Elektrochemische Biochips erobern den Point-of-Care-Bereich
01.08.2011 -
Für den immer wichtiger werdenden Point-of-Care-Bereich (engl. Point-of-Care Testing: POCT) werden an die Diagnostikahersteller sehr hohe Erwartungen gestellt. Einerseits sollen die Testsysteme einfach zu bedienen sein, dann sollen sie innerhalb von wenigen Minuten das Testergebnis anzeigen, und schließlich sollen die Ergebnisse genauso exakt sein wie die Ergebnisse, die mit Standardverfahren erhalten werden.
Die Natur stellt dem Bioanalytiker hierfür ausgeklügelte molekulare Erkennungselemente in Form von Nukleinsäuren, Rezeptoren, Antikörpern, Enzymen und ganze Zellen zur Verfügung, die ihm beim gezielten Aufspüren des gesuchten Analyten in der zu untersuchende Probe behilflich sind. Einerseits gelingt es durch die Schlüssel-Schloss-ähnliche Passfähigkeit zwischen dem Analyten und dem Erkennungselement in Anwesenheit von vielen anderen Molekülen nur eine einzige Molekülstruktur (Analytmolekül) aufzuspüren (zu binden), andererseits zieht der Prozess der molekularen Erkennung ein biochemisches Signal nach sich, das es dem Bioanalytiker erlaubt, die Bindung relativ einfach nachzuweisen. Dies kann zum Beispiel über optische, elektrochemische, massesensitive oder thermische Verfahren erfolgen. Ein bekanntes Beispiel für POCT-Geräte mit optischer Anzeige sind Teststreifen, die durch unterschiedlich gefärbte Linien Ja/Nein-Aussagen zulassen.
Funktionsprinzip von elektrochemischen Biosensoren
Ein Weg, um nicht nur Ja/Nein Aussagen zu erhalten, sondern um die Konzentration eines Analyten genau und einfach bestimmen zu können, besteht darin, das Erkennungsmolekül auf einen hochsensitiven elektrochemischen Sensor zu fixieren und die Bindung des Analyten über eine Stromänderung anzeigen zu lassen. Auf eine bei den optischen Verfahren zunächst notwendige Umwandlung des biochemischen in ein optisches Signal und dann erst in ein elektrisches Signal kann dabei verzichtet werden. Zudem können für die Herstellung von elektrochemischen Sensoren Produktionsverfahren aus der Mikroelektronik adaptiert werden. In hohen Stückzahlen hergestellt, sinken die Produktionskosten für solche Sensoren dann auf ein paar Cent.
Die meisten elektrochemischen Biochips finden im Rahmen des Diabetesmanagements Anwendung. Mehr als 5% der Weltbevölkerung leiden bereits jetzt unter Diabetes, und täglich kommen neue Fälle dazu. So werden heute ca. 85% des Biosensormarktes durch Biosensoren für die Blutzuckerbestimmung gestellt.
Für die elektrochemische Blutzuckersensoren kommen vor allem zwei Transduktionsprinzipien zur Anwendung: 1. das mediatorfreie oder 2. das mediatorgestützte Prinzip.
Mediatorfreie Enzymsensoren
Der erste Typ arbeitet mit dem Enzym Glucoseoxidase, das auf einem Platinsensor immobilisiert ist. Das Enzym wandelt sehr spezifisch Glucose (Blutzucker) unter Sauerstoffverbrauch zu Gluconolacton und Wasserstoffperoxid um. Das Wasserstoffperoxid wird an einem Platinsensor oxidiert. Der dabei fließende Strom wird gemessen und ist in einem bestimmten Bereich direkt proportional zur Glucosekonzentration. Diese Art der Messung findet z.B. im Glukometer Pro (siehe Abb.) der Firma BST Bio Sensor Technology GmbH Anwendung. Das besondere an diesem Gerät besteht darin, dass mit einem Sensor viele Messungen durchgeführt werden können. Neben einer erheblichen Kostenreduktion ist dadurch eine sehr genaue Kalibrierung und Nachkalibrierung des Sensors möglich, die bei diesem Gerät automatisch erfolgt.
