Würzburger Anästhesistin als Senkrechtstarterin ausgezeichnet
24.02.2025 - Thieme Management Award 2024 für Nora Schorscher, Leiterin des Projekts „Tele-Intensivmedizin in Bayern“
Dr. Nora Schorscher von der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) wurde am 20. Februar im Wasserwerk in Berlin mit dem Thieme Management Award 2024" ausgezeichnet. Neben Dr. Susanne Ozegowski, die als „Managerin des Jahres“ geehrt wurde, setzte sich Nora Schorscher als „Senkrechtstarterin“ durch. Die Anästhesistin hat mit der Entwicklung eines mobilen Teleintensivwagens den Aufbau telemedizinischer Netzwerkstrukturen in Bayern vorangetrieben. Der Wagen vernetzt Fachärzt*innen der Universitätskliniken mit medizinischem Personal in Partnerkrankenhäusern und hilft, die Zusammenarbeit zwischen den Kliniken auszubauen, Spezialwissen schneller abzurufen und die Patientenversorgung auch im ländlichen Raum zu verbessern.
Laut Wikipedia sind Senkrechtstarter Flugzeuge, Drohnen oder Raketen, die keine Startbahn, also keinen Anlauf benötigen, um abzuheben. Die Thieme Gruppe würdigt im Rahmen ihres Management Awards junge Führungskräfte, die eine außergewöhnliche Karriere vorweisen, als „Senkrechtstarter*in“. In diesem Jahr darf sich Dr. Nora Schorscher, Anästhesistin am Uniklinikum Würzburg (UKW), über die Auszeichnung freuen. In der Tat hat die 37-Jährige als Leiterin des Pilotprojekts „Tele-Intensivmedizin in Bayern“ einen echten Senkrechtstart hingelegt. Anders ausgedrückt: Sie hat nach jahrelangem Leerlauf der Tele-Intensivmedizin einen Raketenstart verpasst.
Barrieren abbauen und Expertise aus Maximalversorgung flächenweit zur Verfügung stellen
Das Bayerische Wissenschaftsministerium hatte bereits im Jahr 2015 den sechs bayerischen Universitätskliniken Fördergelder für ein teleintensivmedizinisches Pilotprojekt bewilligt, um die Sterblichkeit und Aufenthaltsdauer von Patient*innen auf Intensivstationen und die Behandlungskosten zu reduzieren. Ziel war die Schaffung teleintensivmedizinischer Netzwerkstrukturen, sodass periphere Krankenhäuser von der intensivmedizinischen Expertise der Kolleg*innen in den Universitätskliniken profitieren und in virtuellen Visiten gemeinsam über die weitere Behandlung entschieden werden kann. Doch keines der damals vorhandenen Telemedizin-Systeme erfüllte die Anforderungen, weshalb das Projekt nicht realisierbar schien. Bis Prof. Dr. Patrick Meybohm, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des UKW, im Jahr 2021 Nora Schorscher ins Boot holte.
Mobiler Teleintensivwagen mit zahlreichen Features für Partnerkrankenhäuser
Die gebürtige Fränkin, die erst vier Jahre zuvor ans UKW gekommen war, fühlte sich überrumpelt, bezweifelte, dass sie die Richtige für das Projekt sei. Doch mit ihrem Mut, ihrer Tatkraft und Empathie war sie letztendlich goldrichtig. Innerhalb eines Jahres hatte sie mit ihrem Team aus Fachleuten aus der Intensivmedizin und dem Servicezentrum Medizin-Informatik (SMI) den Prototyp eines mobilen Wagens für die intensivmedizinische Tele-Visite konzipiert. Namentlich erwähnen möchte Nora Schorscher hier vor allem ihre Kollegen Maximilian Göpfert, Daniel Röder, Jürgen Brugger, Axel Steinke sowie Patrick Meybohm und Helmut Greger als Leiter des SMI.
Und so funktioniert er: Der mobile Teleintensivwagen, ausgestattet mit mehreren hochauflösenden Kameras, Dokumentenscannern und vielen weiteren Features, steht im jeweiligen Partnerkrankenhaus. Die Ärzt*innen des Universitätsklinikums schalten sich per Zoom in die Visite ein und erhalten einen umfassenden Eindruck vom Zustand der Patientin oder des Patienten, so dass sie mit ihrem Spezialwissen das Partnerkrankenhaus bei der weiteren Versorgung beraten können. Mit einer Augmented-Reality-Brille können die zugeschalteten Klinikerinnen und Kliniker die Patientinnen und Patienten mit den Augen der anwesenden Kolleg*innen im lokalen Krankenhaus sehen, sogar die Kamera auf dem Wagen steuern und mit 30-fachem Zoom in bestimmte Bereiche fahren. Gleichzeitig werden die hohen Anforderungen des deutschen Datenschutzes erfüllt, da die Daten im Partnerkrankenhaus verbleiben.
