Essener Zeitarbeitsmodell vom Tisch
07.02.2011 -
Das Zeitarbeitsmodell der Essener Uniklinik ist gescheitert. Die NRW-Landesregierung kündigt eine Bundesratsinitiative gegen Missbrauchsfälle in der Zeitarbeit an. Nach langjährigen heftigen Auseinandersetzungen über die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern in der Universitätsklinik Essen hat der Klinikvorstand das Konzept einer hauseigenen Leiharbeitsfirma aufgegeben. Über Jahre stritten Klinikmanagement und Personalrat zusammen mit der Gewerkschaft ¬ver.di über die Höhe der Entlohnung der Zeitarbeitskräfte.
Die Gewerkschaftsvertreter hatten immer wieder kritisiert, dass die Stammbelegschaft systematisch ersetzt werden sollte und die Vergütung der eingesetzten Zeitarbeitsnehmer deutlich unter den Bezügen der Festangestallten der Uniklinik lag. Im Schnitt erhielten die Leiharbeiternehmer - bei gleicher Arbeit, wie diese von den dauerhaft beschäftigten Mitarbeitern verrichtet wurde - ein Drittel weniger Lohn. Das sorgte für Spannungen unter der Belegschaft. Für rund 60 Beschäftigte aus den Bereichen Sterilisation, Krankentransportdienst, Wach- und Pfortendienst ist die Zukunft völlig unklar. Sie haben noch keine Zusage des Klinikvorstandes, direkt bei der Uniklinik Essen beschäftigt zu werden. Der Personalrat und ver.di setzen sich weiter dafür ein, dass alle Beschäftigten der heutigen Personalservice GmbH eine direkte Anstellung bei der Uniklinik erhalten und damit nach dem Tarifvertrag der Länder bezahlt werden.
Um seinerzeit dem ständig wachsenden Kostendruck im Gesundheitswesen entgegenzuwirken, hatte das Universitätsklinikum Essen im Jahre 2005 eine eigene Leiharbeitsfirma als 100%ige Tochtergesellschaft, UK Essen Personalservice (PSG), gegründet. Das Zeitarbeitsunternehmen verlieh seit dem 1. Oktober 2006 Arbeitskräfte u. a. auch an das Klinikum Essen.
Bis Jahresende 2010 beschäftigte die Uniklinik rund 5.300 Mitarbeiter, von denen 260 Beschäftigte (5%) zu den Zeitarbeitnehmern der PSG zählen. Die PSG-Arbeitnehmer sind als Arzthelferinnen oder im medizinisch-technischen Dienst, im Krankentransport und als Wach- und Pfortendienst tätig. Weitere Berufsgruppen wie die Service- und Teamassistenten entlasten den Pflegedienst auf den Stationen. In der PSG haben Menschen, die zuvor auf dem Arbeitsmarkt als gering qualifiziert galten oder langzeitarbeitslos waren, eine berufliche Chance gefunden. Dabei profitierten auch sie von den umfassenden Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten des Uniklinikums.
Mithilfe des betriebsinternen Zeitarbeitsmodells konnte die Essener Klinikverwaltung erhebliche Personalkosten einsparen und flexibel auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren.
Auf Druck der eigenen Beschäftigten und der NRW-Landesregierung hatte das Klinikmanagement im November 2010 entschieden, die Personalservice GmbH aufzulösen. Als Grund für den Ausstieg nennt Prof. Dr. Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor und Vorstandschef des UK Essen, dass die Beschäftigung von Zeitarbeitskräften Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse geschaffen und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört habe. Außerdem fürchtete der Klinikvorstand um den guten Ruf des Hauses.
„Das vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete Arbeitnehmerüberlassungsgesetz war eine Grundlage, den Patienten eine ausreichend gute Versorgung sicherzustellen", erläutert Vorstandsmitglied Reinhold Keil, Kaufmännische Direktor der UK Essen. Keil weist darauf hin, dass die PSG Mitglied im Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen ist und einen mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag angewendet hat.
