Helmholtz Zentrum München: Schlüsseleiweiß entscheidend für Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen
01.07.2011 -
Helmholtz Zentrum München: Schlüsseleiweiß entscheidend für Asthma, Neurodermitis und Heuschnupfen. Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein genetisch bedingter Mangel an Filaggrin, einem Schlüsseleiweiß der Hautbarriere, eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Allergien spielt. In einer groß angelegten Studie von Wissenschaftlern des Helmholtz Zentrums München gemeinsam mit der Technischen Universität München gelang nun der Nachweis, dass etwa 8 % der deutschen Bevölkerung Varianten des Filaggrin-Gens tragen, die das Erkrankungsrisiko für Neurodermitis um mehr als das Dreifache erhöhen. Zudem prädisponieren die Genvarianten zu Heuschnupfen und lassen das Risiko von Neurodermitikern, zusätzlich an Asthma zu erkranken, ansteigen.
Allergische Erkrankungen haben in den letzten Jahrzehnten in den meisten Industrienationen stark zugenommen. Als Auslöser gilt eine Kombination aus genetischen und umweltbedingten Faktoren. In den letzten Jahren wurden mehrere Gene im Zusammenhang mit allergischen Erkrankungen untersucht – und eines davon entpuppte sich tatsächlich als Schlüsselfaktor. Dieses Gen enthält die Bauanleitung für Filaggrin, ein essenzielles Protein in der Hornschicht der Haut.
Fillagrindefekt
Wird dieses Protein aufgrund eines Gendefekts vermindert oder überhaupt nicht gebildet, ist die natürliche Verhornung gestört und die natürliche Barrierefunktion der Haut eingeschränkt. Varianten des Filaggrin- Gens sind für die sogenannte Fischschuppenkrankheit oder Ichthyosis vulgaris verantwortlich, die je nach genetischer Konstellation nur sehr milde ausgeprägt sein kann („trockene Haut“). Darüber hinaus deuten eine Reihe von Studien darauf hin, dass die Genvarianten auch einen starken Risikofaktor für die Entwicklung von Neurodermitis darstellen.
In einem vor Kurzem in der Fachzeitschrift „Pharmacogenomics“ erschienenen Übersichtsartikel, wurden die bisher vorliegenden Daten den Folgen eines Filaggrindefekts zugeschrieben. Dies fand die Arbeitsgruppe von Dr. Stephan Weidinger, Technische Universität München und Helmholtz Zentrum München, sowie Dr. Thomas Illig, ebenfalls Helmholtz Zentrum München, heraus. „Die Haut erfüllt eine Vielfalt an Funktionen und ist eine äußerst wirkungsvolle physikalische, chemische und immunologische Barriere“, so Weidinger. „Sie schützt uns vor mechanischen Verletzungen, aber auch vor dem Eindringen von Stoffen aus der Umwelt, wie Erregern und Allergenen. Besonders wichtig dafür ist die äußerste Schicht, die selbst aus mehreren Lagen bestehende Epidermis. An der Außenseite enthält sie fast ausschließlich abgestorbene und komplex verpackte, verhornte Zellen. Für die ordnungsgemäße Verhornung ist Filaggrin ein entscheidendes Protein.“
Bevölkerungsstudie
In der aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Studie an 3.000 Schulkindern, die in Zusammenarbeit mit Dr. Michael Kabesch vom Hauner’schen Kinderspital durchgeführt wurde, konnte nun gezeigt werden, dass fast 8 % der Kinder aufgrund von Genvarianten einen Mangel an Filaggrin- Eiweiß in der Haut und dadurch ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko haben, an Neurodermitis zu erkranken.
Die im „Journal for Allergy and Clinical Immunology“ veröffentlichte Untersuchung wies aber noch einen weiteren interessanten Zusammenhang nach: Die bereits bekannten Defekte im Filaggrin-Gen sowie weitere seltenere Mutationen können auch das Risiko für allergische Sensibilisierungen und Heuschnupfen erhöhen und bei Patienten mit Neurodermitis zusätzlich zu Asthma führen.
Die Resultate zu Asthma waren besonders überraschend, weil Filaggrin bislang nicht im Epithel der Bronchien, also der äußersten Schicht der Luftwege, nachgewiesen wurde, sondern nur für die Haut von Bedeutung zu sein scheint. Möglicherweise bedingt eine geschwächte Hautbarrierefunktion ein erleichtertes Eindringen von Allergenen und eine erhöhte Entzündungsbereitschaft. „Insgesamt zeigen unsere Resultate, dass Mutationen im Filaggrin-Gen extrem starke Risikofaktoren für Neurodermitis sind und darüber hinaus Heuschnupfen und bei einem bereits bestehenden Ekzem auch Asthma verursachen können“, so Weidinger. „Asthma allein scheint dagegen nicht mit diesen Gendefekten in Zusammenhang zu stehen.“
In weiteren, kürzlich in der Fachzeitschrift „Allergy“ veröffentlichten Untersuchungen an der bevölkerungsrepräsentativen KORA (Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg)-Studie konnte das Team um Weidinger und Illig außerdem zeigen, dass die entdeckten Varianten des Filaggrin-Gens auch das Risiko für das allergische Kontaktekzem erhöhen, insbesondere für allergische Reaktionen gegen das häufig in Modeschmuck enthaltene Nickel.
Ergebnisse
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass der Haut bei der Entstehung verschiedener allergischer Erkrankungen ganz entscheidende Bedeutung zukommt. „Für uns ist nun von Interesse, wie genau sich die Defekte im Filaggrin-Gen auswirken“, meint Illig. „Wir werden als Nächstes den Stoffwechselweg dieses wichtigen Proteins untersuchen. Unter anderem muss geklärt werden, welche molekularen Mechanismen auf genetischer Ebene, aber auch bei dem Protein selbst eine Rolle spielen.
Denn letztlich geht es natürlich darum, eine Therapie für die Patienten mit atopischen Erkrankungen zu finden“, so Illig. „Wenn ein Mangel an Filaggrin ein so wichtiger Faktor bei all diesen Leiden ist, wäre es etwa denkbar, die Produktion dieses Proteins bei den Patienten mithilfe von Cremes zu erhöhen oder auf anderem Weg seine Funktionen zu ersetzen. Unsere Ergebnisse sind also ein erster Schritt hin zu einem besseren Verständnis der krank machenden Mechanismen – und auch hin zu Ansätzen für eine mögliche Prävention und Therapie dieser weitverbreiteten Leiden.“