Telemedizin kann Versorgungslücken schließen
08.01.2025 - Telemedizin hilft über räumliche Distanz hinweg z. B., um Diagnostik, Konsultation, Monitoring und medizinische Notfalldienste anzubieten.
In Deutschland hat die Telemedizin in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch die COVID-19-Pandemie, die den Bedarf an kontaktlosen Gesundheitsdiensten erhöht hat. Allein bis zum Jahr 2027 rechnet man mit einer Verdreifachung des Volumens. Mit der fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen und der steigenden Akzeptanz von Patienten und Leistungserbringern stellt sich jedoch die Frage, welche Vor- und Nachteile die Telemedizin mit sich bringt.
Während der Pandemie wurden die technologischen Hürden für den Zukunftsmarkt der Telemedizin international in kürzester Zeit niedergerissen. Die Not war groß; zu Beginn der Pandemie stand kein Impfstoff zur Verfügung. So wurden die Vorteile der digitalen Fernbehandlung sehr schnell deutlich: Möglichst viele Videosprechstunden im Netz minimieren Körperkontakt und verlangsamen die Ausbreitung des Virus. Einer der bedeutendsten Vorteile der Telemedizin ist jedoch die Chance, den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere in ländlichen oder unterversorgten Regionen. In Deutschland gibt es immer noch Regionen, in denen eine akute Unterversorgung mit Ärzten herrscht, besonders in Fachdisziplinen wie Dermatologie, Psychiatrie oder Neurologie.
Vorteile überwiegen (fast) immer
Die demografischen Veränderungen, die geplante Krankenhausreform, die zunehmende Ambulantisierung und der Fachkräftemangel werden die Gesundheitsdienstleistungen in Deutschland erheblich beeinflussen. Eine Machbarkeitsstudie „Telemedizin in Baden-Württemberg“ im Auftrag des Bosch Health Campus analysierte Veränderungen und skizziert Lösungsansätze, wie Versorgungslücken durch verstärkte Nutzung der Telemedizin geschlossen werden können. Der Fokus liegt hierbei auf telemedizinischen Leistungen, die von medizinischen, pflegerischen oder technischen Fachkräften für andere Fachkräfte bereitgestellt werden, um die Behandlung von Patienten zu ermöglichen. Auch für Ärzte bedeutet die Telemedizin einen erheblichen Zeitgewinn. Patienten können von zu Hause oder von ihrem Arbeitsplatz medizinische Beratungen in Anspruch nehmen, ohne in einer Praxis warten zu müssen. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder chronischen Erkrankungen profitieren von der Möglichkeit, medizinische Dienste von zu Hause aus in Anspruch zu nehmen. Dazu bietet die Telemedizin Flexibilität für Ärzte: Konsultationen können effizienter geplant und durchgeführt werden, da weniger räumliche und logistische Herausforderungen bestehen.
Zugang zur Gesundheitsversorgung
Einer der bedeutendsten Vorteile der Telemedizin ist die Möglichkeit, den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen zu erleichtern. Durch telemedizinische Konsultationen können Patienten in unterversorgten Gebieten Zugang zu Spezialisten erhalten, ohne lange Anfahrtswege und Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen. Hintergrund: Nach der geplanten Krankenhausreform werden viele Personen eine längere Fahrtzeit als 30 Minuten haben. Für Patienten und Ärzte bedeutet die Telemedizin einen erheblichen Zeitgewinn. Auch für Ärzte bietet die Telemedizin Flexibilität: Konsultationen können effizienter geplant und durchgeführt werden, da weniger räumliche und logistische Herausforderungen bestehen.
Systematische Kostensenkung
Telemedizin hat das Potenzial, Kosten zu senken. Für Patienten entfallen Reisekosten und Verdienstausfälle aufgrund von Arbeitsausfall. Auch das Gesundheitssystem kann durch eine effizientere Nutzung medizinischer Ressourcen, wie der Reduzierung unnötiger Notfallbesuche oder stationärer Aufnahmen, profitieren. Studien zeigen, dass die Implementierung von Telemedizin in chronischen Krankheitsmanagementprogrammen, z. B. bei Diabetes oder Herzinsuffizienz, Krankenhausaufenthalte und sogar Notfallbesuche reduzieren kann. Telemedizin bietet neue Möglichkeiten in der präventiven Medizin und der Nachsorge. Patienten mit chronischen Erkrankungen können regelmäßig überwacht werden, ohne dass sie für jede Konsultation eine Arztpraxis aufsuchen müssen. Auch in der Nachsorge von Operationen oder bei psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, kann die telemedizinische Betreuung eine wertvolle Ergänzung sein, da sie eine intensive und kontinuierliche Überwachung zulässt.