Mediatorgestützte Enzymsensoren
Der zweite Typ von Enzymsensoren nutzt das mediatorgestützte Prinzip in sogenannten Einwegsensorstreifen. Hier können aufgrund der Einmalmessungen nur Batchkalibrierungen durchgeführt werden. Neben der Glucoseoxidase wird beim mediatorgestützten Prinzip oft auch Glucosedehydrogenase verwendet. Der Mediator stellt eine redoxaktive organische Verbindung dar, die in der Lage ist, Elektronen zwischen dem aktiven Zentrum des Enzyms und dem elektrochemischen Sensor zu transportieren. Der Mediator kann in dem Enzymsensor in freier oder in immobilisierter Form (z.B. als Redoxpolymer) vorliegen.
So enthält der FreeStyle-Sensor der Firma Abbott neben einer Glucosedehydrogenase ein Redoxpolymer mit einem Osmiumkomplex als Mediator. Nur 0,3 µl Blut sind für die Blutzuckerbestimmung notwendig, eine Menge, die sich nahezu schmerzfrei aus dem Unterarm entnehmen lässt. Ein ähnliches Prinzip wird von Abbott bereits im Free Style Navigator für die kontinuierliche in vivo-Blutzuckerbestimmung am Oberarm angeboten. Mit dem Sensor können innerhalb der maximalen Messzeit von fünf Tagen ca. 7.000 Messungen durchgeführt werden.
Was für die elektrochemische Blutzuckerbestimmung im POCT-Bereich heute bereits Realität ist, ist für die DNA- und Proteinanalytik gegenwärtig noch Vision. Neben der Einschätzung, ob ein Akutfall, z.B. in Form eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles, vorliegt, wird die zeitnahe Diagnose einer bestimmten Krankheit oder die zu erwartende Reaktion eines Patienten auf ein Medikament immer wichtiger. Es werden einfache Testsysteme benötigt, die im Notfallwagen, in der Arztpraxis, am Krankenbett oder vom Patienten selbst angewendet werden können.
Erste elektrochemische POCT-Geräte für die Proteinbestimmung im Blut sind bereits auf dem Markt. Die Firma Abbott hat bereits vor einigen Jahren ein POCT-Gerät für die professionelle Anwendung mit dem Namen iStat auf den Markt gebracht, bei dem ein elektrochemischer Antikörperchip im Kassettenformat die Bestimmung von Markerproteinen erlaubt. Für die Diagnose von Herzinsuffizienz wird seit wenigen Monaten ein elektrochemischer Antikörperchip im Teststreifenformat von der Firma Alere GmbH unter dem Namen Heart Check vertrieben, mit dem es zum ersten Mal möglich ist, mit nur 15 µl Blut aus der Fingerbeere die Analyse im Rahmen einer Patientenselbstkontrolle durchzuführen. Das dabei nachzuweisende Protein wird ähnlich wie bei einem Enzymimmunoassay durch zwei Antikörper gebunden, wobei ein Antikörper mit dem Enzym Peroxidase markiert ist. Das Produkt der Peroxidasereaktion wird schließlich sensorisch an einem Kohlenstoffsensor nachgewiesen.
An der Universität Potsdam werden in der vom BMBF geförderten iPOC-Forschergruppe (iPOC: Integrierte Proteinchips für die Point-of-Care-Diagnostik) neuartige elektrochemische Biochips entwickelt, die die parallele hochsensitive Bestimmung von 1-10 Proteinen in Blutmengen unter 10 µl Blut erlauben sollen. Dazu wird interdisziplinär an Kernproblemen wie der gezielten Expression und Modifikation von Proteinen, waschfreien Immunoassayformate, Immobilisierung, Miniaturisierung von Fluidiksystemen und der Chipinte¬gration gearbeitet. Die iPOC-Plattform wird zunächst für den Nachweis von Proteinen aus den Bereichen Herz-Kreislauf- und Diabeteserkrankungen entwickelt, sollte sich später aber auch für die Diagnose anderer Krankheiten eignen. Mit den im iPOC-Projekt hergestellten Chips (11 kreisförmig angeordnete Goldelektroden mit je 0,5 mm im Durchmesser; im Zentrum: 1 Referenzelektrode und 1 Gegenelektrode) (siehe Abb.) konnten bereits erste elektrochemische Messungen parallel durchgeführt werden.