Pandemietaugliche Modularität
Zum Neubau von Haus M am Städtischen Klinikum Karlsruhe
Wie viele Krankenhäuser, die im 19. Jahrhundert angelegt wurden, hat das Klinikum in Karlsruhe eine vorgegebene Gebäudestruktur, die sich kontinuierlich im Rahmen der Typologie einzelner Pavillons entwickelt hat. Dass jetzt wieder ein Zeitpunkt erreicht ist, zu dem ein Klinikum dieses Stellenwertes in seiner baulichen Struktur „aufgeräumt“ werden muss, liegt auf der Hand. Unaufhaltbarer medizinischer Fortschritt, funktionale und organisatorische Anforderungen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs sind unabdingbare Vorgaben, nach denen auch die Qualifizierung der gebauten Zusammenhänge, ganz besonders am Standort eines Maximalversorgers, weiterentwickelt werden müssen.
Die Analyse der Bestandssituation gibt die Gesetzmäßigkeiten einer Arrondierung fast selbstverständlich vor. Der sehr ausgeprägte und taktgebende Bereich, nämlich die unzerstörte historische Anlage dieses Klinikums, die unter Denkmalschutz steht und damit größtmögliche Rücksichtnahme für sich reklamiert, gibt die stadträumlichen Entwicklungsachsen vor. Aus der Sicht des Architekten besteht nun die Aufgabenstellung für das Städtische Klinikum in Karlsruhe, nach Berücksichtigung dieser funktionalen Parameter eine architektonische Qualität zu entwickeln. Dabei sollen Fragestellungen des Städtebaus als identitätsstiftendes Merkmal fortgesetzt werden.
Jeder der sich mit Krankenhausplanung beschäftigt weiß, dass wir mit Gebäudedimensionen arbeiten, die möglicherweise nicht mit den feinen Kubaturen einer Pavillonstruktur kompatibel sind. Hier sind wir angehalten, den städtebaulichen Charakter der Geländeanlage in ihrer vorgegebenen Durchlässigkeit unbedingt zu erhalten. Das ist nicht nur eine Frage des Maßstabs, sondern auch eine Frage der Identifikation und Orientierung für Mitarbeiter, Patienten und Besucher. Als ganz wesentliches Merkmal haben wir eine Magistrale identifiziert, die immer schon existierte, den Gebäudezusammenhang allerdings bisher im Freien herstellte.
Die Notwendigkeit der nahezu unmittelbaren Vernetzung der einzelnen Gebäudeteile, und zwar ober- wie unterirdisch, wird in den Grundrissen deutlich. Die sehr schöne Parkanlage, in der die Pavillons sich über viele Jahre situiert haben, ist aus unserer Wahrnehmung unbedingt zu erhalten. Die Grünanlage wird in den Neubau durch Innenhöfe eingewebt. Sie schaffen Möglichkeiten, natürlich zu belichten und zu belüften, und die Konditionierung der Luft auf die hochfunktionalen innenliegenden Bereiche zu konzentrieren.
Rückbau ohne Interimszustände
Als ersten Realisierungsschritt haben wir das sogenannte „Haus I“ erstellt, es beherbergt ein Hochleistungslaboratorium für die Mikrobiologie, die Impfambulanz und die Apotheke mit eigener Medikamenten- und Zytostatika-Herstellung, inkl. eines Ausbildungs- und Schulungsbereichs. Diese Funktionalitäten lösen einen Altbau auf dem Gelände ab und müssen nun schon nicht mehr im eigentlichen neuen Behandlungsbau realisiert werden. Wir haben parallel inzwischen auch ein Energiegebäude gebaut. So sichern wir bereits jetzt auch die technischen Voraussetzungen für den zeitgemäßen und zukünftigen Medienbedarf.
Die historische Magistrale beginnend mit „Haus A“, dem Richtung Innenstadt ausgerichteten Eingangsgebäude ins Krankenhausgelände, wird am Endpunkt durch ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude markiert, in dem wir zukünftig als zentralen Mittelpunkt des Klinikum-Geländes die Cafeteria aller Mitarbeiter exklusiv aufnehmen wollen.
Funktionale Inhalte der Geschosse im Neubau
Die beiden Untergeschosse übernehmen den verkehrlichen Kurzschluss der Ver- und Entsorgung zu allen übrigen Krankenhausbauteilen, gewährleisten hier durch die Befahrbarkeit mit kleinen Transportern die Versorgung jeglicher Art von Gütern, ebenso wie die Verortung der wesentlichen haustechnischen Anlagen und die Personalumkleiden. Darüber beginnt sich das Gebäude über die Notfall- und Ambulanzebene im Gartengeschoss in die Höhe zu entwickeln. Sämtliche chirurgischen Fächer des Klinikums sind auf diesem Geschoss mit ihren jeweiligen Kliniken und Ambulanzen vereint und funktionieren jeweils in eigenen organisatorischen Einheiten mit eigenen Leitstellen und entsprechenden Funktionsräumen. Das dann organisatorische und räumliche Zusammenspiel mit dem stationären Klinikorganismus wird über die Magistrale sowohl horizontal als auch über die punktuell verteilte vertikale Erschließung aller darüber liegenden Geschosse abgewickelt. Es sind also je nach individuellem Bedarf sowohl die Ambulanzen oder aber über die Ambulanzen dann auch die stationären Einheiten, wie Intensivpflegen, OP-Ebenen oder Pflegegeschosse zu erreichen. Ziel dieser fein differenzierten Wegeführung ist grundsätzlich, den ambulanten, damit gehfähigen Patienten vom stationären, damit bettengeführten Betrieb zu trennen und unbedingt die Begegnungsmöglichkeiten oder Überschneidungen aus hygienischen Gründen zu minimieren.
