Medizin & Technik

Protonen- und Schwerionentherapie: Indikation, Auslastung und Finanzierung

17.11.2010 -

„Die Protonen- und Schwerionentherapie gehört zu den zentralen Innovationen im Kampf gegen Krebs", so Kongresspräsident, Senator a. D. Ulf Fink, in seiner Eröffnungsrede beim ersten nationalen Innovationsforum Medizin im November in der Hauptstadt. Mehrere Anlagen für 2.000 bis 4.000 Patienten pro Jahr seien in Planung, nur wenige in Betrieb. Der Kongress böte die Gelegenheit, die noch offenen Fragen mit nationalen und internationalen Opinionleadern aus dem medizinischen Bereich sowie führenden Industrievertretern und Gesundheitsökonomen nebst Krankenkassenvertretern zu diskutieren.

„Bei der Ionenstrahlung werden positiv geladene Ionen verwendet, Kerne von Atomen. Meist werden Wasserstoffkerne, die Protonen, eingesetzt oder andere, schwerere Atomkerne, wie zum Beispiel Kohlenstoff - Schwerionen genannt", erläutert Prof. Dr. Jürgen Debus, Direktor der Abteilung Radioonkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg.

In 600 Tonnen schweren, fußballfeldgroßen, komplizierten Anlagen über drei Etagen werden die Atomkerne auf einer fünf Meter langen Geraden in Hochfrequenzstrukturen auf knapp drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dann münden sie in einen Kreisverkehr, dem sogenannten Synchrotron. Dort erreichen die Teilchen bis zu drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit und werden zielgenau in Richtung Tumor gesendet. Die Kosten für die Anlage von 100 Mio. € teilten sich das Universitätsklinikum und der Bund. Je schneller die Ionen seien, desto tiefer drängen sie ins Gewebe ein; je schwerer die Ionen seien, desto weniger würden diese abgelenkt. Schwerionen, vor allem Kohlenstoffkerne, wirken im Tumor dreimal so stark wie Protonen oder Helium. Sie lassen sich auch tief im Gewebe noch millimetergenau steuern und sind deshalb in der Krebstherapie bestimmter Tumore Protonen überlegen.

Rund 5-10 % der Patienten, deren Tumor kompliziert in der Tiefe des Körpers liegt oder auf herkömmliche Strahlentherapie nicht anspricht, könnten von dieser Art der Therapie profitieren. „Auch Geschwülste mit einer unregelmäßigen Form kann der Ionenstrahl millimetergenau abtasten. Dazu haben wir eine spezielle Methode ent­wickelt: das Rasterscan-Verfahren.", so Prof. Dr. Gerhard Kraft, Gesellschaft für Schwer­ionenforschung in Darmstadt.

Mittlerweile hätten die meisten Krankenkassen zugesagt, die Kosten für die Behandlung von Patienten im HIT zu übernehmen, so Debus. Ein Bestrahlungszyklus kostete rund 19.500 € und sei damit rund dreimal so teuer wie eine herkömmliche Bestrahlung, liege aber in der gleichen Größenordnung wie aufwendige medikative oder operative Behandlungen.

„Die neuen Anlagen u. a. in München und in Heidelberg mit eindeutig medizinischer Spezifikation sind die modernsten und innovativsten Synchrotrone für die betroffenen Patienten", stellt Dr. Helmut Platzer, Vorsitzender des Vorstandes, AOK Bayern, fest. Voraussetzungen für Kostenübernahmen durch die AOK seien ein definierter Fallkatalog, wissenschaftliche Begleitung mit entsprechender Kooperation und eine Pauschalvergütung. Seriösen Schätzungen nach wäre eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung in Deutschland mit Protonen- bzw. Schwer­ionentherapie aller relevanten Indikationen mit sechs bis sieben Anlagen zu er­zielen, so Platzer.

Zu den gegenwärtigen Rahmenbedingungen sagt er, dass die Finanzierungsmöglichkeiten „hart am Limit" seien. Der klar vorauszusagende und in seiner Wirkung nicht zu unterschätzende demografische Wandel deute in puncto Finanzierung auf kurz oder lang in Richtung der Aufspaltung von Basisleitungen in der GKV und von Extraleistungen hin. Beispiele dafür fänden sich in den europäischen Nachbarstaaten.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (§ 91 Abs. 7 SGB V) gäbe über die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (§ 137c SGB V) für die GKV den Rahmen für die Anwendungsgebiete der Protonentherapie vor.

Hirnmetastasen, Oropharynxtumoren, Ueva-Melanome, Chordome und einige mehr sind eingehend diskutiert, bewertet und evaluiert worden. Positive Bewertung hätten die Tumoren an der Schädelbasis, Gefäßfehlbildungen im Gehirn (AVM) und der Prostatakrebs erfahren. Der Prostatakrebs sei mit einer geschätzten Fallzahl von rund 27.000 Patienten pro Jahr in Deutschland eine durchaus häufige Diagnose und damit für die Anbieter der Protonentherapie von herausragender Bedeutung.
Auch der Klageweg - wie im Falle des Mammakarzinoms - sei eine Möglichkeit für die Betreiber der teuren Anlagen, zusätzliche Behandlungsfelder zu eröffnen.

Um die neueste und modernste Medizin-Technologie auch den Versicherten anbieten zu können, habe die AOK Bayern die Entstehung der Anlage bei München von Anfang an begleitet. Mit dem Angebot sollten auch die bisher zu leistenden Kostenerstattungen für Protonentherapien im Ausland, den USA, der Schweiz und Japan, substituiert werden.

 

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