt haben. Wir erhoffen uns in einem kollegialen Austausch aller betroffenen Berufsgruppen die Problematik lösungsorientiert zu bearbeiten.
Zur Person
Sascha Holitschke ist seit dem 03.05.2022 erster Vorsitzender der Vereinigung der Hygienefachkräfte der Bundesrepublik Deutschland e.V. (VHD). Seit seiner Ausbildung 2006 zum Gesundheits- und Krankenpfleger arbeitet er im Krankenhaus St. Elisabeth gGmbH in Damme. Im weiteren Verlauf hat er sich von 2013-2015 zum Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Hygiene und Infektionsprävention an der Caritas Akademie Köln weitergebildet und ist heute als Leitende Hygienefachkraft in seiner Einrichtung tätig.
Weitere Informationen:
Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch Institut
(März 2023): „Personelle und organisatorische Voraussetzungen zur Prävention nosokomialer Infektionen“
Bundesgesundheitsblatt 2023, 66:332–351
zur finden unter https://doi.org/10.1007/s00103-022-03647-3
oder unter
Autor: Nina Passoth, Berlin
Das Interview ist in der Ausgabe Juli/August 2023 auf S. 12 erschienen.
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