Handlungsbedarf in der Intensivpflege
05.12.2019 -
Intensiv- und Notfallmediziner präsentieren Vorschläge zur Verbesserung der Personalsituation in der Intensivpflege.
Es gibt weiter dringenden Handlungsbedarf in der Intensivpflege: Immer mehr Krankenhäuser müssen Betten – vor allem auf Intensivstationen – sperren, weil die Pflegekräfte fehlen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor 14 Monaten die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) unterzeichnet.
„Die nun seit Jahresbeginn geltende Regelung für ein Mindestmaß an Personal reicht aber nicht aus, um den Bedarf in Deutschland zu decken“, kritisiert Thomas van den Hooven, Pflegedirektor des Universitätsklinikums Münster und Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Wir müssen jetzt verstärkt Teilzeitkräfte und Berufsaussteiger zurückgewinnen!“ Zu Beginn des DIVI-Kongresses in Hamburg mit rund 6.000 Teilnehmern macht die Fachgesellschaft vier konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Personalsituation in der Intensivpflege.
Die Kernpunkte:
- mehr Personal zur Entlastung der Pflegenden,
- eine Weiterentwicklung des Berufsbildes,
- eine praxistaugliche Leistungserfassung
- und eine bessere Bezahlung.
Die DIVI kritisiert vor allem den Personalschlüssel der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung für die Intensivmedizin: In der Tagschicht gilt seit 1. Januar 2019 ein Personalschlüssel von 1:2,5 (Pflegekraft pro Patienten), in der Nachtschicht von 1:3,5. Ab dem 1. Januar 2021 werden diese Werte auf 1:2 für die Tag- und 1:3 für die Nachtschicht angepasst. Dies ist aus Sicht der DIVI, die schon seit 2011 einen Pflegepersonalschlüssel von mindestens 1:2 sowohl für die Tag- als auch die Nachtschicht fordert, nicht ausreichend: „Ein Schlüssel von 1:3 oder 1:3,5 im Nachtdienst ist auf Intensivstationen mit schwerstkranken Patienten nicht vertretbar. Was in der PpuGV momentan fehlt, ist ein Leistungserfassungstool, aus dem verbindlich der Personalbedarf abgeleitet werden kann.
„Bei schwerstkranken Intensivpatienten fordern wir maximal zwei Patienten für einen Intensivpflegenden – egal in welcher Schicht. Das führt aus unserer Praxiserfahrung heraus zu einer verbesserten Versorgungsqualität, die Pflegenden können zudem sämtlichen Aufgaben am Patienten nachkommen, und wir machen somit den Pflegeberuf wieder attraktiver“, sagt Pflegedirektor van den Hooven. „Allerdings hat sich die Intention, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, mit der neuen Verordnung in 2019 auch aus anderen Gründen nicht umsetzen lassen, da weiterhin vor allem im Intensivbereich Personal fehlen wird.“ Es ist also mehr Handlungsbedarf geboten, als Personaluntergrenzen in einer Verordnung festzulegen und deren Finanzierung in einem Gesetz zu regeln, wenn keiner da ist, der auf die Angebote reagiert.
Berufsbild weiterentwickeln: Vier DIVI-Vorschläge für die Praxis
Mit den bisherigen Regelungen habe sich die Qualität der Versorgung deutschlandweit verschlechtert – zudem ist die Berufszufriedenheit der Pflegenden im Intensivbereich weiter gesunken, weil die aktuellen Personaluntergrenzen das Gegenteil von Wertschätzung für die Intensivpflege darstellen. Als medizinischer Geschäftsführer der DIVI hat Prof. Andreas Markewitz gemeinsam mit dem Vertreter der Pflege im DIVI-Präsidium, Thomas van den Hooven, vier zentrale Vorschläge erarbeitet, die die Personalsituation in der Intensivpflege verbessern sollen: In einem ersten Schritt sollen die Arbeitsbedingungen durch eine deutlich bessere Personalausstattung verbessert werden. „Dazu zählen nicht nur mehr Intensivpflegende, sondern auch mehr Mitarbeiter, die das Pflegepersonal entlasten. Zum Beispiel Dokumentationsassistenten oder Transportdienstleister“, sagt van den Hooven.
Zudem soll eine strukturierte Weiterentwicklung etabliert werden. „Keiner arbeitet gerne in einem Beruf, in dem er sich nicht weiterentwickeln kann. Moderne Pflege braucht einen unterschiedlichen akademischen Ausbildungsgrad von Pflegenden“, fordert van den Hooven.
Als dritte Maßnahme soll ein praxistaugliches Instrument zur differenzierten Leistungserfassung und Erhebung der Arbeitsbelastung eingesetzt werden, das den Anforderungen der Intensivpflege genügt. „Wir brauchen dringend ein Instrument, aus dessen Ergebnissen sich der notwendige Personalbedarf ableiten lässt. Der momentan unternommene Versuch, ein solches Messinstrument auf der Datenbasis des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus zu entwickeln, ist aus unserer Sicht zum Scheitern verurteilt. Es kann die Arbeitssituation in der Intensivpflege nicht adäquat erfassen“, sagt Markewitz.
Der vierte Vorschlag zur Verbesserung der Personalsituation in der Intensivpflege sieht kurzfristige Sofortmaßnahmen vor, mit denen die Attraktivität des Berufsbildes Intensivpflege direkt gesteigert werden könne: „Eine bessere Bezahlung muss in die Wege geleitet werden und zudem brauchen Pflegende eine verlässliche Dienstplangestaltung“, betont Markewitz. Er sieht nun erstmal Handlungsbedarf auf Seiten der Politik: „Die Fakten liegen alle auf dem Tisch. Als Experten der Intensiv- und Notfallmedizin sind wird jederzeit bereit für ein Gespräch mit den gesundheitspolitischen Akteuren.“
Ausblick 2020: Einsatz auf Landes- und Bundesebene für verbesserte Personalsituation
Dass die Attraktivität des Berufes in den vergangenen Jahren sehr stark zurückgegangen ist, weiß Thomas van den Hooven, selbst ausgebildeter Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiepflege. „Der Beruf ist lebensnotwendig, hat aber auch im gesellschaftlichen Ansehen stark gelitten.“ Deshalb begrüßt er auch ausdrücklich Kampagnen wie die zur „Ausbildungsoffensive Pflege“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Davon brauchen wir deutlich mehr“, sagt er. „Und wir brauchen mehr Unterstützer mit einem langen Atem und dem unbedingten Willen zur Verbesserung des Pflegeberufes.“
Auch die DIVI hat sich mit der Kampagne „Intensiv.Pflege.Leben!“ am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt. Über das gesamte zurückliegende Jahr wurden immer wieder kurze Videoclips publiziert, in denen Intensivpflegende von ihrem Arbeitsalltag berichtet haben. „Wir wollten damit den Pflegekräften, die ihren Aufgaben mit großem Engagement nachgehen, ein Gesicht geben“, sagt DIVI-Präsident Professor Uwe Janssens, der die Aktion ins Leben gerufen hat. „Ich freue mich, dass sich daran im Laufe der Monate auch immer neue Kliniken beteiligt haben“, sagt der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. „Die Pflegerinnen und Pfleger auf den Intensivstationen können sicher sein, dass wir auch 2020 an ihrer Seite stehen und mit allen möglichen Mitteln auf Landes- sowie Bundesebene aktiv für die Verbesserung der Personalsituation kämpfen“, sagt Janssens.
Kontakt
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. - DIVI
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