Deutschen Krankenhäusern gehen die Pflegefachkräfte aus: Eine Stellungnahme
25.10.2011 -
Deutschen Krankenhäusern gehen die Pflegefachkräfte aus. Standen vor einigen Jahren die gut qualifizierten Bewerber noch Schlange und mussten sich oft genug mit kurz befristeten und schlecht dotierten Arbeitsplätzen zufriedengeben, so hat sich das Blatt vollständig gewendet. Vor allem in grenznahen Regionen und Ballungsräumen berichten Klinikleiter, dass es immer schwieriger werde, geeignete Bewerber für freie Pflegefachkraftstellen zu akquirieren.
Besonders knapp und inzwischen auch teuer sind erfahrene Pflegefachpersonen mit Zusatzqualifikation für die Intensivstationen, den OP, das mittlere Management oder auch die Notaufnahmen. Und trotz hoher „Fangprämien", übertariflicher Zulagen, Erstattung von Umzugskosten oder der Aussicht auf das Jobticket lassen sich die begehrten und umworbenen Mitarbeiter nicht mehr anlocken. Woran liegt das und was ist zu tun, um Pflegefachkräfte zu finden und dann auch zu halten? Wie sieht aus Sicht von Pflegenden ein guter und attraktiver Arbeitsplatz aus?
Fachkräftemangel ist hausgemacht
Auch wenn Verantwortungsträger dies nicht gern hören - der Pflegefachkräftemangel in den Kliniken kam nicht plötzlich. Aus berufspolitischer Sicht muss man sogar sagen: Er ist zu einem großen Teil hausgemacht und hätte mit mehr Weitsicht verhindert werden können.
Mit dem Wegfall der Pflegepersonalregelung im Jahr 1996 wurde der Personalbemessung die gesetzliche Grundlage entzogen. In den Folgejahren setzte ein Abbau von Pflegepersonal ohne jegliches Augenmaß ein, jahrelange Einstellungsstopps und Streichung frei werdender Stellen waren die Regel. Große Anteile des Pflegepersonalbudgets wurden umgeschichtet und kompensierten beispielsweise fehlende Investitionen durch die Länder.
Der Abbau von Pflegepersonal finanzierte den Aufbau von Stellen und hohe Tarifzuwächse der Krankenhausärzte. Immer mehr Arbeit wurde auf immer weniger Schultern von Pflegenden verteilt, seit Jahren ist deren Arbeitsalltag geprägt von immenser Belastung, hohem Arbeitstempo und einem immer weniger kalkulierbaren Arbeitsanfall. Ein attraktiver Beruf sieht wahrlich anders aus.
„Wir wissen nicht, wie wir die Stationen besetzen sollen. Durch Urlaub und Krankheit sind so viele Pflegefachkräfte ausgefallen, dass nichts mehr geht. Und die Kollegen wollen nicht mehr einspringen!", klagte vor einigen Tagen eine Pflegedirektorin. Na endlich, möchte man da sagen. Endlich haben die verbliebenen Pflegenden begriffen, dass sie durch immer mehr Einsatz ein instabiles System nicht auf Dauer aufrecht halten können. Eine extrem ausgedünnte Personaldecke reißt eben, wenn die Haupturlaubszeit kommt und zusätzlich jemand krank wird. Mitarbeiter, die über viele Jahre übermäßig belastet wurden, sind zudem anfälliger, bleiben länger krank und resignieren angesichts solcher Kardinalfehler im Management.
Es ist selbstverständlich, dass medizinische Technik gewartet und gepflegt werden muss, um verlässlich zu funktionieren. Dafür wenden Krankenhäuser viel Geld und Zeit auf. Warum wird die „Humanressource" dagegen kontinuierlich verschlissen und vernachlässigt?
„Wir prüfen unsere Ausrüstung monatlich, wöchentlich oder sogar täglich. Aber wann schauen wir uns eigentlich einmal den lebenden, äußerst empfindlichen und wertvollsten Teil der Geräte an - Sie und mich? Jeder Rollstuhl wird besser gewartet als Mitarbeiter", sagte eine Pflegemanagerin zu den Teilnehmern eines Kongresses in England.
Das Bundesgesundheitsministerium meint zu wissen, was Pflegekräfte wünschen und sie im Beruf halten kann:
- die generalisierte Pflegeausbildung,
- mehr Ansehen und Wertschätzung für den Beruf,
- angemessene Vergütung (deshalb die Einführung des Pflege-Mindestlohns),
- Supervision und
- Bürokratieabbau.
