Neue Leitlinie der DGN und der DSG zur Sekundärprävention von Schlaganfällen erschienen
05.07.2022 - Die S2k-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ ist publiziert.
Teil 1 (LL 030/133) beschäftigt sich mit Plättchenhemmung und Antikoagulation sowie der Therapie von Hypercholesterinämie und Hypertonie zur Vermeidung von Folgeschlaganfällen. Teil 2 (LL 030/143) der neuen Leitlinie fokussiert auf die darüberhinausgehenden Risikofaktoren, darunter unter anderem auf den Lebensstil, Diabetes mellitus, die Hormonersatztherapie und die Schlafapnoe. Es zeigt sich, dass Betroffene selbst viel dazu beitragen können, ihr Risiko für Folgeschlaganfälle zu senken.
Schlaganfallrezidive sind relativ häufig. Wie eine 2019 publizierte Analyse der Abrechnungsdaten der AOK Niedersachsen ergab, belief sich das Risiko eines Folgeschlaganfalls nach einem ersten Schlaganfall auf 1,2 Prozent nach 30 Tagen, 3,4 Prozent nach 90 Tagen, 7,4 Prozent nach einem Jahr und 19,4 Prozent nach fünf Jahren. Demnach muss fast jeder Fünfte, der einen Schlaganfall erlitten hat, innerhalb der nächsten fünf Jahre mit einem Folgeschlaganfall rechnen. Nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) ist das Schlaganfallrisiko vor allem in den Tagen unmittelbar nach der Attacke deutlich erhöht. Der Rezidiv-Prophylaxe kommt somit eine besondere Bedeutung zu.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) haben aktuell die S2k-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ publiziert, an der zahlreiche Fachgesellschaften beteiligt waren.
Teil 1 der Leitlinie befasst sich mit der medikamentösen Behandlung der „klassischen“ Risikofaktoren wie Fettstoffwechselstörungen und der Hypertonie, der Thrombozytenaggregation und der Antikoagulation. Als federführende Autoren zeichnen Professor Dr. Dirk Sander, Tutzing und Feldafing, und Professor Dr. Gerhard F. Hamann, Günzburg.
Der Blutdruck sollte nach einem Schlaganfall oder einer TIA langfristig unter 140/90 mm Hg gesenkt werden. Je nach Alter der Betroffenen, Verträglichkeit der Blutdrucksenker und Vorerkrankungen ist sogar eine Senkung auf systolisch 120 bis 130 mm Hg zu erwägen, wobei das Erreichen der Zielblutdruckwerte einen höheren Stellenwert als die Wahl der antihypertensiven Therapie hat. Als Zielwert der cholesterinsenkenden Therapie gilt ein LDL-C-Wert von unter 70 mg/dl; alternativ kann eine Reduktion um > 50 Prozent des Ausgangswerts erfolgen. Zur Thrombozytenaggregations-hemmung werden in der Leitlinie ausschließlich Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel und Ticagrelor empfohlen, andere Präparate haben mehr Nebenwirkungen oder es fehlt der Nachweis eines Zusatznutzens. Bei vertretbarem Blutungsrisiko ist die frühe (das heißt innerhalb von 24 Stunden nach Symptombeginn) und kurzzeitige doppelte Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS und Clopidogrel für 21 Tage oder alternativ ASS und Ticagrelor für 30 Tage möglich. Bei Betroffenen mit Vorhofflimmern sollte immer eine orale Antikoagulation erfolgen, mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) oder Vitamin-K-Antagonisten.
„Die Thrombozytenaggregationshemmung und der Einsatz der oralen Antikoagulation sollten individuell je nach Blutungsneigung, Komorbiditäten und Risikofaktoren aufeinander abgestimmt werden. Die Leitlinie gibt hier einen Handlungskorridor vor, innerhalb dessen eine auf die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten angepasste Therapie erfolgen kann“, erklären Professor Hamann, Professor Dr. Armin Grau, Ludwigshafen, und Professor Dr. Joachim Röther, Hamburg, die alle Experten der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) sind.
Der zweite Teil der Leitlinie fokussiert auf Lebensstilmodifikation sowie auf die Indikationen zur oralen Antikoagulation jenseits des Vorhofflimmerns, die Therapie von Dissektionen der hirnversorgenden Arterien, die Behandlung intrakranieller Gefäßstenosen, die Hormonersatztherapie, den Diabetes mellitus bei Schlaganfallpatienten und das obstruktive Schlafapnoesyndrom. Federführende Autoren waren Professor Dr. Tobias Kurth und Dr. Manuel Olma, beide von der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Zur Steuerungsgruppe beider Leitlinien-Teile gehören neben den federführenden Autoren (Professor Dr. Dirk Sander und Professor Dr. Gerhard F. Hamann (Teil 1) sowie Professor Dr. Tobias Kurth (Teil 2) Professor Dr. Armin Grau, Ludwigshafen, und Professor Dr. Joachim Röther, Hamburg.
„Für Betroffene sind insbesondere die Informationen zum Lebensstil von hoher Relevanz, da sie ihn selbst beeinflussen können“, erklärt Professor Kurth. Was sollten sie dafür tun? Die Leitlinie rät zu regelmäßiger körperlicher Aktivität. Der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse oder eine mediterrane Diät senken das Risiko eines Schlaganfallrezidivs und vaskulärer Folgeereignisse, dabei sollte der Salzkonsum reduziert werden. Betroffene sollten auf das Rauchen verzichten und den Alkoholkonsum reduzieren. Einem Diabetes mellitus als „gewichtigem“ Risikofaktor für Schlaganfälle sollte möglichst vorgebeugt werden. Diabetikerinnen und Diabetiker sollten nach einem Schlaganfall in jedem Fall auf eine gute Blutzuckereinstellung achten. Nach einer Schlafapnoe als zusätzlichem Risikofaktor sollte gezielt gesucht werden. Die nächtliche Überdruckbeatmung (CPAP) ist bei mittelschwerer bis schwerer Schlafapnoe die Therapie der Wahl. Schlaganfallpatientinnen, die Kontrazeptiva einnehmen, sollten andere Verhütungsmethoden erwägen. Die Leitlinie betont aber, dass die Mehrzahl der hormonellen Präparate mit einem nur gering erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert ist.
„Die Leitlinien geben also ein breites Armamentarium an die Hand, um das Rezidivrisiko nach ischämischem Insult oder TIA zu senken. Zur Maximalprophylaxe sollten alle Maßnahmen dauerhaft umgesetzt werden, was eine enge Zusammenarbeit zwischen Neurologinnen/Neurologen, Hausärztin/Hausarzt und Betroffenen erfordert. Gerade die langfristige Lebensstilumstellung stellt für viele Patientinnen und Patienten einer Herausforderung dar, bei der Medizinerinnen und Mediziner immer wieder Unterstützung leisten müssen. Die neurologische Nachsorge sollte dabei weit über die medikamentöse Einstellung der ‚klassischen‘ Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder hohe Lipidwerte hinausgehen“, betont DGN-Generalsekretär Professor Dr. Peter Berlit.