Medizin & Technik

MedInform-Konferenz zur Wiederverwendung von Medizinprodukten

28.10.2011 -

Bei der Aufbereitungspraxis von Medizinprodukten - gleich ob Einmal- oder Mehrwegprodukte - gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Doch trotz kontroverser Diskussionen machen sich Ansätze für neue Lösungen bemerkbar. Das verdeutlichten die Experten der MedInform-Konferenz "Wiederverwendung von Medizinprodukten - Neue Fakten und Perspektiven" am 27. Oktober 2011 in Bonn.

Dr. Jürgen Attenberger vom niedersächsischen Gesundheitsministerium berichtete aus der Überwachungspraxis, dass die Anforderungen an die Hygiene und die Aufbereitung in den medizinischen Einrichtungen auch zehn Jahre nach Veröffentlichung der RKI-/BfArM-Empfehlung noch zu wenig bekannt sind. Deutlicher wurde in der Diskussion der Hygieniker Prof. Dr. Heinz-Peter Werner: "Die Aufbereitung von Medizinprodukten ist in Europa skandalös. Wir haben einen großen Nachholbedarf, beispielsweise bei den Endoskopen und im Zahnarztbereich."

Auf euopäischer Ebene wird es im Rahmen der Überarbeitung der Medizinprodukte-Richtlinien eine einheitliche Regelung der Aufbereitung geben. Offen ist, wie sie aussehen wird. Experte Peter Schröer von Ethicon Endo-Surgery hält es für wahrscheinlich, dass die Aufbereitung von Einmalprodukten als Herstellungsprozess angesehen wird und Hochrisiko-Produkte nicht aufbereitet werden dürfen. "Im Sinne der Patientensicherheit sollte eine Aufbereitung von Einmalprodukten außerhalb des Medizinproduktegesetzes europaweit verboten werden", so Schröer.

Wenn aufbereitet werde, dann solle der Aufbereiter auch die volle Verantwortung wie bei einem Herstellungsprozess übernehmen. Aufbereiter Robert Schrödel von Pioneer forderte neue Lösungsansätze und begrüßte es, dass auf europäischer Ebene über eine stärkere Regulierung und eine bessere Überwachung der Aufbereitung nachgedacht wird.

In seinem Vortrag über regulatorische Aspekte der Aufbereitung von Medizinprodukten beschrieb Peter Schröer, Director Quality Systems & Regulatory Affairs bei Ethicon Endo-Surgery die Entwicklung auf europäischer Ebene: Angesichts national höchst divergierender Vorschriften hat die EU-Kommission ein Mandat vom Europäischen Parlament erhalten, die Aufbereitung von Medizinprodukten europaweit zu regeln.

Derzeit ist die Aufbereitung von Einmalprodukten in Deutschland zulässig und gilt als Dienstleistung statt als Produktion. Die Vorgabe "Einmalprodukt" wird in Deutschland nicht als Teil der Zweckbestimmung des Medizinproduktes akzeptiert. In Frankreich wird dagegen die Wiedervewendung von Einmalprodukten als "Täuschung des Patienten" angesehen und ist seit 2001 gesetzlich verboten.

In Schweden geht bei der Aufbereitung von Einmalprodukten die Verantwortung auf den Anwender als "In-Haus-Hersteller" über. Außerdem ist eine Patienteneinwilligung erforderlich. In den USA gilt die Aufbereitung als Herstellungsprozess mit strengen Anforderungen. In diesen 220 Millionen Dollar-Markt kauft sich Johnson & Johnson derzeit mit der Übernahme der Firma SterilMed ein.

Wo geht die Entwicklung in Europa hin? Grundlage der europäischen Regelung wird laut Schröer der Bericht des wissenschaftlichen Ausschusses SCENIHR sein, auf den sich die Kommission stützt. Demnach besteht das höchste Risiko, wenn kritische Produkte aufbereitet werden: "Nicht alle Einmal-Medizinprodukte eignen sich aufgrund Ihrer Eigenschaften (Material, Form) und ihres Verwendungszwecks für die Aufbereitung", so die Schlussfolgerung des Berichts.

