IT & Kommunikation

KIS-Markt in der Flaute?

14.06.2011 -

MCS stieg aus dem deutschen KIS-Markt aus. Zu begrenzt sei das Potential, hieß es. Wir wollten wissen, wie andere Anbieter die weitere Entwicklung einschätzen.

Anfang des Jahres ließ eine Meldung die Branche aufhorchen. Parametrix kündigte darin den Verkauf des Krankenhausinformationssystems „Phoenix" an, das im deutschen Markt unter dem Namen „MCS vianova Klinik" angeboten wird.

Hintergrund für den Verkauf sei die nicht zufriedenstellende Entwicklung sowie das nach Ansicht des MCS-Konzerns begrenzte Wachstumspotential des Geschäftsbereichs, insbesondere in Deutschland, so die Parametrix-Muttergesellschaft in einer Pressemitteilung. „Der Zukauf der Parametrix wurde primär durch den Marktzutritt in die Schweiz initiiert. Das Erfolgsmodell im Schweizer Markt, hoch individualisierte medizinische Dokumentationssoftware in Kundenprojekten zu implementieren, hatte in Deutschland nicht den erhofften Erfolg. Der kostenbewusste deutsche KIS-Markt ist eher geprägt von standardisierten Modulen, die kundenindividuell angepasst werden", erläutert Christoph Becker, Geschäftsbereichsleiter CGM.Akut der systema Deutschland, in die der deutsche Zweig von Parametrix künftig eingebunden wird. „Durch diesen Neuerwerb eröffnet sich der CGM neben dem originären Geschäft mit dem eigenen KIS ein weiteres attraktives Geschäftsfeld: Anbieter von medizinischer Dokumentation innerhalb der SAP IS-H Landschaft."

Zwar wurde der KIS-Markt schon öfters totgesagt, aber so deutlich wie MCS hatten das bislang nur wenige gemacht. Die Stimmung unter den deutschen Anbietern scheint indes gar nicht so schlecht. Nüchtern, aber nicht chancenlos blickt die Branche in die Zukunft, so könnte das Fazit lauten. Sie setzt auf neue Trends und Technologien, konzentriert sich auf ihre Stärken oder blickt in Richtung Ausland.

„Der KIS-Markt in Deutschland ist hart umkämpft. Jedes Haus ab einer gewissen Größe hat zumindest ein Standardsystem im Einsatz. Kurzfristig große Renditen zu erzielen ist deshalb nicht möglich, weshalb er für global agierende Konzerne weniger reizvoll ist", urteilt Matthias Meierhofer, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Meierhofer, München, der das Geschäft mit KIS-Lösungen für ein mittelständisches Unternehmen durchaus als lukrativ bezeichnet.

„Kundenbindung und Nachverkauf sichern das Geschäft. Die Neuentwicklung von individuellen Speziallösungen ist spannend und gewinnbringend."

Die Firma Tieto sieht ihre Zukunft auf internationalem Parkett. „Der KIS-Markt ist sicherlich kein rein deutscher mehr. Alle führenden Anbieter liefern ihre Produkte in mehrere Länder oder sind in mehreren Ländern tätig. Die Marktentwicklung wird nicht mehr national entschieden, auch wenn die Anforderungen an ein KIS-System immer noch zu 30% lokal sind", so Andreas Lange, Vice President General Manager Healthcare Central Europa des börsennotierten IT-Dienstleisters, der sein „iMedOne" nach eigenen Angaben von Anfang an für den Einsatz in mehreren Ländern ausgelegt hat und darüber hinaus durch flexible Servicepreismodell seine Markstellung sichern und ausbauen will.

Als „grundsätzlich gesättigt" bezeichnet Bernhard Calmer, Leitung IT-Vertrieb Healthcare Deutschland beim Branchenriesen Siemens, den Markt, sieht aber ebenfalls Potentiale. Dass Konsolidierungen und Zusammenschlüsse von Krankenhäusern den Markt in Bewegung halten, davon ist nicht nur Siemens-Health-Experte Calmer überzeugt. Reiner Niehaus, Sales Director DACH bei iSoft Health, stößt ins gleiche Horn. „Unprofitable Einrichtungen werden geschlossenen oder übernommen. Dies betrifft sowohl kleinere als auch mittelgroße Kliniken. Der Konsolidierungsprozess wird durch überregional agierende, private Klinikträger und regional aufgestellte, freigemeinnützige Träger bestimmt. Oft stellt sich dann die Frage nach einer einheitlichen, leistungs- und zukunftsfähigen KIS-Strategie, die in der Lage ist, mit Konzernstrukturen umzugehen." Zwar sei eine trägerweite Konsolidierung einer der Hauptgründe für einen Systemaustausch, allerdings ein rückläufiger, beobachtet Andreas Lange.

