Digitales Pathologiesystem - Beschleunigung und mehr Qualität
08.12.2011 -
Ein digitales Pathologiesystem bestehend aus Slide Scanner und Workflow-Software konnte die Pathologie des Dietrich-Bonhoeffer Klinikums, Neubrandenburg, im Rahmen des EU-geförderten Pomerania-Projektes anschaffen.
Das System wurde kürzlich installiert und soll nicht nur für Demonstrationen oder wissenschaftliche Auswertungen, sondern vor allem in der Routinediagnostik in der Pathologie eingesetzt werden. Leica Microsystems hatte den Zuschlag für die Ausschreibung zur Telepathologie bekommen.
Dr. Jutta Jessen sprach mit dem Chefarzt der Pathologie des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum, Dr. Thomas Decker, über die Vorteile des neuen Systems und befragte Dr. Jürgen Kress, Leiter der Business Unit Clinical & Virtual Microscopy von Leica Microsystems, zu technischen Details.
M&K: Welche Herausforderungen haben in Ihrer Klinik dazu geführt, ein digitales Pathologiesystem einzusetzen und in welchen Bereichen findet es Verwendung?
Dr. Thomas Decker: Unsere Klinik liegt in einem Gebiet, dessen Infrastruktur sich durch dünne Besiedlung in einer großen Fläche auszeichnet. Neben unseren eigenen 1.200 Betten betreuen wir auch externe Häuser, darunter das Werner Forßmann Krankenhaus, den onkologischen Schwerpunkt der Klinikum Barnim GmbH in Eberswalde. Während diese Kooperation ursprünglich auf Schnellschnittuntersuchungen beruhte, geht es heute vor allem um die persönliche Teilnahme des Pathologen an prä- und postoperative Tumorkonferenzen, die z.B. für die Zertifizierung des dortigen Darmzentrums Voraussetzung ist.
Das digitale Pathologiesystem ermöglicht uns dabei eine viel größere Flexibilität bezüglich einzelner Fälle und eine schnellere Vorbereitung der Konferenz. Ein zeitaufwendiges Heraussuchen und abschließendes Wegräumen der Schnitte entfällt ebenso wie der Versand. Künftig wird unser Pathologe auch eilige Diagnosen für das Haus direkt vor Ort an eben erst fertig gestellten virtuellen Schnitten stellen und sofort diskutieren können. Die Entfernung des Kollegen spielt keine Rolle mehr.
M&K: Welche Vorteile erwarten Sie sich von dem Slide Scanner für Ihre Klinik, die Mitarbeiter und die Patienten?
Dr. Thomas Decker: Neben der deutlich schnelleren Auslieferung der Schnitte aus dem Labor zum befundenen Pathologen erleichtert das digitale System die Qualitätssicherung. Eine bei vielen Diagnosen vorgeschriebene Zweit-Befundung kann auf elektronischem Weg viel effizienter erfolgen, da die Daten dem Kollegen leichter zur Verfügung gestellt werden können. Außerdem kann die Qualitätssicherung durch das Einbeziehen von Vorbefunden erweitert werden. Aus den USA stehen Statistiken zur Verfügung, die ca. 10% Abweichungen zur Vorbefundung feststellen, wobei 2% klinisch relevant sind.
Unabhängig von der internen Qualitätssicherung haben Mitarbeiter vor Ort deutlich bessere Möglichkeiten zur Fallbesprechung. Zusätzlich kann das System auch hervorragend zur Ausbildung eingesetzt werden.
Inwieweit soll der Slide Scanner den Workflow in der Routine-Pathologie verändern und wo liegen hier die größten Einsparpotentiale?
Dr. Thomas Decker: Das digitale System ist vor allem eine Investition in die Qualitätsverbesserung, insbesondere in Beschleunigung und Genauigkeit der Diagnoseerstellung. Einsparmöglichkeiten bzw. Kapazitätserweiterungen ergeben sich im Bereich des Personalbedarfs für die Logistik von Schnittsortierung, -verteilung und -archivierung. Künftige Einsparmöglichkeiten ergeben sich beim Platzbedarf für die Archivierung. Da die virtuellen Schnitte im Gegensatz zu den Originalen unverändert bleiben und die Informationen auf kleinstem Raum archiviert werden können. Voraussetzung dafür ist die auch medikolegale Akzeptanz dieser Tatsache.
Bietet der Einsatz eines Slide Scanners neue diagnostische Möglichkeiten, die bisher nicht zur Verfügung standen?
