IT & Kommunikation

Patientenaufklärung: von analog nach digital und videomedial

03.11.2021 - Neue videobasierte Ansätze ermöglichen neben der rechtlichen Absicherung des Aufklärenden eine für Patienten verständliche, individualisierte Patientenaufklärung.

Mit der ubiquitären Verfügbarkeit neuer Medien ist die Einführung der digitalen Patientenakte unumkehrbar. Am eindrucksvollsten ist dieser Wandel bei der bildgebenden Diagnostik vollzogen. Andere klinische Bereiche liegen deutlich zurück, darunter auch die Patientenaufklärung. Zwar existieren einige analog-digitale Hybrid- oder volldigitale Lösungen, doch sind diese meist wenig individuell, wenig patientenverständlich und außerordentlich zeitintensiv. Individualisierbare, videobasierte Systeme erscheinen als sinnvolle Alternative mit Zukunftsperspektive.

Rechtliche Aspekte und Aufklärungsprozess

Jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit entspricht juristisch einer vorsätzlichen Körperverletzung. Rechtmäßig ist er erst, wenn der Patient in einem persönlichen Gespräch mit dem Arzt über Bedeutung und Tragweite seines Eingriffs aufgeklärt wurde und nach erfolgter Aufklärung schriftlich in den Eingriff eingewilligt hat. Bei operativen Eingriffen soll die Aufklärung mindestens einen Tag zuvor, bei größeren operativen Eingriffen am besten bereits zum Zeitpunkt der Terminvereinbarung erfolgen. Über kleinere ambulante Eingriffe kann der Arzt noch am Tag der Maßnahme aufklären. Wesentliche Funktion der Aufklärungspflicht ist die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten (Risikoaufklärung): Der Arzt muss über Diagnose und Verlauf, über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und über gängige Behandlungsalternativen aufklären. Umfang und Grenzen der Aufklärung sind nicht gesetzlich festgelegt. In jedem Falle sind solche Eingriffsrisiken aufklärungspflichtig, deren Eintritt das Leben des Patienten schwer belasten oder kosten würde; z. B. Entstellung, Lähmung, Inkontinenz, Dauerschmerz, Tod. Auch seltene Komplikationen müssen gegebenenfalls erwähnt werden. Die Patientenaufklärung beinhaltet zusätzlich die therapeutische Aufklärung (Sicherheitsaufklärung), innerhalb welcher der Arzt prä- und postoperative Risiken (z. B. Nüchternheitsgebot) erläutert.

Das alleinige Ausfüllen eines analogen Formulars ist als Aufklärungsmaßnahme unzureichend. Auf dem Dokument müssen die individuellen Umstände des Patienten erkennbar sein, z. B. durch handschriftliche Eintragungen oder Zeichnungen. Ist der Patient der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, so muss die Aufklärung in einer für den Patienten verständlichen Sprache erfolgen, notfalls durch Einschalten eines Dolmetschers und auf Kosten des Patienten. Die Vorlage eines Aufklärungsformulars ist auch in solchen Fällen nicht ausreichend.
Bei Komplikationen und einer nachweislich inkompletten Selbstbestimmungsaufklärung liegt die Beweislast beim Arzt, bei Komplikationen während der Therapie liegt sie bei Arzt und Patient. Da viele Patienten den Inhalt der Aufklärung rasch vergessen ist eine Unterschrift im Aufklärungsdokument dringend zu empfehlen. Der Patient hat einen Anspruch auf unverzügliche und unaufgeforderte Aushändigung der kompletten, kopierten Aufklärungsunterlagen. Er kann darauf auch verzichten, doch sollte der Arzt dies in der Patientenakte dokumentieren. Einer Einwilligung bedarf es nicht, wenn das Leben des Patienten bedroht ist, der Eingriff sofort durchgeführt werden muss und das Einholen einer Einwilligungserklärung unmöglich war.

Der Wandel von analogen zu digitalen Lösungen

Vor Verfügbarkeit digitaler Medien bestand die Patientenaufklärung ausschließlich in einem Arzt-Patienten-Gespräch mit oder ohne begleitende schriftliche Dokumentation. Diese war zunächst kaum standardisiert und in ihrer Qualität abhängig vom Erfahrungsschatz des aufklärenden Arztes. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden indikationsspezifische Aufklärungsbögen in Papierform verfügbar. Mittlerweile existieren analoge Aufklärungsbögen für nahezu alle Indikationen und in vielen Sprachen einschließlich solcher Passagen, in welchen der Patient Angaben zur Anamnese eintragen kann. Am Ende der Bögen ist die Patientenunterschrift zu leisten.