Unter Berücksichtigung dieser Gefahren und Risiken wird die EU-Kommission Maßnahmen prüfen, die ein hohes Schutzniveau für die Patienten sicherstellen. Möglich ist eine EU-weite Regelung, bei der die Aufbereitung als Herstellungsprozess angesehen wird und Hochrisiko-Produkte nicht aufbereitet werden dürfen. Schröer kritisierte, dass die Aufbereitung von Medizinprodukten in Deutschland unzureichend kontrolliert werde.

Dr. Jürgen Attenberger, Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen vom niedersächsischen Gesundheitsministerium, stellte die Erfahrungen der Überwachungstätigkeit in Niedersachsen vor. Die fachliche Erkenntnis aus der Überwachungstätigkeit lautet zusammengefasst: Zehn Jahre nach Veröffentlichung der RKI-/BfArM-Empfehlung "Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten" haben sich viele Einrichtungen des niedergelassenen Bereichs "noch nicht mit deren Umsetzung befasst und halten die Vorschriften noch nicht ein", so Attenberger.

Es finde aber an vielen Stellen eine qualifizierte Diskussion über die Optimierung der Aufbereitung statt, in die auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen. Um eine gleichwertige Überwachungstätigkeit der Bundesländer sicherzustellen, haben die Landesbehörden eine "Empfehlung für die Überwachung der Aufbereitung von Medizinprodukten" erarbeitet (zu finden unter www.zlg.de). Attenberger sieht nur wenig Änderungsbedarf.

Ein Verbot der Aufbereitung von Einmalprodukten sei aus seiner Sicht nicht sachdienlich und nicht erforderlich. Der Rechtsrahmen für die Aufbereitung von Medizinprodukten sei im Wesentlichen ausreichend. Derzeit laufe die Aktualisierung der RKI-/BfArM-Empfehlung. Hier müsse vor allem die Anlage zur Qualifikation von Personal verbessert werden. Die Veröffentlichung ist für Anfang 2012 geplant

Antje Emmermann, Director Market Access ASP bei Ethicon Endo-Surgery, ging auf ökonomische Aspekte der Aufbereitung von Medizinprodukten ein. Der Fokus der ökonomischen Betrachtungen liege insgesamt zu sehr auf Einsparungen im einzelnen Krankenhaus.

Interessanter sei die volkswirtschaftliche Perspektive, die aber stark vernachlässigt werde. Emmermann analysierte alle verfügbaren Studien zur Kostenbetrachtung der Aufbereitung. Verwertbar seien nur 23 Studien, die im Durchschnitt Kosteneinsparungen zwischen 40 und 75% feststellen. Die Qualität der Studien sei allerdings überwiegend schlecht, beispielsweise werde kaum auf die Kosten der Aufbereitung und auf Folgekosten bei Ereignissen eingegangen.

Die Studien seien deshalb von nur geringer Aussagekraft für Entscheidungsträger. Emmermann: "Wir brauchen idealerweise Beobachtungsstudien über einen längeren Zeitraum, die direkt den Gebrauch von Einmalprodukten mit aufbereiteten Produkten vergleichen und alle ökonomischen Aspekte der Prozesse einschließen."

Rechtliche Aspekte der Aufbereitung beleuchtete Rechtsanwalt Dr. Volker Lücker, Fachanwalt für Medizinrecht aus Essen. Lücker stellte aktuelle Urteile zur Aufbereitung von Einmal- und Mehrwegprodukten vor. Nach einem Beschluss des VG Arnsberg gebe die Nichteinhaltung der RKI-/BfArM-Empfehlung der Behörde die Möglichkeit, im Rahmen des Sofortvollzugs die Aufbereitungstätigkeit einstellen zu lassen.