Vielleicht hätte man die Pflegenden einmal fragen sollen. Auf die Frage, was einen guten Arbeitsplatz in der Pflege ausmacht, kommen immer dieselben Antworten:
- Ausreichend Zeit, den Beruf so auszuüben, wie man ihn gelernt hat; pflegerisches Wissen anwenden und umsetzen können. Dass es dabei auch einmal Arbeitsspitzen und Zeitdruck gibt, ist normal, dies darf aber nicht zum Dauerzustand werden. Natürlich heißt das auch, dass Bettplätze stillgelegt werden müssen, wenn Stellen auf Dauer unbesetzt sind.
- Gestaltungsspielräume und Autonomie entsprechend der Qualifikation.
- Fordern und Fördern.
- Wertschätzender Umgang, gute Führung.
Dass man mit seinem Verdienst auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, gehört natürlich dazu, das Gehalt sollte Qualifikation und Verantwortung entsprechen und motivieren. Niemand, der diesen Beruf wählt, erwartet aber, damit reich zu werden.
Eine Stationsleitung, die seit Monaten zwei Stellen vergeblich zu besetzen versucht, lässt auf deren Wunsch hin eine vielversprechende Bewerberin einen Tag hospitieren. Am Ende springt die Bewerberin ab. „Ich kann das gut verstehen, wer tut sich das auch an? Wir haben ja nur viel Arbeit, ständiges Rennen, fehlende Pausen und ein eher mageres Tarifgehalt zu bieten! Womit soll ich punkten?", so das Resümee der enttäuschten Stationsschwester, die sich große Hoffnungen gemacht hatte.
Recht hat sie. Was nützen Imagekampagnen, großformatige Stellenanzeigen in Hochglanz oder die mit blumigen Worten versprochene Work-Life-Balance, wenn die Berufsrealität anders aussieht und auf Dauer krank macht? Wenn ohne Not gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen wird, ohne dass jemand einschreitet. Wenn die Zeit fehlt, kritische Situationen frühzeitig zu besprechen, und sie dadurch zu Konflikten eskalieren. Wenn die eigene Professionalität ökonomischen Interessen geopfert werden muss. Wenn ein eigentlich wunderbarer, erfüllender und vielseitiger Beruf kaputtgeht und alle nur zusehen.
Die Last der Pflegearbeit in den Krankenhäusern wird heute in erster Linie von einer mittleren und älteren Generation getragen, der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 45 Jahren mit steigender Tendenz. Dies zeigt erfreulicherweise, dass Pflegefachpersonen, dank flexi¬bler Arbeitszeitregelungen und Teilzeit, immer länger im Beruf verweilen. Die kontinuierlich steigenden Krankenstände und im Branchenvergleich hohen Quoten an Frühberentung sind allerdings auch Ausdruck der jahrelang überhöhten Belastung. Solange dies nicht schnell und spürbar reduziert wird, bleibt der Beruf unattraktiv für junge Menschen und Quereinsteiger. Was wir dringend brauchen, sind eine vom Bedarf der Patienten abgeleitete Pflegepersonalbemessung und gesetzlich definierte Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen. Der Willkür nach Kassenlage muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden.
Pflegende sind nicht anspruchsvoll. Sie sind hoch motiviert, belastbar, verlässlich, loyal, verantwortungsbewusst - unverzichtbare Säulen unseres Gesundheitssystems. Wenn ein Arbeitgeber angesichts der Situation auf dem Fachkräftemarkt neben guten und gesunden Arbeitsbedingungen noch weitere Anreize zu bieten versucht wie den kostenlosen Parkplatz, die schichtentsprechende Kinderbetreuung, das gesundheitsfördernde Wellness-Wochenende oder die hundertprozentige Dienstplansicherheit, wird ihm das sicherlich Bonuspunkte im Wettbewerb verschaffen.
Wartung versäumt? Die Krankenhäuser haben in Bezug auf ihr pflegerisches Stammpersonal einiges gutzumachen, es wird nicht einfach werden, Vertrauen zurückzugewinnen. Wer heute konsequent und nachhaltig für wirksame Entlastung sorgt und dabei über die nächste Jahresbilanz hinaus denkt, bindet nicht nur eigene Fachkräfte, sondern gewinnt neue. Mitarbeiterorientierung spricht sich herum.
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