Im Oktober 2010 hat der Essener Klinikvorstand dann beschlossen, die öffentlich diskutierte Arbeitnehmerüberlassung über die PSG schrittweise einzustellen. Damit verbunden ist auch die dauerhafte Sicherung einer Reihe von neu geschaffenen Arbeitsplätzen. Nach Angaben des Klinikmanagements bedeutet das allerdings nicht, künftig keine Eigenbetriebe mehr zu gründen, wenn diese leistungsfähiger am Markt agieren können oder wenn Engpässe das UK Essen zwingen, auf Hilfen von außen zurückgreifen zu müssen.
„Der Ausstieg aus der Beschäftigung von Zeitarbeitskräften hat beträchtliche wirtschaftliche Auswirkungen", gibt Nagel zu bedenken. „Der Vorstand rechnet mit künftigen Personalkostensteigerungen von einer Mio. €. Die neue Gesundheitsreform der Bundesregierung mit ihren Sparmaßnahmen stelle das Universitätsklinikum auf eine harte wirtschaftliche Bewährungsprobe. Um diese Mehrbelastungen abzufangen, werden alle Mitarbeiter zusammenstehen müssen. Über die PSG werden keine weiteren Einstellungen mehr erfolgen. Ferner gibt es eine Reihe von Stellen, die das UK Essen über die PSG besetzen wollte, und eine Reihe von Kandidaten, die darauf gehofft haben, in Kürze eingestellt zu werden.
Es ist beabsichtigt, diese nun am UK Essen einzustellen. Dazu führt das UK Essen auch Gespräche mit dem Personalrat. Wir versuchen, bis Ende Januar dazu einen klaren Fahrplan auszuarbeiten und allen, so gut es geht, gerecht zu werden. Wir gehen davon aus, dass 80% der PSG-Mitarbeiter übernommen werden. Denn es nicht geklärt, ob zukünftig alle Stellen der PSG tatsächlich gebraucht werden. Das UK Essen wird jedoch versuchen, keinen Arbeitsplatz zu gefährden. Dies ist zugleich ein wichtiger Schritt für eine verbesserte Zusammenarbeit mit Personalrat und ver.di, an der wir interessiert sind. Die Universität Duisburg-Essen unterstützt diese Entscheidung ausdrücklich."
Aus dem Ministerien für Innovation, Wissenschaft und Forschung und dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ist zu vernehmen, dass das Ende der Arbeitnehmerüberlassung am Universitätsklinikum Essen außerordentlich begrüßt wird. NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) betont, dass es nach vielen Gesprächen der Landesregierung mit dem UK-Vorstand gelungen sei, den systematischen Einsatz von Leiharbeit am Universitätsklinikum Essen zu beenden.
„Die Landesregierung wird genau beobachten, ob die Klinikleitung ihre gemachten Zusagen auch umsetzt", verkündet NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) und erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die schrittweise Arbeitnehmerüberlassung mit einem festen Zeitplan verbindlich zu regeln sei. Zudem müsse verabredet werden, wann sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Personalservicegesellschaft in die Belegschaft des Universitätsklinikums integriert würden.
Der NRW-Arbeitsminister betont, dass die NRW-Landesregierung ihre Bemühungen fortsetzen wird, Leiharbeit neu zu regulieren. Trotz des konjunkturellen Aufschwungs sind viele Arbeitgeber offensichtlich nicht bereit, ihre Stammbelegschaft entsprechend aufzustocken, heißt es aus Düsseldorf. Minister Schneider fordert die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots in der Zeitarbeitsbranche und mahnt, dass Arbeitnehmer nicht nur für einen Auftrag eingestellt und anschließend wieder entlassen werden dürfen.
Um weiteren Missbrauch beim Einsatz von Zeit- und Leiharbeitskräften zu unterbinden, plant die NRW-Landesregierung gemeinsam mit der Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Bundesratsinitiative. Das wäre dann das Aus für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern zu Dumping-Löhnen in Krankenhäusern, Kliniken oder bei öffentlich rechtlichen Arbeitgebern.