Die schon auf der Ambulanzebene angelegte clusterförmige Grundstruktur der Grundrisse, setzt sich auf der Intensivpflege-Ebene mit den entsprechend dimensionierten Stationseinheiten für fast 80 Betten fort, wie auch auf dem sogenannten Invasiven-Geschoss mit den in gut organisierbare Einheiten geordneten 20 OP’s mit entsprechender Infrastruktur und der direkt in Anschluss räumlich organisierten Zentralsterilisation. Die Cluster sortieren und ordnen nicht nur die fast unüberschaubare Dimension der zusammen geführten hochkomplexen Funktionen, sondern sie ermöglichen auch die organisatorische Separierung bei gleichzeitiger interdisziplinärer Benutzbarkeit, sowohl die Erschließung als auch Überwachung oder Ver- und Entsorgung betreffend. Die direkt darüber liegende Technikebene bildet eine Zäsur zu den Pflegegeschossen, die gleichsam wie ein Penthouse über dem Behandlungsbau schweben, jeweils in zwei Stationsgruppen organisiert aufbauend auf vier Pflegegruppen und damit wieder in ihrer Systematik als zu- oder abschaltbare Einheiten. Also auch hier bildet der clusterartige Grundgedanke die geometrische Vorgabe der Grundrissorganisation.
Pandemietaugliche Modularität
Modulare Strukturen schaffen also die fast natürliche Voraussetzung einer Pandemie-Tauglichkeit eines Gebäudes dieser Komplexität. In der Berücksichtigung von Möglichkeiten der Separierung, der individuellen Erschließbarkeit von Funktionseinheiten oder der Schaffung von Bypass-Situationen, wird die Gebrauchsfähigkeit eines Behandlungsbaus in einer derartigen Extremsituation um ein Vielfaches gewährleistet. Geradezu scheibchenweise gelingt es, sowohl die Normalpflegeeinheiten als auch die Intensivpflegeeinheiten zu- oder auszuschalten innerhalb eines Organisationszusammenhangs, je nachdem, wie viel Betten notwendig sind. Gewährleistet werden kann, dass die übrigen Bereiche weder kontaminiert oder anderweitig durch die Extrembelastung gestört werden.
Ein Bedarf an Pflegekapazitäten, ausgelöst durch die unvorhergesehene pandemische Situation seit 2020 könnte ad hoc notwendig werden. Hier hätte bei Bedarf in Haus M ein Corona-Behelfskrankenhaus zur Verfügung gestellt werden können.Im Gegensatz zu einem Container-Krankenhaus war diese Idee eine echte Alternative. Mit unserem sehr engagierten Bauherrn erarbeiteten wir ein von der Baustelle völlig unabhängiges Szenarium zur Erschließung und Versorgung, das die Benutzbarkeit als Corona-Krankenhaus gewährleistet hätte.
Es war möglich, bereits fast fertiggestellte Funktionsbereiche in Betrieb zu nehmen. Wir hätten damit die Anfahrbarkeit und Erschließung für Patienten, die Umkleidesituation für die Mitarbeiter, die Versorgung mit allen Gütern und der notwendigen Haustechnik kreuzungsfrei zur Baustelle und zum übrigen Krankenhausbetrieb gewährleisten können. Damit hätten wir Intensivpflege- wie Normalpflegekapazität in großem Maß zusätzlich einrichten können. Wir hatten hierfür sowohl die Vergaberechtlichen Voraussetzungen geprüft, die extra unkompliziert an die besondere Situation im letzten Jahr angepasst wurden. Wir wären also in der Lage gewesen, weitere Bauaufträge zu erteilen, um die Ausbaugeschwindigkeit durch Erhöhung von personellen Kapazitäten bei den Firmen zu veranlassen.
Zudem hat der damit ausgelöste Druck auf die Geschwindigkeit zur Realisierung der Termine auf der Baustelle, die eigentliche Inbetriebnahme des Neubaus, auf fast natürliche Weise gesichert. Wie geplant werden wir den Neubau des „Haus M“ für das Städtische Klinikum Karlsruhe am 25. März 2021 einweihen.
Kontakt
AKG Bund Architekten für Krankenhaus und Gesundheitswesen im BDA e.V.
Köpenicker Str. 48 - 49
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