Herausforderungen und Nachteile
Obwohl Telemedizin in vielen Bereichen wertvoll ist, kann sie nicht für alle medizinischen Szenarien dienen. Die telemedizinische Konsultation schränkt die körperliche Untersuchung ein, was in bestimmten Fällen eine präzise Diagnose erschwert. Zum Beispiel sind für die Diagnose von Hautkrankheiten oder orthopädischen Problemen oft detaillierte physische Untersuchungen notwendig, die über Video oder Telefon nur eingeschränkt möglich sind. Ein wesentlicher Nachteil der Telemedizin ist die Abhängigkeit von Technologien, die nicht allen Patienten gleichermaßen zugänglich sind. Besonders ältere Menschen oder Personen aus sozial schwächeren Schichten haben oft Schwierigkeiten, die erforderlichen Geräte und Internetverbindungen zu nutzen. In Deutschland haben viele ländliche Gebiete zudem noch immer eingeschränkten Zugang zu stabilen Breitbandverbindungen, was telemedizinische Anwendungen stark beeinträchtigen oder sogar unmöglich machen kann.
Ethische und rechtliche Fragen
Die Telemedizin steht trotz ihrer Vorteile auch vor Herausforderungen wie Datenschutzbedenken, Sicherheitsrisiken und technischen Barrieren. Lösungsansätze umfassen die Implementierung strenger Datenschutzrichtlinien, den Einsatz fortschrittlicher Verschlüsselungstechnologien zur Datensicherung und die Verbesserung der digitalen Infrastruktur, um einen breiteren Zugang zu ermöglichen. Die Telemedizin wirft auch ethische und rechtliche Fragen auf. So stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Arztes bei Fehldiagnosen oder Behandlungsfehlern, die auf die eingeschränkte Behandlungssituation zurückzuführen sind. Darüber hinaus gibt es nach wie vor einige rechtliche Unsicherheiten bezüglich der Abrechnung telemedizinischer Leistungen. Ein weiterer oft genannter Nachteil der Telemedizin ist der fehlende direkte, persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient. Viele Patienten schätzen die persönliche Interaktion mit ihrem Arzt und empfinden die telemedizinische Konsultation als unpersönlich. Auch für Ärzte kann der direkte Kontakt zu ihren Patienten, der es ihnen ermöglicht, nonverbale Hinweise wie Körpersprache zu erkennen, in vielen Fällen von großer Bedeutung sein.
Dezentrale Zukunft der Telemedizin
Trotz der genannten Nachteile gibt es keinen Zweifel daran, dass die Telemedizin in Deutschland eine bedeutende Rolle in der Zukunft des Gesundheitssystems spielen wird. Die Bundesregierung hat bereits mit verschiedenen Initiativen und Gesetzesreformen, wie dem „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG), den rechtlichen Rahmen für eine verstärkte Nutzung der Telemedizin geschaffen. Auch die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezepts fördern die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Langfristig wird die Telemedizin insbesondere durch technologische Fortschritte, wie KI, Big Data und maschinelles Lernen, weiterentwickelt werden. Diese Technologien könnten in Zukunft diagnostische Lücken schließen, indem sie komplexe Datenmengen analysieren und dem Arzt wertvolle Entscheidungshilfen bieten. Zudem ist mit einer weiteren Verbreitung von Wearables und Sensoren zu rechnen, die den Weg ebnen, Gesundheitsparameter wie Herzfrequenz, Blutdruck oder Blutzucker kontinuierlich zu überwachen. Die Akzeptanz und die Nutzung der Telemedizin werden in den kommenden Jahren weiter steigen, besonders wenn technologische Barrieren abgebaut und Datenschutzbedenken adressiert werden.
Autor: Hans-Otto von Wietersheim, Bretten