Das OVG Nordrhein-Westfalen stellte 2007 fest, dass ein QM-System nachgewiesen werden muss, wenn eine Aufbereitung durch Dritte erfolgt. Zu haftungsrechtlichen Fragen verwies Lücker auf ein älteres Urteil vom OLG Zweibrücken. Demnach sei die mangelhafte Aufbereitung eines Herzkatheters ein grober Behandlungsfehler. In diesem Fall haftet der Arzt für den Tod, auch wenn die Kausalität fraglich ist (Beweislastumkehr). Denn zur Not hätten Einmalprodukte genutzt werden müssen.

Lücker erläuterte seine Rechtsmeinung, warum der Herstellerhinweis auf die einmalige Verwendbarkeit eines Medizinproduktes Bestandteil der Zweckbestimmung sei. Die Frage, ob der Arzt dem Patienten eine Aufklärung schuldet, wenn er beabsichtigt, an ihm ein aufbereitetes Einmalprodukt zu verwenden, verneinte Lücker. Eine Aufklärung impliziere das Verständnis eines erhöhten Risikos und könne so als Versuch gewertet werden, einen beabsichtigten Sorgfaltsverstoß vorab zu legitimieren. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass der Arzt bei Verwendung eines aufbereiteten Einmalprodukts nicht von einem erhöhten Patientenrisiko ausgehe.

Hygienefachkraft Babett Hartung vom bundesweiten Kompetenzzentrum der KVen und der KBV für Hygiene und Medizinprodukte in Reutlingen beschrieb die Aufgaben des Zentrums, das seine Tätigkeit im Jahr 2010 aufnahm: Es gehe um die Unterstützung der Einrichtungen des niedergelassenen Bereichs in Fragen der Hygiene und der Aufbereitung von Medizinprodukten. Als maßgebliche Probleme nannte sie mangelnde Kenntnisse der Praxisbetreiber und Mitarbeiter bei der Umsetzung aktueller Gesetze, Richtlinien und Normen, aber auch mangelhafte Aufbereitungshinweise der Hersteller oder zu hohe Kosten für die Validierung. Schwachstellen seien außerdem fehlende Strukturen und Überschneidungen bei Zuständigkeiten der Überwachung der Aufbereitung und der Hygiene.

Die unterschiedliche Unterstützung und Entscheidungspraxis der Aufsichtsbehörden führe zudem zu Ungerechtigkeiten. Mitunter sei die Überwachung in ihrem Umfang unangemessen und in ihren Forderungen unrealistisch. Wegen der Vielzahl der Probleme sei es schwierig, den Arzt beim Thema Hygiene zu erreichen.

Das neue KBV-Kompetenzzentrum will hier als Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte Unterstützung, Beratung und Lösungskonzepte bieten. Außerdem sollen die Mitarbeiter der KVen und der KBV in Hygienefragen besser qualifiziert und fortgebildet werden. So sollen dem Arzt Checklisten an die Hand gegeben werden, um sich auf eine behördliche Überwachungsaktion vorzubereiten. Ein großes Thema ist die externe Aufbereitung. Die Einrichtungen müssen über ein Qualitätsmanagement, über valide Prozesse und qualifiziertes Personal verfügen. Derzeit arbeitet das Kompetenzzentrum an einem allgemeinen Hygieneleitfaden und an einer Übersicht über baulich-funktionelle Anforderungen an Eingriffe und ambulante Operationen.

Dr. Wolfgang Lauer, neuer Abteilungsleiter Medizinprodukte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, berichtete über eine Vorstudie seiner Behörde zur Aufbereitungspraxis, um die Datenlage zur Qualität aufbereiteter Medizinprodukte zu verbessern sowie Methoden zur Untersuchung der Qualität von aufbereiteten Medizinprodukten zu entwickeln und zu validieren.

Im Fokus standen dabei folgende Produktgruppen: Klammernahtgeräte, Ultraschallscheren, arthroskopische Shaver Blades sowie kardiologische RF-Katheter mit Ablationsfunktion. Die Ergebnisse: Untersuchungen auf Partikelarmut und chemische Sauberkeit sind möglich. Die Anwendbarkeit der Methoden zum Nachweis biologischer Rückstände setzt die Übereinstimmung der Geometrie und des Materials der zu prüfenden Instrumente voraus. Und: Weitere Überlegungen zur Ermittlung geeigneter Parameter zur Prüfung der technischen und funktionellen Sicherheit sind vonnöten.

