Rostocker Forscher-Team entwickelt Algorithmus zur besseren Therapie von Covid-Patienten
26.04.2021 - Die Rostocker Physikerin Lisa Krukewitt hat einen Algorithmus entwickelt, der die Lungenüberdehnung und die regionale Beanspruchung des fragilen Lungengewebes bei Covid-Patienten bestimmen kann.
Das lässt die internationale Fachwelt aufhorchen und bedeutet Hilfe für schwer kranke Covid-Patienten. Krukewitt forscht an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie der Rostocker Universitätsmedizin.
„Eine tolle Leistung“, würdigt Dr. Stephan H. Böhm, Koordinator der Forschung an der Rostocker Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie. Die Rostocker Intensivmediziner haben aktuell bei der Behandlung dieser Covid-Patienten nach einer Möglichkeit gesucht, die gefährliche Überbeanspruchung genau zu bestimmen, um die Beatmung auf den Punkt genau zu regulieren. Warum das so wichtig ist, erklärt Dr. Böhm so: „Die Lunge von Patienten mit Covid-19 ist fleckförmig stark entzündet und verliert dadurch an Gasvolumen. Mit fortschreitender Krankheit wird sie funktionell immer kleiner. Trifft nun ein Atemzug normaler Größe auf solch eine erkrankte Lunge, wird er diese weit mehr als normal dehnen, um das für den Gasaustausch benötigte Volumen an frischem Atemgas unterzubringen. Geschieht dies nun mit jedem Atemzug – um die 30000 Mal pro Tag – so wird das bereits in Mitleidenschaft gezogene Lungengewebe durch diese mechanische Dauerbeanspruchung noch weiter geschädigt. Ein Teufelskreis beginnt“.
Sein Credo: „Die Forschung kann nur erfolgreich sein, wenn unsere Ideen in Algorithmen und Geräten umgesetzt werden können.“ Und da sei die 31-jährige Physikerin genau die Richtige. „Wir wussten, dass wir nach einem Verhältnis von Atemzugvolumen zu Lungenvolumen suchen mussten“, blickt Krukewitt zurück. Allerdings nicht für die gesamte Lunge, sondern für deren kleinste Areale. Sie habe Bilddaten von Corona-Patienten mit denen von gesunden Probanden verglichen. So sei sie rechnerisch einer Lösung auf die Spur gekommen. Und ahnte nicht, dass sie eine Erfindung auf den Tisch legen würde.
Warum das so gut funktionierte? Der Rostocker Mediziner Dr. Stephan H. Böhm hat als einer der ersten weltweit die Elektrische Impedanz-Tomografie (EIT) weiterentwickelt. „Das ist eine Messmethode, mit der Änderungen des elektrischen Widerstands (Impedanz), der in verschiedenen Geweben mithilfe von Elektroden an der Körperoberfläche abgeleitet und durch ein Computersystem grafisch dargestellt werden kann“, erklärt der 57-Jährige.
Ohne Zeitverzug erkennen, was normal ist und was nicht
Die EIT könne beispielsweise für eine Funktionsanalyse der Lungen angewendet werden. „Und man erkennt ohne Zeitverzug, was normal ist und was nicht“, sagt Dr. Böhm. „Das ist so mit Hilfe des CT oder MRT nicht möglich“. Im Klartext: „Wir messen die Impedanz des Gewebes ohne jegliche Nebenwirkungen und so schnell, dass wir daraus 50 Schnittbilder pro Sekunde daraus erstellen können. So können wir sprichwörtlich der Lunge beim Atmen zusehen“. Um die Impedanz des Gewebes zu messen, werden dem Patienten 32 Messelektroden um den Brustkorb angelegt. „So können wir uns den Brustkorb von allen Seiten ansehen“, schildert der Spezialist. Das Verfahren biete 50 Bilder pro Sekunde. „Man kann der Lunge beim Atmen zusehen“, beschreibt Dr. Böhm das Verfahren. Und man könne sofort erkennen, ob der Patient auf die Therapie reagiert und einen Trend erkennen. Übrigens: Dr. Böhm ist auch Mitautor eines aktuell erschienenen Lehrbuches, das fachfremden Ärzten und Pflegekräften den Schnelleinstieg in die intensivmedizinische Beatmung von Covid-Patienten ermöglicht.
Unterstützt wurde Lisa Krukewitt bei der Erfindung vom Patentingenieur Lars Worm von der Firma Universität Rostock Service. Er konstatiert: „Das Beispiel zeigt, dass Krisen, wie die aktuelle Pandemie, auch immer Innovationsmotoren darstellen können. So bietet die Erfindung auch für andere Lungenerkrankungen großes Potenzial, die Behandlung von Patienten mittels mechanischer Beatmung individuell zu optimieren“. Auch die Industrie ist begeistert. „Durch die guten Kontakte von Dr. Böhm wurde frühzeitig ein passender Unternehmenspartner gefunden, der von der Erfindung überzeugt ist und das entsprechende Know-how frühzeitig von der Hochschule erworben hat.“ so Worm, der die Gespräche und Verhandlungen begleitete.
Im nächsten Schritt soll der erfindungsgemäße Ansatz nun zusammen mit dem Team rund um Dr. Böhm, Dr. Sven Pulletz und Lisa Krukewitt zur Marktreife weiterentwickelt werden. Damit die Patienten so schnell wie möglich davon profierten können.