„Wenige Krankenhäuser verfügen heute über ausreichend Mittel, um ein „altes" KIS gegen ein „neues" auszutauschen, wenn keine dringenden Gründe dafür sprechen", sagt Reiner Niehaus. Die komplette Ablösung eines KIS ist deshalb nicht der Normalfall, wobei genügend Anbieter da sind, in diesem Fall in die Bresche zu springen. Ablösungstendenzen gebe es am ehesten nach Unternehmensübernahmen auf Anbieterseite, wenn Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Produkts bestünden oder der KIS-Anbieter seine Produktstrategie ändere. „Kliniken tauschen ihr KIS meist nur aus, wenn sie ihr System vom Hersteller selbst abgekündigt bekommen", weiß Andreas Lange. „Erst, wenn ergänzende Subsysteme und somit die geforderten Schnittstellen zu komplex und nicht mehr zu managen sind, wird nach einem neuen KIS gesucht."

Impulse erwarten sich die Hersteller durch die Integration neuer Anwendungen und Bereiche. „Im Übrigen sind die Kliniken angesichts des auf ihnen lastenden Drucks eher daran interessiert, ihre IT-Infrastruktur zu ergänzen und Lösungen zu implementieren, mit deren Hilfe sie Prozesse optimieren und Sparpotentiale erschließen können", so Reiner Niehaus. Die meisten Krankenhäuser hätten Matthias Meierhofer zufolge bislang nur eine Basis-IT-Infrastruktur, die ausgebaut werden muss, um langfristig wirtschaftlich gut aufgestellt zu sein. Eine Erhebung des Verbandes der Hersteller von IT-Lösungen für das Gesundheitswesen (VHitG) belege, dass Krankenhäuser hinsichtlich der IT-Durchdringung noch viel Potential böten. Durchschnittlich 6% des Investitionsbudgets gingen 2009 in EDV und Software, hat das Deutsche Krankenhausinstitut 2010 in seiner Umfrage für das Krankenhaus Barometer ermittelt, wobei die kleineren Häuser mit bis zu 299 Betten mehr ausgeben als die größeren mit 600 und mehr Betten. Für die KIS-Hersteller gibt es deshalb keinen Grund zum Bangen.

In den Bereichen Vernetzung, intersektorale Kommunikation, papierloses Krankenhaus, Business Intelligence und der Anbindung von mobilen Geräten sieht Bernhard Calmer die zukünftigen Wachstumspotentiale auf technologischer Sicht und steht damit nicht allein, sogar das Schlagwort „Green-IT" im Sinne einer energiesparenden, intelligenten Rechnerauslastung wurde genannt. Vor allem im Bereich der sektorübergreifenden Vernetzung stehe Deutschland erst am Anfang, konstatiert Matthias Meierhofer. „Hier ziehen die organisatorischen Veränderungen einen Bedarf an IT-Lösungen nach sich." Die elektronische Fallakte ist nur ein Beispiel für die kommenden Anforderungen. Ambulante Dienste und Pflegeprozesse müssen eingebunden, Medikationen digitalisiert und mobile und medizintechnische Endgeräte integriert werden. In der Systemintegration sehen wir große Wachstumspotentiale, erklärt Niehaus von iSoft Health.

Christoph Becker sieht sein Unternehmen nach dem Parametrix-Kauf jedenfalls gut gerüstet: „CGM wird als jüngster Anbieter im deutschen Krankenhausmarkt eine entscheidende Rolle einnehmen. Beide Kundenbasen sind eine ideale Grundlage für unser weiteres Wachstum. Wir sehen in der Modularisierung von medizinischen Expertensystemen den Wachstumspfad der Zukunft. Monolithische Systeme haben die Grenze der Beherrschbarkeit erricht und werden künftig stärker infrage gestellt. Schon heute zeigt die neue Generation von offenen, flexiblen Modulen ihre Stärke in der Integration."

„Der Trend zu mehr Vernetzung bei gleichzeitig geringeren Finanzmitteln in den Krankenhäusern ist ein weiterer Punkt. Hier sind KIS-Systeme gefragt, die einerseits mit unterschiedlichsten Medizingeräten und Expertensystemen kommunizieren, andererseits aber auch zunehmend mit den KIS-Systemen anderer Hersteller vernetzt werden können", urteilt Bernhard Calmer. Die Anbieter stellen sich darauf ein. Tendenziell wird also in Zukunft enger zusammengearbeitet, wovon die Kunden nur profitieren können. Mit einer Konsolidierung des Markts sei laut Siemens-Mann Calmer allerdings weiterhin zu rechnen. Tieto-Manager und VHitG-Vorstand Andreas Lange zumindest liebäugelt bereits mit weiteren geeigneten Übernahmen, die strategisch notwendig werden könnten.

 

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