Dr. Thomas Decker: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass semiquantitative Beurteilungen am Bildschirm deutlich einfacher funktionieren. Unsere aktuellen Untersuchungen zeigen, dass eine Standardisierung für bestimmte Biomarker extrem wichtig, jedoch praktisch nicht immer einfach umzusetzen ist. Der Durchbruch automatisierter Bildauswerteprogramme in die leitliniengerechte Medizin ist zwar bisher noch nicht erreicht, doch wir werden uns in einem entsprechenden Projekt engagieren.
Können die Serviceleistungen Ihrer Pathologie erweitert werden? Wo liegt die Wertschöpfung für die Pathologie, die ein digitales System einsetzt?
Dr. Thomas Decker: Wir stehen in Neubrandenburg regelmäßig für ca. 1.000 konsilarische Mitbeurteilungen pro Jahr zur Verfügung, insbesondere in der Mammapathologie. Mit dem System ist es nun einfacher die Erläuterungen zu visualisieren. Lange schriftliche Erklärungen lassen sich kürzer gestalten, wenn beide Kollegen zeitgleich den gleichen Schnitt ansehen. Durch Markierungselemente des digitalen Systems kann der Fragesteller besser erkennen, worauf unsere Diagnose beruht.
Mit welchem Investitionsvolumen konnte das Projekt in Ihrer Klinik realisiert werden? Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen das EU geförderte Pomerania-Projekt eröffnet hat?
Dr. Thomas Decker: Zusätzlich zu unserem Haus hat das Pomerania-Projekt die Finanzierung durchgeführt. Ohne die EU-Förderung wäre das System hier bei uns sicher nicht realisiert worden. Dazu muss man sagen, dass die digitalen Pathologiesysteme bereits seit längerer Zeit mit sehr guter Bildqualität aufwarten aber erst seit Kurzem zeitgerecht für die Routine einsetzbar sind. Wenn jetzt ein System komplett neu implementiert werden muss, ist dies schon mit einem enormen finanziellen Aufwand verbunden. Hier bei uns konnte die Förderung greifen, da wir grenznah die Möglichkeit zur Kooperationen mit polnischen Kollegen haben.
In den nächsten 3-5 Jahren möchten wir im Rahmen des Pomerania-Projekts in Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen ein System zur konsilarischen Mitbeurteilung für Mamma- und gastrointestinale Pathologie entwickeln, um ein virtuelles Trainingssystem für Pathologen aufzubauen. Im Rahmen des Projekts möchten wir eine optimale Lösung der Langzeitarchivierung durch ein zeitgemäßes Massenspeicherungsmodell für die Routine entwickeln.
Was sollten Kliniken berücksichtigen, wenn sie ein digitales Pathologiesystem einführen? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden?
Dr. Thomas Decker: Zunächst einmal sollte man sich anhand von praktischen Beispielen über digitale Pathologiesysteme in der diagnostischen Routine in direkter Kommunikation informieren. Dies ist in Europa momentan nur in Holland und Skandinavien möglich oder dann weltweit betrachtet in den USA. Absolute Voraussetzung ist natürlich eine Verwaltung, die die Rolle der modernen Pathologie richtig einschätzt und deshalb auch auf diesem Gebiet Investitio¬nen gegenüber aufgeschlossen ist. Es bedarf Kollegen, die der neuen Technik gegenüber aufgeschlossen sind. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass zur erfolgreichen Implementierung des Systems die EDV eine entscheidende Rolle spielt. Persönlich Verantwortliche des Pathologie-Instituts, des Scanner-Herstellers und IT-Spezialisten müssen den Scanner in den Workflow einbinden. Eine gute Kooperation sowohl mit der hauseigenen IT-Abteilung als auch mit den Partnern des Pathologie-spezifischen IT-Systems, in unserem Fall dc-systeme, Heiligenhaus, ist also unbedingt nötig.
Dr. Jürgen Kress, Leiter der Business Unit Clinical & Virtual Microscopy von Leica Microsystems zu technischen Details.
Welche Besonderheiten weisen die Lösungen für digitale Pathologie von Leica Microsystems auf und wie unterscheiden sie sich von Wettbewerbsprodukten?
Dr. Jürgen Kress: Die digitale Pathologie revolutioniert die pathologische Befundung, weil sie flexible und kooperative Befundungsabläufe ermöglicht. Die Möglichkeit, sich kurzfristig mit anderen Pathologen über einen Fall austauschen zu können und auch quantitative Messungen an den digitalen Bildern machen zu können, erhöht die Qualität der pathologischen Befundung und verkürzt die Zeitspanne bis zur Diagnose.
Dazu werden zum einen Scanning-Technologien benötigt, die möglichst automatisiert und mit hohem Durchsatz Slides zuverlässig digitalisieren können, um dem hohen täglichen Arbeitsaufwand in Kliniken gerecht zu werden.
