Biosimilars in der Diskussion
29.04.2011 -
Biosimilars in der Diskussion. Anfang der 1980er Jahre wurden erstmals rekombinante therapeutische Proteine in den Markt eingeführt. Mit Ablauf des Patentschutzes für die erste Generation dieser – heute als unverzichtbar geltenden – Biopharmazeutika war der Weg frei für Nachfolgeprodukte, so genannte Biosimilars. Wie der Name schon sagt, ähneln sie dem Original nur, sind aber keinesfalls identisch. Es handelt sich also um eigenständige Wirkstoffe, was die Frage einer 1:1-Austauschbarkeit von Anbeginn zu einem äußerst strittigen Punkt machte. Die Zweifel unter den Experten werden lauter: Immer häufiger kommen sie zu dem Schluss, dass eine automatische Substitution der Originalpräparate aus medizinischer und rechtlicher Sicht mehr als heikel ist und demzufolge von vornherein ausgeschlossen werden sollte.
Biopharmazeutika sind vergleichsweise große Proteine mit komplexen dreidimensionalen Strukturen, die lediglich durch relativ schwache Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert werden und dementsprechend empfindlich sind. Sie unterscheiden sich deutlich von traditionellen Arzneistoffen, bei denen es sich um kleine, strukturell klare und damit eindeutig charakterisierbare Moleküle handelt, die einfach zu reproduzieren, d. h. völlig problemlos „nachzubauen“ sind. Biopharmazeutika hingegen werden in lebenden Zellen hergestellt – einfache Proteine in Bakterien, meist E. coli, oder Hefen, komplexe glykosylierte Proteine wie Erythropoetin, die den humanen Glykoproteinen entsprechen, in Säugetierzellen, üblicherweise CHO (Chinesische Hamster-Ovarialzellen).
Die individuellen Produkteigenschaften hängen demzufolge vom jeweiligen Herstellungsverfahren ab, was nichts anderes heißt, als dass zwar das Molekül patentfrei wird, der Produktionsprozess jedoch Geheimnis jedes Herstellers bleibt. „Der Wirkmechanismus von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln ist sehr komplex und in höchstem Maße von spezifischen Herstellungs-, Reinigungs- und Formulierungsschritten abhängig. Damit ist es praktisch unmöglich, identische, also wirkstoffgleiche Kopien der Originale zu produzieren“, verdeutlichte Prof. Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie an der Universität zu Lübeck, in einem am Rande des DGHO 2008 ausgerichteten Workshop.
In der EU hat man diese Problematik schon sehr früh erkannt und biopharmazeutische Nachfolgeprodukte als eigenständige Wirkstoffe bewertet, die mit dem neu geschaffenen Begriff „Biosimilars“ eindeutig von den klassischen Generika abgegrenzt werden. Seit Ablauf der ersten Patente für biotechnologisch hergestellte Arzneimittel im Jahr 2001 entwickelte die europäische Arzneimittelagentur EMEA sukzessive ein Richtlinienwerk, das die Zulassung von Biosimilars an spezielle Bedingungen knüpft: So muss der Zweithersteller in eigenen Studien sowohl eine mit dem Referenzprodukt vergleichbare klinische Wirksamkeit für sein Produkt belegen als auch dessen Sicherheit und Unbedenklichkeit nachweisen. Außerdem werden ihm Post-Marketing-Surveillance-Programme auferlegt, um Sicherheitsrisiken zu minimieren.
Derzeit werden in der Europäischen Union drei Originale als Biosimilar vermarktet: das Wachstumshormon Somatropin, das Epoetin alfa und – seit kurzem – das Filgrastim. Als einfaches und demzufolge relativ unkompliziert herstellbares Polypeptid bildete das Somatropin 2006 mit zwei Nachfolgeprodukten den Auftakt – Omnitrope und Valtropin. Folgt man den Bestimmungen der Regulierungsbehörde, gibt die Zulassung des letzteren allerdings Rätsel auf: Valtropin wird in Hefezellen produziert, sein Referenzpräparat Humatrope hingegen in E. coli. Für Jelkmann völlig unverständlich: „Wie will man die Wirksamkeit zweier Produkte vergleichen, wenn es sich um zwei völlig unterschiedliche Herstellungsprozesse handelt?“. Klärungsbedarf sieht der Physiologe auch bei dem von drei Unternehmen ko-vermarkteten Filgrastim-Biosimilar, dem die EMEA eine Zulassung für die gesamte Indikationsbreite des Originals erteilt hat, obwohl sich die zum Nachweis von Effizienz und klinischer Unbedenklichkeit durchgeführten Vergleichsstudien lediglich auf einen Teil der Anwendungsgebiete beschränkten.
Ähnlich sieht es beim Epoetin alfa aus. Auch hier wurde die Zulassung für die Nachfolgeprodukte extrapoliert von der renalen Anämie, wofür Wirksamkeits- und Verträglichkeitsstudien vorlagen, auf die onkologische Indikation.
Ein weiteres Problem liegt nach den Worten Jelkmanns in der Kalibrierung. Mit den gegenwärtig verfügbaren analytischen Methoden sei es nicht möglich, größere Proteine wie das Epoetin alfa zu charakterisieren; biologische Messparameter wiesen wiederum eine erhebliche Variabilität auf. Bioäquivalenz zwischen Original und Nachfolgeprodukt sei demzufolge nicht zweifelsfrei zu belegen. So bescheinigt die EMEA in ihrer EPAR-Analyse dem Epoetin zeta eine um 10 –15 % geringere Aktivität gegenüber dem Originator-Epoetin alfa, was mit einem entsprechenden Dosismehrbedarf Hand in Hand geht. Für das von drei Unternehmen unter dem INN Epoetin alfa ko-vermarktete Biosimilar weist der Zulassungsbericht wiederum ein vom Referenzprodukt abweichendes Glykosylierungsmuster (Isoformen) aus. Unter der Begründung, dass „die Proteine modifiziert werden und die Antikörperproduktion des Patienten beeinflussen können“, lehnte Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) erst vor kurzem eine feste Quote für Biosimilars aus medizinischen Gründen ab. Was bleibt an Argumenten? Auch das ursprünglich antizipierte Einsparpotential hat sich zwischenzeitlich um einiges vermindert, schon, weil die Originalanbieter ihre Preise ebenfalls gesenkt haben.