Nach Fertigstellung soll der Abschlussbericht über die Studie durch das Bundesgesundheitsministerium publiziert werden. Lauer stellte auch den aktuellen Stand der Überarbeitung der RKI-/BfArM-Empfehlung "Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten" vor. Der Kerntext sei in Struktur und Inhalt wenig verändert worden, enthalte jetzt aber 7 Anlagen zu Einzelaspekten der Aufbereitung. Innerhalb der nächsten Tage solle der Entwurf zur Stellungnahme bis Januar 2012 verschickt werden. Die Verabschiedung der überarbeiteten Empfehlung ist für das Jahr 2012 geplant.

Dr. Jürgen Gauer, Forschungsleiter Qualitätsmanagement beim Prüfinstitut SMP in Tübingen, stellte neue Untersuchungen von aufbereiteten Medizinprodukten - Mehrwegprodukte und Einmalprodukte - vor. Zu den 34 aufbereiteten Einmalprodukten, die zufällig ausgesucht und mit einem Mikroskop untersucht wurden, gehörten Stapler, Klemmen oder Ablationskatheter. Das negative Ergebnis: 79% der Produkte hatten Kontaminationen, 20% Verpackungsfehler, 6% mechanische Fehler. Bei einem Cutter waren Blutreste feststellbar. Offensichtlich fand keine Endkontrolle statt. Es wurde auch ein Herzkatheter untersucht, der Borstenreste und Korrosionsspuren enthielt. Zudem konnte der ursprüngliche Biegeradius von 180 Grad nicht mehr erreicht werden. "Das ist ein katastrophales Ergebnis", so Gauer. 59% der aufbereiteten Produkte hatten ein falsches Labelling auf der Verpackung.

In einer weiteren Untersuchung wurde ermittelt, welche Auswirkungen auf die Qualität der Reinigung von Mehrwegprodukten Neuentwicklungen im Bereich der Reinigungschemie und der Reinigungs- und Desinfektionsgeräte haben. Hier wurden sechs Instrumentengruppen und insgesamt fast 250 Instrumente untersucht - bis hin zu komplexen und flexiblen Instrumenten. Als ein vielseitiges und sehr effektiv wirkendes Werkzeug, um Kontaminationen aus schwer zugänglichen Bereichen auszuspülen, erwies sich die Wasserpistole.

Einen neuen Lösungsansatz im Markt stellte Robert Schrödel vor, Vorstandsvorsitzender der Pioneer Medical Devices AG. Pioneer verfolge "als erster Medizinproduktehersteller, der gleichzeitig Aufbereiter von Medizinprodukten der Klasse kritisch C ist", einen integrierten Ansatz: die Herstellung und intergrierte Aufbereitung von komplexen Medizinprodukten als "geschlossenes System".

Dabei werden auch Systempartnerschaften mit Originalherstellern gesucht. Als erstes Produkt wird die Herstellung und Aufbereitung von Elektrophysiologie-Kathetern entwickelt. "Dank der Effizienzsteigerung und der damit einhergehenden Einsparungen durch intelligente, innovative Systemlösungen und qualitativ hochwertige Aufbereitungstechnologie haben alle Beteiligten einen Vorteil", so Schrödel. Die Systemlösung beschreibt er als "Innovation im Bereich komplexer Medizinprodukte mit CE-integrierter Aufbereitbarkeit". Dazu gehören Shaver Blades mit 6-maliger CE-integrierter Aufbereitung oder eine neu entwickelte bipolare Arthroskopie-Elektrode. Nach Ansicht Schrödels komme nun mehr Dynamik in die Diskussion, da große US-Hersteller wie Stryker und Johnson & Johnson führende Anbieter von Wiederaufbereitungsdienstleistungen für Medizinprodukte in den USA gekauft haben.

 

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