Auszeichnungen

Tuberkulosebakterium: Ein Life Sciences Bridge Award geht an Vivek Thacker

01.10.2024 - Jeder dritte Mensch trägt das Tuberkulosebakterium in sich, meist ohne daran zu erkranken. Dennoch fordert die Tuberkulose jährlich weit mehr als eine Million Todesopfer.

Die Frage, wie genau es M. tuberculosis gelingt, sowohl der Immunabwehr als auch antibiotischer Behandlung zu trotzen, ist offen. Indem er die Vorgänge bei einer TB-Infektion auf einem Biochip simulierte, hat Dr. Vivek Thacker (35) diese Frage teilweise beantwortet: M. tuberculosis-Stränge fesseln den Zellkern infizierter Makrophagen und unterdrücken dadurch deren Immunantwort. Um Thacker den Weg zu einer unbefristeten Professur zu ebnen, verleiht ihm die Aventis Foundation heute Abend einen Life Sciences Bridge Award.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation erkrankten 2022 schätzungsweise 10,6 Millionen Menschen an TB, die meisten von ihnen in Südostasien und Afrika, ungefähr 1,3 Millionen Menschen starben daran. Mehr Opfer als die vorwiegend in den Ländern des Globalen Südens vorkommende TB-Epidemie forderte 2022 nur die COVID-19-Pandemie. Eine effektive Impfung gegen Tuberkulose gibt es nicht, die langwierigen Antibiotikatherapien versagen oft, auch wegen der steigenden Zahl multiresistenter Bakterienstämme. „Die Tuberkulose-Forschung hat leider zu selten Zugang zu modernsten Technologien“, sagt Dr. Vivek Thacker.

Das Lung-on-a-Chip (LoC)-System ist eine solche Technologie. Mit einer porösen und dehnbaren Membran bietet es die Möglichkeit, den Atemvorgang in einem Lungenbläschen zu simulieren. Die Oberseite der Membran ist mit Epithelzellen beschichtet, über die Luft strömt, die Unterseite mit Endothelzellen, unter denen eine blutähnliche Flüssigkeit fließt. Dieses System wurde am Wyss Institute der Harvard University entwickelt. Als Postdoktorand in der Gruppe von Prof. John McKinney am Global Health Institute der École Polytechnique Fédèrale in Lausanne (EPFL) gelang es Vivek Thacker als Erstem, es für die Tuberkuloseforschung nutzbar zu machen. Durch Zugabe von Makrophagen und von M. tuberculosis konnte er auf einem adaptierten LoC den TB-Infektionsvorgang nachvollziehen und mit Lebendzellmikroskopie im Zeitraffertempo dokumentieren.

Die Tuberkulose wird initial durch ein winziges Spucketröpfchen übertragen, das nur ein oder zwei Bakterien enthält und in irgendeines der 300 Millionen Lungenbläschen (Alveolen) vorgedrungen ist. Zumindest bei manchen Menschen, während es vielen anderen gelingt, die Infektion abzuwehren. Dabei kommt dem spülmittelartigen Surfactant, das die alveolaren Epithelzellen produzieren, eine Schutzfunktion zu, die Thacker mit dem LoC aufzeigen konnte. In Tierversuchen wäre dieser Beweis nicht möglich gewesen, weil Surfactant zum Atmen notwendig ist.

M. tuberculosis ist in der Lage, sich in den Wirtszellen, die es infiziert und geentert hat, lange zu verstecken, ohne bei den Betroffenen Krankheitssymptome auszulösen. Dass dabei die Fähigkeit der Bakterien, sich zu dichten Strängen zusammenzulagern, eine Rolle spielt, ist lange bekannt. Wie und warum diese Stränge zu einer Infektion beitragen, blieb jedoch weitgehend unklar. Thackers Antwort: Die Bakterien nutzen diese Stränge gleich zu Beginn einer Infektion, um schon den Kern der ersten überfallenen Zelle zu fesseln. Zwar kann ein TB-Bakterium sowohl in eine Epithelzelle als auch in einen Makrophagen eindringen, bevorzugt aber letztere. Indem es sich darin vermehrt, dreht es dem Kern der Immunzelle einen Strick, der ihn so stark komprimiert, dass er keine warnenden Botenstoffe mehr bilden kann. Die Energie dafür beziehen die Bakterien offenbar aus der gespeicherten hydrophoben Anziehungskraft der Lipide ihrer äußeren Membranen während der Zusammenlagerung.

Vivek Thacker ist in Indien aufgewachsen, wo die Tuberkulose besonders häufig vorkommt. Im Natural Sciences Tripos-Studiengang der englischen Universität Cambridge spezialisierte er sich auf das Fach Physik, das er am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge/USA vertiefte. Zurück in England, promovierte er über ein Thema aus der Biophysik und schloss sich danach 2015 der auf M. tuberculosis fokussierten Gruppe von John McKinney am EPFL an. Seit Oktober 2023 leitet er eine eigene Forschungsgruppe am Zentrum für Mikrobiologie des Universitätsklinikums Heidelberg.

In einem Kooperationsprojekt will er nun mit Hilfe von Cryo-Elektronenmikroskopie genau feststellen, nach welchen Regeln sich die TB-Bakterien in einem Strang miteinander verknüpfen. „Wenn wir das wissen, können wir sie leichter voneinander trennen und damit besser für Antibiotika zugänglich machen.“

„Mit einer interdisziplinär entwickelten Technologie spürt Vivek Thacker dem Ursprung der Tuberkulose nach. Seine Forschung kann zu neuen therapeutischen Ansätzen gegen diese furchtbare Krankheit führen“, sagt Prof. Werner Müller-Esterl, Vorsitzender der Jury des Life Sciences Bridge Award. „ Wir möchten ihm mit diesem Preis über die Brücke zu einer unbefristeten Professur helfen.“

Der Life Sciences Bridge Award ist einer der höchstdotierten Nachwuchspreise Deutschlands. Er wird jährlich an drei Preisträger*innen vergeben, die an deutschen Universitäten forschen. Sie erhalten jeweils 100.000 Euro. Zehn Prozent davon dürfen sie für persönliche Zwecke nutzen, der Rest ist der Finanzierung ihrer Forschung vorbehalten.

Die Aventis Foundation ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie dient der Förderung von Kunst und Kultur sowie von Wissenschaft, Forschung und Lehre.

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