Nora Schorscher hatte zwischen ihrer täglichen Arbeit im OP, auf der Intensivstation, im Notarztwagen und im Intensivtransportwagen – eben der Vielfalt, die sie in der Anästhesie so liebt – einige Herausforderungen zu meistern, bis der mobile Wagen alle Anforderungen und Voraussetzungen für einen reibungslosen Einsatz erfüllte. „Zunächst galt es, die Frage zu beantworten: Was brauchen wir Ärzt*innen aus den Unikliniken, um die Patient*innen, die im Partnerkrankenhaus liegen, medizinisch zu beurteilen? Wie können wir das technisch umsetzen, auch im Hinblick auf Datenschutz und medizinische Sicherheit? Und dann galt es Barrieren zu überwinden und die Kolleginnen und Kollegen in den umliegenden Krankenhäusern zu überzeugen“, erzählt Nora Schorscher.
Von der internationalen Diplomatie zurück zum Patienten
Hier kommt der Medizinerin ihr diplomatisches Geschick zugute. Bevor sie 2017 ans Uniklinikum kam, studierte Nora Schorscher zwei Jahre lang an der Diplomatischen Akademie in Wien. „Ich wollte zwischenzeitlich zur Weltgesundheitsorganisation WHO oder in die Gesundheitspolitik gehen. Aber die Arbeit am Patienten und vor allem die Abwechslung in der Anästhesie mit den entsprechenden Adrenalinschüben fehlten mir zu sehr.“ Ärztin zu werden war ihr Traum, seit sie mit zwölf Jahren ein Buch über das Ebola-Virus gelesen hatte. Ihr Medizinstudium absolvierte sie am Imperial College in London, wo sie auch ihre Facharztausbildung begann und einen Bachelor in Health Management ablegte. Schon ihr Abitur am United World College UWC in Norwegen war international und auf interkulturellen Austausch ausgelegt. „An unserer Schule gab es 89 Nationalitäten – vom Straßenkind aus Thailand bis zur Prinzessin aus Uganda. Ausgewählt wurde nicht nach finanziellem Hintergrund, sondern nach Potenzial und Engagement“, so Schorscher. An sozialem Engagement mangelte es der jungen Frau aus dem 120-Seelen-Ort in den Haßbergen nicht. Als Jugendliche arbeitete sie ehrenamtlich beim Roten Kreuz, war Schulsanitäterin, gründete eine Nachhilfegruppe und baute ein Seelsorge-System für Mobbing-Opfer auf. Im vergangenen Jahr war sie sechs Wochen für „Ärzte ohne Grenzen“ im Südsudan.
Verbesserung der Patientenversorgung und Kommunikation zwischen Kliniken
Mit ihrer sympathischen Professionalität - oder wie Nora Schorscher sagt: mit höflicher, freundlichen Bestimmtheit - konnte sie nicht nur alle bayerischen Unikliniken vom Projekt überzeugen, sondern auch zahlreiche periphere Krankenhäuser ans Netzwerk anbinden, trotz anfänglicher Skepsis. Inzwischen hat jede bayerische Uniklinik drei bis fünf Partnerkrankenhäuser mit einem weiterentwickelten, patentierten Teleintensivwagen ausgestattet, das UKW sogar zehn. Ganz nebenbei hat Nora Schorscher nicht nur einzelnen Patient*innen geholfen, sondern auch zur Verbesserung des Gesundheitssystem beigetragen. Es gibt inzwischen bereits einige Anfragen aus anderen Bundesländern.
„Die Praxis hat gezeigt, dass wir mit dem telemedizinischen Vier-Augen-Prinzip und dem zusätzlichen Blickwinkel von Expertinnen und Experten aus der Uniklinik, zahlreiche unnötige Verlegungen von Intensivpatient*innen verhindern konnten“, sagt Nora Schorscher. Das mache das Projekt so brillant: „Mit wenig Aufwand und kollegialer Zusammenarbeit die Patientenversorgung verbessern! Barrieren wurden abgebaut, sowohl in der Anwendung als auch bei Finanzierungsfragen. Aufgrund der steigenden Nachfrage wurde die Produktion des Teleintensivwagens inzwischen ausgelagert. Ungeklärt sind derzeit noch die Abrechnungskosten für die Visite. Nora Schorscher bleibt am Ball. Das Motto der Senkrechtstarterin: „Es geht immer irgendwo eine Tür auf!“
Kontakt
Universitätsklinikum Würzburg
Josef-Schneider-Straße 2 , Haus D3
97080 Würzburg
+49 931 201 0
+49 931 201 61788