In vielen ambulanten und stationären Einrichtungen erfolgt die Patientenaufklärung weiterhin ausschließlich mittels analoger Medien. Mit der Verfügbarkeit digitaler Medien und dem Einzug der digitalen Patientenakte wandelt sich jedoch auch der Modus der Patientenaufklärung: Das Angebot nicht-analoger Möglichkeiten der Patientenaufklärung steigt derzeit kontinuierlich. Deren Einführung und Nutzung erfolgte jedoch nicht überall synchron. Im Ergebnis existiert in vielen Institutionen, insbesondere an großen Kliniken, ein fach-abhängiges Nebeneinander analoger und nicht-analoger Lösungen. Eine einheitliche, strukturell und wirtschaftlich sinnvolle Lösung scheitert u. a. an der Vielzahl angebotener Produkte und ihren unterschiedlichen Vor- und Nachteilen.

Einige Firmen bieten neben ihren analogen Aufklärungsbögen auch deren digitalisierte Version an. Vorteilhaft ist dabei die große inhaltliche und sprachliche Vielfalt. Über das Internet kann das Gesundheitspersonal die digital hinterlegten Bögen einschließlich relevanter Fragen zur Patientenanamnese aufrufen und simultan die im Klinikinformationssystem bereits hinterlegten Patientendaten integrieren. Die Umsetzung bei dieser Lösung ist jedoch weiterhin rein analog, indem die ausgedruckten Papierbögen händisch ausgefüllt und unterschrieben werden müssen. Weiterentwickelte, volldigitale Versionen bieten über gängige Schnittstellen den Zugriff auf die digital hinterlegten Dokumente. Der Patient kann bereits zu Hause die Anamnesebögen ausfüllen und die gegebenenfalls (nicht individualisierbaren) Videos ansteuern. Die eigentlichen Aufklärungsdokumente muss er jedoch mittels Klinik-Hardware (Tablet oder Laptop) vor Ort ausfüllen und elektronisch unterschreiben. Die vom Gesetzgeber geforderte Individualisierung erfolgt durch handschriftliche Anmerkungen auf dem Papierbogen oder dem Touchscreen des Tablets. Nach Abschluss der Aufklärung werden die Dokumente im pdf-Format gespeichert.

Einige private Klinikträger bieten auf ihrem YouTube-Kanal Aufklärungsfilme zu Behandlungs- und Operationsmethoden an. Eine Individualisierung ist unmöglich und die eigentliche ärztliche Aufklärung erfolgt zusätzlich und konventionell, entweder analog oder mittels der oben erwähnten Methodik. Zusammenfassend erscheint der Transfer eines Papierbogens in ein digitales pdf-Format als wenig innovativ und ohne wesentlichen Mehrwert für den Patienten. Der Fokus liegt nämlich nach wie vor auf einer rechtlichen Absicherung von Kliniken und Ärzten durch reines Aufsummieren medizinischer Fachtermini. Mit den vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Medien wäre ein Paradigmenwechsel möglich, indem man die medizinischen Inhalte in einer für den Patienten verständlichen und psychologisch sinnvollen Weise aufbereitet und vermittelt.

Das Start-up Medudoc hat sich diesem Ziel gewidmet: Innerhalb seiner volldigitalen, ausschließlich videobasierten Lösung sind für jedes Krankheitsbild bzw. jeden Eingriff Dutzende vorproduzierter Videoschnipsel quasi als Baukastensystem verfügbar. Dar­aus kann der aufklärende Arzt zum Zeitpunkt der Erstvorstellung mittels Anklicken auf dem Bildschirm ein genau auf das Individuum abgestimmtes Gesamtvideo zusammenstellen. Der Vorgang dauert maximal zwei Minuten und kann durch Vorauswahl auf Sekunden verkürzt werden. Anschließend kann der Arzt dem Patienten den Link zum Video digital (z. B. per E-Mail) zur Verfügung stellen. Der Patient kann sich das Video (auch mehrmals) entweder von zu Hause oder in der Klinik vor Ort anschauen und unterschreibt beim vorgeschriebenen endgültigen Arztkontakt das Aufklärungsvideo. Vorteilig ist die nachweislich verbesserte Patientenzufriedenheit und die Verkürzung des Patienten-Aufklärungsgespräches um bis zu 50 %.

Die Verfügbarkeit digitaler Medien ermöglicht einen Paradigmenwechsel bei der Patientenaufklärung. Gegenwärtig verfügbare Lösungen nutzen diese Möglichkeiten jedoch unzureichend, indem sie lediglich die analogen Aufklärungsbögen als pdf-Dateien umgewandelt über digitale Hardware (z. B. Tablets) anbieten. Sie fokussieren in erster Linie auf die rechtliche Absicherung des Aufklärenden und weniger auf eine patientengerechte, visualisierte, individualisierte Informationsaufarbeitung.  Darüber hinaus sind diese Lösungen redundant und zeitaufwendig. Die von Medudoc entworfene videomediale Lösung zur Patientenaufklärung könnte hier wegbereitend sein: Durch Einbeziehung von Ärzten und Patienten in die Produktentwicklung werden die veralteten, starren Patientenaufklärungsmodalitäten ersetzt durch eine zeitgemäße und für beide Seiten sinnvolle Lösung.

Autor: Prof. Dr. Lothar Schweigerer, Senior
Medical Officer, Medudoc Education GmbH, Berlin

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