Aus den Kliniken

Pathomechanismen bei Herz-Kreislauf-Erkrankung entdeckt

08.11.2021 - Durch das größte Protein des menschlichen Körpers, Titin, können sich Muskeln elastisch bewegen. Mutationen im Titin-Gen (TTN) können diese Funktion beeinträchtigen und zur Erkrankung des Herzmuskels führen.

Welche Pathomechanismen dahinterstecken – also warum TTN-Mutationen krankheitsauslösend sind – war bislang unklar. Ein Experten-Team um Prof. Dr. Wolfgang Linke der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster untersuchte nun diese Pathomechanismen genauer und hat wegweisende Erkenntnisse gewonnen.

Durch das größte Protein des menschlichen Körpers, Titin, können sich die Muskeln – und damit auch das Herz – elastisch bewegen. Mutationen im Titin-Gen (TTN) können diese Funktion beeinträchtigen und sind damit eine häufige Ursache der sogenannten Dilatativen Kardiomyopathie, kurz DCM. Das ist eine Erkrankung des Herzmuskels, die zu einer schwachen Pumpfunktion führt. Welche Pathomechanismen dahinterstecken – also warum TTN-Mutationen krankheitsauslösend sind – war bislang unklar. Ein Experten-Team um Prof. Dr. Wolfgang Linke, Leiter des Instituts für Physiologie II der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, untersuchte nun diese Pathomechanismen genauer und hat wegweisende Erkenntnisse gewonnen. Die Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine veröffentlicht.

„Die Ursachen von DCM sind vielfältig. Die häufigste ist allerdings die TTN-Mutation“, sagt Projektleiter Wolfgang Linke. „Genau genommen geht es um Verkürzungen im Titin-Gen, sogenannte Trunkationen, kurz TTNtv.“ Die Verkürzung im Molekül betrifft allerdings nur eins der beiden TTN-Allele – also eine Genvariante – das andere Allel ist gesund. Klar ist: Die TTNtv sind seit etwa einem Jahrzehnt als Auslöser der DCM bekannt. Weshalb Patienten mit einem TTNtv-Allel an DCM erkranken, konnten die Wissenschaftler nun beantworten.

Anhand von über 100 menschlichen Herzgewebsproben entdeckte die Gruppe bislang unerkannte Pathomechanismen: Die TTNtv-DCM-Patienten enthalten in ihren Herzmuskelzellen weniger normales Titin als DCM-Patienten ohne TTNtv und als herzgesunde Menschen. Weniger Titin bedeutet weniger kontraktile – zum Zusammenziehen fähige – Einheiten. Das Resultat ist eine verminderte Kraftentwicklung und ein schwächeres Herz. „Das gesunde Allel produziert zwar normales Titin, kann die Schwäche des verkürzten Allels allerdings nicht kompensieren“, erklärt der Physiologe.

Außerdem beobachteten sie erstmals, dass TTNtv-DCM-Patienten trunkierte Titinproteine enthalten. Der Studienleiter erklärt: „Wir zeigen, dass die trunkierten Proteine den Herzmuskelzellen nichts mehr nützen, da sie nicht in die Sarkomere, die kleinsten kontraktilen Einheiten einer Muskelzelle, eingebaut werden.“ Stattdessen sammeln sich die trunkierten Proteine in intrazellulären Aggregaten, kleinen Partikeln innerhalb der Zellen. „Ähnlich wie bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer könnten diese verklumpten Proteine ‚giftig‘ sein.“

Eine weitere Erkenntnis: Die Herzmuskelzellen von TTNtv-DCM-Patienten haben ein Problem mit den intrazellulären Protein-Qualitätskontrollsystemen. Mutierte Proteine werden normalerweise möglichst schnell von Zellen durch intrazelluläre Abbausysteme beseitigt, durch die Produktion von trunkierten Proteinen kommen diese Systeme jedoch durcheinander. Wolfgang Linke ist hoch zufrieden: „Unsere Studie ist eine für das Feld wegweisende Arbeit“, betont der Titin-Experte.

Die Forschungsgruppe konnte nicht nur den Pathomechanismen näher auf den Grund gehen, sondern anhand eines Modellsystems aus menschlichen Zellkulturen auch Vorschläge machen, welche Maßnahmen bei TTNtv-DCM-Patienten für eine erfolgreiche Behandlung oder sogar Heilung der Krankheit ergriffen werden sollten. „Wir zeigen an Zellkulturen, dass die Genschere CRISP/Cas9 die Mutation wieder reparieren kann. Beim Patienten müsste die Genschere an Ort und Stelle ansetzen, also genau an der Herzmuskelzelle. Das ist in dieser Form noch nicht möglich – aber wenn es möglich wird, kann es die Patienten heilen“, erklärt Wolfgang Linke.

Die Studie entstand in enger Zusammenarbeit unter anderem mit der Kardiologie der münsterschen Uniklinik, dem Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen und der Universitätsmedizin in Göttingen, wo Wolfgang Linke eine Gastprofessur innehat. Unterstützt wurde die Arbeit durch zwei Förderlinien der Medizinischen Fakultät Münster (IZKF und MedK), die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung.

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