Unternehmen

Der lange Weg eines Algorithmus in die klinische Anwendung

15.03.2013 -

„Radiologen und Kliniker befunden heute immer noch 2D-Bilder am Monitor, obwohl diese in 3D vorliegen und meine Studenten bereits an 4D-Daten forschen. Das zeigt, dass es uns Informatikern bisher nur unzureichend gelungen, die Forschungsergebnisse an die Front zu bringen", beschreibt Prof. Dr. Hans-Peter Meinzer von der Abteilung Medizinische und Biologische Informatik am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ein Dilemma seines Faches.

Problem erkannt, Problem gebannt? Nicht ganz, obwohl es einige vielversprechende Ansätze dazu gibt. Die Herausforderungen rund um die Translation, also das Überführen von Forschungsergebnissen in Produkte, diskutierten die Teilnehmer des 16. Workshops Bildverarbeitung für die Medizin (BVM) leidenschaftlich. Damit stand neben der Präsentation aktueller Forschungsergebnisse aus dem Bereich der digitalen Bildverarbeitung auch deren Relevanz für die klinische Anwendung im Fokus.

Dabei ist die Bildverarbeitung von immenser Bedeutung für die Medizin, da die Anforderungen stetig komplexer werden. Die Modalitäten liefern zunehmend mehr und zunehmend umfangreichere Datenmengen. Sinnbildlich dafür stehen neue Untersuchungsverfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die molekulare Bildgebung oder der 4D-Ultraschall. Hinzu kommt eine wachsende Zahl an Applikationen für die Diagnostik und die Therapie.

Wie kommt man durch das `Tal des Todes´?

Der erste Schritt auf dem langen Weg in die klinische Routine ist der vom Algorithmus in ein Tool. Ein Großteil der veröffentlichten Algorithmen hält aber der klinischen Prüfung nicht stand, sagten die Unternehmensvertreter auf der Podiumsdiskussion während des BVM. Ihre Forderung daher: Forschungsgruppen müssen reale klinische Daten verwenden. Woher nehmen und nicht stehlen, könnte man flapsig fragen. Es ist in Deutschland aus verschiedenen Gründen aufwändig, an diese realen Daten zu kommen - obwohl der Nutzen augenfällig scheint. Ein anderer Weg wäre, die Algorithmen möglichst frühzeitig in die Software oder die Modalitäten der Hersteller zu integrieren.

Dem Thema Translation widmete sich Gastredner Prof. Ron Kikinis, Professor für Radiologie an der Harvard Medical School, ausführlich. Er zeichnete dabei den Weg nach, den Forschung in die klinische Routine nimmt. Am Anfang steht die Frage, ob Ideen umgesetzt werden können. Daraus entstehen dann Prototypen. Dort kommt die Industrie ins Spiel, die sich fragt, ob die Umsetzung sich lohnt. Wird die mit ja beantwortet, können Anwendungen daraus entstehen, die kommerziell verfügbar sind und den regulatorischen Anforderungen entsprechen.

Wie gesagt ist das ein langer Weg. Allein der Übergang vom Prototypen - instabil und nicht übertragbar - zum Tool erfordert ein hohes finanzielles Engagement. Und selbst dann ist die Reife noch nicht nachgewiesen, wie Prof. Kikinis in seinen "Ron's rules for tools" beschreibt. Dabei handelt es sich um einige humorige, aber durchaus ernst gemeinte Ratschläge an Entwickler. Der Radiologe verspricht, dass all diejenigen, die sich daran halten, Tools entwickeln werden, die viele Menschen anwenden.

  • Du machst es, ich widerlege es.
  • So lange dein Tool nicht auf meinem Laptop mit meinen Daten läuft existiert es nicht.
  • Ich bin faul. Ich möchte weder die Maus bewegen noch etwas eintippen.
  • Nicht mehr als ein simpler Parameter.
  • Ich bin ungeduldig: Mach deinen Algorithmus schnell.

Im Laufe seines Entwicklungsprozesses muss jeder Forscher einmal durch das sogenannte `Tal des Todes´. Die Entwicklung von Tools ist kostspielig und entspricht nicht den gewohnten Mechanismen des Fundraising. Wissenschaftseinrichtungen sagen mit der Begründung ab, es sei nicht innovativ. Unternehmen schieben den vermeintlich fehlenden klinischen Nutzen vor und verweisen darauf, dass das Patent nicht funktioniert und deshalb zu risikoreich sei.

Gemeinsame Entwicklungsplattform ebnet den Weg

„Lange war es unser Problem, dass die Universitäten und Institute alle unabhängig voneinander entwickelt haben. Das führte zu nicht standardisierten und nicht vergleichbaren Ergebnissen. Darüber hinaus waren die Ergebnisse nicht transparent, sie blieben in der eigenen Einrichtung", blickt Prof. Meinzer zurück.

Seit einigen Jahren gibt es nun unabhängige Entwicklungsplattformen, in die hinein junge Wissenschaftler entwickeln. In Heidelberg wurde das Medical Imaging Interaction Toolkit (MITK) etabliert, dessen Pendant der Harvard Medical School heißt 3D Slicer.

Beides sind Open-Source-Lösungen und unterstützen die Translation von innovativen Algorithmen in klinische Forschungsapplikationen. Nun arbeiten die beteiligten Institutionen am Auf- und Ausbau einer neuen, übergeordneten Plattform, dem Common Toolkit (CTK). Das ist quasi der Überbau zu den bestehenden Entwicklungsplattformen und soll, wenn es nach Prof. Meinzer geht, den Unternehmen durchaus Konkurrenz machen. „Wenn es uns gelingt, über CTK Algorithmen und Tools so weit zu entwickeln, dass sie marktreif werden, können wir sie auch in die klinische Anwendung bringen. Damit wären wir dann ein Stück weit unabhängig von der Geräte- und Softwareindustrie", so der Medizininformatiker.

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Von der Forschung in die Klinik" waren sich einig, dass Informatiker und Mediziner dasselbe Ziel verfolgten. Auf dem Weg dahin bringe beide eine enge Kooperation voran. Der Tenor: Interdisziplinarität führt in der Regel zu guten Lösungen. Dabei wurde die Ko-Innovation propagiert, bei der die Universitäten eng mit der Industrie zusammenarbeiten.

Als Hemmschuh für die schnelle Überführung von Forschungsergebnissen in fertige Lösungen haben beide Seiten die hohen regulatorischen Hürden in Deutschland ausgemacht. Beispielhaft seien die Anforderungen des Medizinproduktegesetzes (MPG), notwendige Zertifizierungen sowie langwierige und aufwändige Studien genannt. Was aber ist nun entscheidend für eine erfolgreiche Translation? „Da sind im Wesentlichen zwei Dinge zu nennen: eine Abrechnungsziffer, dass die Entwicklung dem Arzt Geld bringt, und Effektivität, dass sie den Anwender in seiner täglichen Arbeit unterstützt", erläutert Prof. Meinzer pragmatisch.

Sicher werden die angesprochenen Themen beim BVM 2014 im Universitätsklinikum Aachen weiter diskutiert werden.

 

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