Gesundheitspolitik

Umfrage wirft beunruhigende Schlaglichter auf die Arbeitssituation von Assistenzärzten

03.03.2017 -

Die Mehrheit der Assistenzärzte in Deutschland schätzt ihre aktuellen Arbeitsbedingungen an den Kliniken als bestenfalls befriedigend bis schlecht ein. Bewertet – analog zu Noten – lediglich rund ein Drittel der Ärzte in Weiterbildung die Situation als sehr gut oder gut, so vergeben zwei Drittel der jungen Ärztinnen und Ärzte Zensuren zwischen „drei“ und „fünf“.

Gründe für die schlechten Noten liefern sie gleich mit: Bis zu zehn Überstunden und mehr pro Woche sind unter dem Druck von ökonomischen Zwängen und Personalmangel eher die Regel als die Ausnahme. Mindestens jeder zweite Arzt in Weiterbildung ist von seinem Arbeitgeber schon einmal direkt oder indirekt aufgefordert worden, Überstunden nicht zu dokumentieren. Pausenzeiten können von der Hälfte der Befragten selten bis nie eingehalten werden und 65 Prozent der befragten jungen Ärztinnen und Ärzte sehen ihre Arbeitszeiten als vom Arbeitgeber nicht objektiv und manipulationssicher erfasst. Die Folgen: Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihr Privatleben unter der Arbeit leidet. Viele Assistenzärzte empfinden ihre Arbeitsbelastung sogar als so groß, dass sie mit Schlafmangel zu kämpfen haben, gesundheitliche Beeinträchtigungen befürchten oder bereits darunter leiden. Als Belastung empfinden sie es offensichtlich auch, dass sie nicht genug Zeit für die Versorgung ihrer Patienten haben. Dies sind nur wenige Schlaglichter auf die Ergebnisse der Hartmannbund-Umfrage „Ärztliches Arbeiten. Heute. Und Morgen.“, an der sich zwischen Dezember 2016 und Januar 2017 mehr als 1.300 Assistenzärzte beteiligt haben.

„Dies ist ganz ohne Frage der Hilferuf einer jungen Ärztegeneration, die so nicht mehr arbeiten will“, kommentiert der Hartmannbund-Vorsitzende, Dr. Klaus Reinhardt, die Ergebnisse der Umfrage. Dass stetig steigende ökonomische Zwänge und Personalknappheit an den Kliniken die Arbeitsbedingungen belasten und darunter auch die Patientenversorgung leidet, sei an sich keine neue Erkenntnis. In welchem Ausmaß allerdings junge Ärztinnen und Ärzte ihre daraus resultierende Arbeitssituation als belastend empfinden, sei alarmierend. Offensichtlich gelte im Klinikalltag inzwischen viel zu häufig: „Höher. Schneller. Weiter. Ohne Rücksicht auf Verluste.“, so Reinhardt mit Blick auf entsprechende Kommentare von Umfrage-Teilnehmern.

Auch für Theodor Uden, Sprecher des Ausschusses „Assistenzärzte im Hartmannbund“, ist klar: „Wer aus Überzeugung und mit viel Idealismus Arzt geworden ist, der muss sich erst einmal damit abfinden, dass ein Krankenhaus vor allem auch ein Wirtschaftsbetrieb ist. Dies in Einklang mit seiner täglichen Arbeit und ambitionierter Patientenbetreuung zu bringen, ist für viele junge Ärzte eine echte Herausforderung.“ Für Klaus Reinhardt hat diese Entwicklung inzwischen bedenkliche Ausmaße angenommen: „Die Ökonomisierung des Medizinbetriebes hat eine Dimension erreicht, die die Rolle des Arztes massiv verändert. Das klassische ärztliche Handeln, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt, steht damit komplett zur Disposition. Wir haben einen der schönsten Berufe der Welt. Aber wenn sich nicht Entscheidendes ändert, dann werden bei vielen unserer jungen engagierten Kolleginnen und Kollegen an die Stelle von Lust und Engagement bald Frust und Ernüchterung treten“, warnt der Vorsitzende des Hartmannbundes.

