Therapie verengter Halsschlagadern
22.09.2021 - Eine durch Arteriosklerose bedingte Verengung einer Halsschlagader (Carotisstenose) kann das Schlaganfallrisiko erhöhen. Operation und Stent sind laut einer aktuellen Studie gleichwertig zur Schlaganfallprophylaxe geeignet.
Zur Behebung der Stenose, um einem Schlaganfall vorzubeugen, gibt es zwei Möglichkeiten: den Carotis-Stent und eine offene Gefäßoperation. Nach beiden Eingriffen besteht jedoch eine kurzfristige Erhöhung des Schlaganfallrisikos. Die ACST-2-Studie [1] sollte klären, welches Vorgehen bei einer asymptomatischen Carotisstenose das bessere Nutzen-Risiko-Verhältnis hat. Es zeigte sich, dass im Kurzzeitergebnis sowie über fünf Jahre beide Verfahren gleichwertig waren.
Schlaganfälle können verschiedene Ursachen haben, in den meisten Fällen handelt es sich um sogenannte ischämische Schlaganfälle, also eine Unterbrechung der Durchblutung eines Gehirnareals. Ursächlich sind oft Verschlüsse von Hirnarterien durch Arteriosklerose und/oder Blutgerinnsel z.B. aus dem Herzen. Aber auch Partikel von arteriosklerotischen Plaques* der Halsschlagadern (Arteria carotis), die mit dem Blut mitgerissen werden, können einen Schlaganfall auslösen. Mit Zunahme der Plaques bzw. fortschreitender Gefäßverengung (Stenosierung) der A. carotis interna steigt auch das Schlaganfallrisiko. Als Symptom einer Carotisstenose bzw. als Vorzeichen eines drohenden Schlaganfalls kann es zu einer sogenannten TIA (transitorischen ischämischen Attacke) kommen – diese geht mit Schlaganfallsymptomen, z. B. Sehstörungen oder Lähmungen einher, die jedoch nur kurzzeitig anhalten (Minuten bis maximal wenige Stunden) und sich dann wieder zurückbilden. Eine asymptomatische Carotisstenose ist dagegen ein Zufallsbefund. Auch Stenosen mit Einengungen von weit über 50% können asymptomatisch sein und werden meist im Rahmen eines Gefäßscreenings entdeckt. Hochgradige asymptomatische Carotisstenosen können das Schlaganfallrisiko erhöhen und behandelt werden.
Verfügbare Behandlungsmethoden
Es stehen hierfür zwei Behandlungsmethoden zur Verfügung: das Carotis-Stenting („carotid artery stenting“/CAS – analog dem Stenting von Koronararterien) und das gefäßchirurgische Verfahren der Carotis-Endarteriektomie (CEA), eine offene Gefäßoperation, bei der die Ablagerungen praktisch vollständig aus der A. carotis „herausgeschält“ werden. Ob und wann bei asymptomatischen Carotisstenosen eine Intervention erfolgen sollte, wird in Fachkreisen weltweit nicht immer einheitlich diskutiert, denn beide Prozeduren erhöhen kurzfristig (perioperativ) das Schlaganfallrisiko. Das Risiko für asymptomatische Patientinnen und Patienten, einen Schlaganfall in Folge der Intervention (=prozeduralen Schlaganfall) mit bleibender Behinderung zu erleiden oder zu versterben, liegt nach deutschen Registerdaten [2] für beide Methoden bei 0,7 %. Insgesamt war allerdings die bisherige Evidenz für das Vorgehen bei asymptomatischer Carotisstenose nicht zufriedenstellend, da in randomisierten Studien nicht genug Patienten eingeschlossen worden waren.
Ziel der kürzlich publizierten, internationalen, multizentrischen ACST-2-Studie [1] war, eine ausreichend große Patientenzahl zu rekrutieren und das Risiko-Nutzen-Profil beider Verfahren zu vergleichen. In 130 Zentren aus 33 Ländern wurden 3.625 Patienten mit asymptomatischer Carotisstenose eingeschlossen. Die Carotisstenosen wurden sonografisch diagnostiziert (Verengung ≥60%); es bestand bei allen Studienteilnehmenden eine Indikation zur Intervention. Alle Patientinnen und Patienten erhielten eine optimale Behandlung bekannter Risikofaktoren, sie wurden randomisiert mit CAS (n=1.811) oder CEA (n=1.814) behandelt und einen Monat lang nachbeobachtet, gefolgt von jährlichen Follow-up-Untersuchungen für im Mittel fünf Jahre.
Langzeitdaten erwartet
Insgesamt erlitten 1% der Betroffenen innerhalb von 30 Tagen einen prozeduralen Schlaganfall mit bleibender Behinderung oder verstarben (15 in der CAS-Gruppe, 18 in der CEA-Gruppe). Ungefähr 2% hatten prozedurale Schlaganfälle ohne bleibende Behinderung (48 in der CAS-Gruppe sowie 29 in der CEA-Gruppe). Die nicht-prozedurale Schlaganfallrate (tödlich oder mit Behinderung) über fünf Jahre betrug in jeder Gruppe ca. 2,5 % – und für Schlaganfälle aller Ursachen 5,3% in der CAS-Gruppe versus 4,5% in der CEA-Gruppe (keine Signifikanz). In der Zusammenschau mit allen früheren CAS-versus-CEA-Studien war das nicht-prozedurale Schlaganfallrisiko bei symptomatischen und asymptomatischen Patientinnen und Patienten ähnlich. Das Follow-up der ACST-2-Studie wird fortgesetzt, um weitere Langzeitdaten zu erhalten.
„Schwere Komplikationen sind heute bei fachgerechter Durchführung beider Methoden selten. Der Nutzen bzw. die langfristige Risikoreduktion über fünf Jahre sind ebenfalls vergleichbar“, kommentiert Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Wir haben nun eine gute Evidenzlage beim Vergleich von CAS und CEA bei asymptomatischer Carotisstenose, können aber keine Empfehlung für das eine oder andere Verfahren ableiten. Wenn die Indikation für einen Eingriff besteht, sollten Ärzte gemeinsam mit den Patienten die Therapieentscheidung individuell treffen.“
Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, DGN-Pressesprecher, bemängelt allerdings, dass in der Studie der Vergleich mit der bestmöglichen konservativen Behandlung fehlt, welche Lebensstilmodifikationen und eine medikamentöse Therapie der Gefäßrisikofaktoren, wie Blutdruck- oder Blutfettsenker umfasst. „Möglicherweise gibt es einzelne Patienten, bei denen auf einen Eingriff ganz verzichtet werden kann.“
Literatur
[1] Halliday A, Bulbulia R, Bonati LH et al. Second asymptomatic carotid surgery trial (ACST-2): a randomised comparison of carotid artery stenting versus carotid endarterectomy. Lancet 2021 Aug 27; S0140-6736(21)01910-3 doi: 10.1016/S0140-6736(21)01910-3. Online ahead of print.
[2] Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG). Karotis-Revaskularisation. https://iqtig.
org/qs-verfahren/qs-karotis/ (accessed July 22, 2021).