Zukunft Spital IT: integral-minimalinvasive Digitalisierung
14.04.2022 - Effektive Digitalisierung muss innovativ und anschlussfähig an die Krankenhausabläufe und IT-Landschaften sein. Ein Referenzmodell zeigt, wie das gelingen kann.
Die Digitalisierung in Krankenhäusern muss vorangetrieben werden. Doch können bestehende Ansätze aus anderen Branchen auch im Gesundheitswesen angewandt werden? Wir argumentieren nein. Einerseits ist der Kern der Gesundheitsversorgung „People Business“ und muss analog erfolgen. Die Digitalisierung soll nicht zu einer interaktionslos digitalen Welt führen, sondern die die medizinische und menschliche Behandlung unterstützen oder sogar den humanen Aspekt verstärken. Andererseits kann ein Spital nicht disruptiv digitalisiert werden. Der Kern der Prozesse und die menschlichen Werte müssen bestehen bleiben.
Stattdessen soll die Digitalisierung die Qualitätsaspekte verbessern: Datenqualität, Effizienzgewinn bei Automatismen bei administrativen Arbeiten unter Beibehaltung der qualitativen Strukturen und Prozesse. Wir bezeichnen diese Art von Ansatz integrativ-minimalinvasiv. Die Voraussetzungen dazu sind i) ein gesamtheitlicher Fokus auf das Gesamtbild mit Integration und Durchgängigkeit und ii) ein sequenziell abgestimmtes Vorgehen.
Digitalisierung ist in der „Spital-DNA“ angelegt
Im Unterschied zum klinischen Alltag ist bei der Digitalisierung das Krankenhausorganisation selbst die Patientin. Diese sollte im Sinne des shared decision making ernst genommen werden. Dabei liegt der Fokus nicht primär auf den Defiziten, sondern auf den gesamtheitlichen Ressourcen. Die Herausforderung ist, an Bestehendes anzuknüpfen und gleichzeitig Veränderungen mit kleinstmöglichem Trauma zu erreichen. Wir bezeichnen diesen Ansatz als integrativ-minimalinvasive Digitalisierung. Damit dieser gelingt, braucht es ein Gleichgewicht zwischen Medizin und Administration.
Ein Beispiel: Erfasst ein Chirurg seine Diagnose mittels einer strukturierten Diagnoseliste, sinkt der administrative Aufwand bei der Folgebehandlung – die Dokumentation müssen nur noch ergänzt werden. Die Kodierung erzielt mit weniger Aufwand eine bessere DRG, die Qualität der Gesamtdokumentation steigt, was wiederum die Reputation bei den Zuweisenden positiv beeinflusst.
Sollten Einzelprodukte und -prozesse (Monolithen) vermieden oder zumindest mit Fokus auf eine horizontale Integration bestmöglich in die bestehende Landschaft integriert werden, muss ein gemeinsames Verständnis für Digitalisierung erreicht werden. Die digitalen Puzzleteile müssen zusammenpassen und mit allen Stakeholdern verifiziert werden, um ihre Wirkung entfalten zu können. Eine integrativ-minimalinvasive Digitalisierung triggert die horizontale Zusammenarbeit: die radikale Serviceorientierung bedeutet dabei für die meisten Häuser einen Paradigmawechsel. Die DNA der Spitalorganisation wird quasi epigenetisch modifiziert.
Ein Referenzmodell
Dafür braucht es einen konzeptionellen Rahmen. Das hier vorgestellte Referenzmodell beschreibt in den Domänen „Information, Verhalten und Organisation“ die Kernthemen. Es zeigt auf, wie sich diese gegenseitig beeinflussen und präsentiert Konzeptideen für die Steuerung dieser wechselseitigen Abhängigkeiten.
Im „Kreuzfeld“ treffen rationale und emotional-menschliche Dimensionen aufeinander: Die horizontale Achse des Kreuzes zeigt die Abstimmungsbereiche, die sich mit objektiv-strukturellen Werkzeugen gestaltet lassen. Die vertikale Achse kennzeichnet die emotionalen Dimensionen des Wandels. Für das Zusammenführen der vertikalen und horizontalen Achse braucht es eine zweidimensionale Steuerung: Diese umfasst Planung, Koordination und Kontrolle von Artefakten, aber auch die Fähigkeit, die Selbstregulation des Systems so zu beeinflussen, dass es seinen inneren Zustand verändert.