Dass Druck und Unzufriedenheit nicht nur durch hohe Arbeitsbelastung entstehen, sondern auch Resultat einer offenbar unbefriedigenden Arbeitssituation mit Blick auf die Patientenversorgung sind, machen andere Zahlen deutlich. So hadern 40 Prozent der Befragten mit mangelnder Behandlungszeit für ihre Patienten – häufig verursacht durch zeitaufwändige Dokumentationsarbeiten, die von insgesamt 70 Prozent der Befragten mit „bis zu drei Stunden oder mehr“ angegeben werden. „Viele Assistenzärzte können nicht begreifen, dass sie gezwungen sind, so viele Stunden ihrer Arbeitszeit nicht am Patienten, sondern an der Akte verbringen zu müssen“, kritisiert Uden. Nicht einmal ein Drittel der Befragten kann angeben, dass sie bei nichtärztlichen Leistungen (Kodieren, Sekretariatsarbeiten etc.) unterstützt werden. Entlastung durch Hightech am Arbeitsplatz? Eher Fehlanzeige! Nur rund 25 Prozent der Befragten empfinden die technische Ausstattung ihrer Klinik als gut. „Eine an den pflegerischen und ärztlichen Bedürfnissen orientierte Digitalisierung bietet eine riesige Chance, um die Zeit für den Patienten zu erhöhen“, ist sich Uden sicher. Doch vielerorts ist man von derartiger „Chancenverwertung“ offenbar noch weit entfernt. „Ich liebe meinen Job und er ist mehr als ein Beruf, sondern Berufung, und ich bin dankbar, ihn ausüben zu dürfen. Doch die Bedingungen (Zeitdruck, Überstunden, Schichtdienst, Schlafstörungen, keine ordentliche Weiterbildung) machen auf Dauer Frust“, fasst ein Umfrage-Teilnehmer seinen Ärger zusammen.

Besser dürfte die Stimmung der Assistenzärzte auch mit Blick auf andere Umfrageergebnisse nicht sein, zum Beispiel ganz konkret beim Thema Weiterbildung. So fühlt sich zu Beginn der Weiterbildung nur knapp jeder Vierte „umfangreich in die Arbeit der Weiterbildung“ eingearbeitet. Ebenfalls inakzeptabel: Eine strukturierte Weiterbildung mit definierten Jahreszielen ist noch immer die Ausnahme. Drei Viertel der Befragten können nach eigenen Angaben auf ein solches Angebot nicht zurückgreifen! Vergleichsweise relativ gute Noten vergeben die Assistenzärztinnen und Assistenzärzte ihren „Chefs“ in Sachen Betreuung. Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, dass in ihrer Abteilung Chef- und Oberärzte ihren Fragen offen gegenüber stehen, die Mehrzahl der Befragten fühlt sich durch ihren Hintergrunddienst gut betreut.

Großen Handlungsbedarf dokumentiert die Umfrage nach wie vor im Bereich von Arbeitszeitmodellen. So können sich viele der Befragten – Frauen wie auch Männer – vorstellen, einen gewissen Zeitraum zum Beispiel für ihre Familie auszusetzen oder in Jobsharing-Modellen zu arbeiten. Auch hinsichtlich der gewünschten Wochenarbeitszeit haben die jungen Ärzte genaue Vorstellungen: Die Mehrheit kann sich vorstellen, 30 bis 35 Wochenstunden bzw. 35 bis 40 Wochenstunden zu arbeiten. Zweifel an der Leistungsbereitschaft der jungen Ärzte lässt Theodor Uden aber auch in diesem Zusammenhang nicht aufkommen: „Es gibt eine hohe Bereitschaft, im Bedarfsfall auch einmal Überstunden zu leisten. Gleichzeitig besteht aber der Wunsch nach verlässlicher Arbeitszeit, um zum Beispiel ausreichend Zeit für die Familie zu haben“, stellt er klar.

Die gesamte Auswertung der Umfrage mit vielen weiteren interessanten Aspekten sowie weitere Kommentare von Assistenzärzten finden Sie hier.
 

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