Das Referenzmodell lässt sich anhand eines zellbiologischen Vergleichs erklären: Man stelle sich ein Spital als einen mehrzelligen Organismus vor. Die einzelnen Abteilungen sind Zellen, die Kernprozesse sind auf der doppelsträngigen DNA kodiert. Ein Strang steht dabei für die Fachanforderungen, der komplementäre Strang für die Technologie, verstanden als die Antwort der IT auf explizite Businessanforderungen. Die daraus resultierende Doppelhelix definiert das Funktionieren des digitalen „Spital-Organismus“.
In der Verbindung von Business und IT steckt damit die Bauanleitung für die Digitalisierung. Dieses verbindende Element hat verschiedene Facetten:
In der Domäne Information besteht diese auf strategischer Ebene aus einem gemeinsamen Digitalisierungs-Zielbild und auf der taktischen Ebene aus Ist- und Soll-Bauplänen. Diese werden auf die konkrete IT-Architektur heruntergebrochen und als Basis für die Steuerung der digitalen Transformation über den bestehenden Servicekatalog gelegt.
Integrative Digitalisierung bedeutet, dass das Zielbild mit der bestehenden IT-Systemlandschaft und mit den Krankenhausabläufen anschlussfähig sein muss. Hier kommt die Domäne Organisation ins Spiel. Aus Digitalisierungssicht braucht es für das organisatorische Zusammenwirken zwischen Fachgebieten und IT klare Rollen.
Bei übergreifenden komplexen Fragestellungen kann dies herausfordernd sein. Exemplarisch sind die Problemstellungen rund um das Klinikinformationssystem (KIS). Ein Beispiel ist die Standardisierung des Berichtswesens. Für die KIS-Projektleiterin eine Herausforderung. An wen wendet sie sich? Wer moderiert die epischen Diskussionen zwischen dem Mediziner, der unter einem idealen Bericht eine prosaisch verfasste Synthese versteht und dem Chirurgen, der seine Operation mit wenigen strukturierten Sätzen dokumentiert?
Für übergeordnete Fragestellungen, die nicht eine einzelne Fachperson entscheiden kann bzw. IT-Leistungen, die quer durch die Organisation genutzt werden, braucht es einen Konsens. Gremienstrukturen ausserhalb der Stammorganisation können hier helfen, damit diese Aushandlungsprozesse nicht beliebig verlaufen. Diese Gremien (Service Owner Teams) sollten sich demnach aus Personen zusammensetzen, die von der Querschnittsleistung betroffen sind und so zu Direktbeteiligten werden. Man kann aber auch umgekehrt die Beteiligten zu Betroffenen machen. Dies bedeutet, dass die Strukturen so gestaltet werden, dass die Folgen der Entscheidungen, die in den Gremien getroffen werden, auf die Mitglieder zurückfallen – nach dem Prinzip „wer entscheidet spürt die Wirkung“. Damit wird die Kontrolle direkt im System eingebaut.
Lässt sich ein Spital darauf ein, muss auch das Top-Kader bereit sein, Kompetenzen abzutreten und zuzulassen, dass Querschnittsthemen auf einer tieferen Hierarchiestufe entschieden werden. Damit verändern sich gewohnte Muster. Digitalisierung wird dann zu einem Paradigmenwechsel.
Hier setzt die „Domäne Verhalten“ an. Diese befasst sich mit der Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit der Betroffenen und der Steuerung. Verhalten und Steuerung scheinen auf den ersten Blick als Gegensatzpaar: Damit Projekte innerhalb einer definierten Zeiteinheit und im Budgetrahmen die erwarteten Ergebnisse umsetzen, braucht es objektivierbare Ziele und eine übergeordnete Steuerung. Verhalten ist aber auch emotional konnotiert. Am Ende entscheidet deshalb nicht die technische Lösung, sondern das Verhalten der Involvierten über Erfolg oder Misserfolg.
Fazit: Um den Wirkungsgrad der Digitalisierung in den Spitälern auszureizen, braucht es ein fundamentales Überdenken und service-orientierte Konzepte. Die Umsetzung soll Schritt für Schritt und möglichst punktuell erfolgen, um Reibungsverluste geringzuhalten und auf dem Bestehenden aufzubauen. Fachgremien aus Direktbetroffenen (Service Owner Teams) sind dabei wesentliche Erfolgsfaktoren.
Autoren: Eva Prader, Silpion Concepts Schweiz - Prof. Dr. Lars C. Huber, Stefan Beyeler, Arbenita Destani, Stadtspital Zürich - Andrin Rüedi, Aruco - Dr. Roger Karrer, Centris