Zum anderen werden moderne Softwarelösungen gebraucht, mit denen die Befundungsabläufe optimal unterstützt werden und die sich in die bestehende IT-Landschaft des Karnkenhauses integrieren - und das mit höchsten Ansprüchen an Datensicherheit.
Leica Microsystems bietet ein volles Lösungsspektrum für die digitale Pathologie an, das auf der einen Seite unsere traditionellen Stärken als Premium Optik-Hersteller nutzt, auf der anderen Seite sind unsere Software Lösungen sehr flexibel und zusammen mit Kunden entwickelt.
Mit dem Slide Scanner haben wir unser Know-how in Optik, Mechanik und Elektronik optimal verbunden. Das Resultat ist einer der schnellsten Scanner auf dem Markt, der vor allem im Dauerbetrieb über Nacht hohe Durchsatzraten bis zu 400 Proben ermöglicht. Außerdem erlaubt unsere Autofokus-Technologie, dass Slides in der Regel vollautomatisch scharf gescannt werden.
Wie gut lässt sich der Slide Scanner in bestehende KIS/LIS-Strukturen integrieren?
Dr. Jürgen Kress: Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung als Systemanbieter in der Pathologie wissen wir natürlich, wie wichtig die Integration in die bestehende Infrastruktur ist. Unser komplettes Portfolio unterstützt die üblichen Integrationsstandards für Daten- und Bildübertragung. Wir haben aber auch schon in mehreren Fällen kundenspezifische Lösungen realisiert, unsere Lösungen sind sehr flexibel im Realisieren von Schnittstellen!
Wie gut lassen sich digitale Pathologiesysteme an individuelle Rahmenbedingungen und Anforderungen in Kliniken anpassen? Wo liegen hier die Herausforderungen?
Dr. Jürgen Kress: Die Einführung von digitaler Pathologie hat natürlich erheblichen Einfluss auf die Art und Weise, wie gearbeitet wird, bzw. gearbeitet werden kann. Damit die Vorteile ausgeschöpft werden können, ist es sogar erforderlich, bestehende Arbeitsabläufe anzupassen. Unsere Lösung macht per se relativ wenig Annahmen über zu implementierende Prozesse und kann so flexibel abbilden, wie der Befundungs-Workflow und die Fallzuweisung im konkreten Fall aussehen sollen.
Eine der wichtigsten Aspekte bei der Einführung von jeder Art von neuer Technologie ist natürlich die Einbeziehung und Schulung von allen betroffenen Mitarbeitern. Dazu braucht es einen klaren Managementfokus und gute Projektleitung. Wir unterstützen den Prozess mit flexibler und leicht zu bedienender Software, die zusammen mit Kunden ständig weiterentwickelt wird, sowie mit den nötigen Schulungen des Personals.
Welche Bereiche deckt die digitale Pathologie-Software bisher ab, welche Neuentwicklungen sind zu erwarten?
Dr. Jürgen Kress: Eine der ersten Anwendungen der digitalen Pathologie war die medizinische Ausbildung, wo die Digitalisierung großes Potential zur Standardisierung und Qualitätsverbesserung bietet.
Vor allem in den USA ist der Markt für quantitative Bildanalyse stark entwickelt, weil hier für einige Krebsmarker zusätzliche Fallvergütung bezahlt wird, wenn digitale Technologien bei der Diagnoseunterstützung eingesetzt werden.
Seit einiger Zeit sehen wir aber auch zunehmend Infrastruktur-Projekte - wir nennen das „store and share" -, wo die oben beschriebene flexible Befundungsunterstützung realisiert wird. Das Pomerania-Projekt ist in dieser Größenordnung ein Vorreiter in Europa, und wir freuen uns, hier als Partner mitwirken zu können!
Für die Zukunft sehen wir vor allem die weitere Einführung der digitalen Pathologie in den verschiedenen Befundungsszenarien, weitere lokale, regionale und globale Kooperationsprojekte und vor allem die Einführung von quantitativer Bildanalyse in die Prozesse.
Welche Entwicklungen sehen sie als Meilensteine der Zukunft?
Dr. Jürgen Kress: Die Herausforderungen im klinischen Umfeld gehen sicherlich in Richtung ständig größer werdendem Durchsatz. Das stellt vor allem hohe Anforderungen an die Scanning-Technologie, aber auch an das Datenmanagement.
Der breitere Einsatz im pathologischen Befundungs-Workflow wird es erfordern, sich flexibel an die sich veränderten Abläufe anpassen zu können.
Außerdem werden im Bereich quantitativer Bildanalyse zunehmend mehr Biomarker auf den Markt kommen, deren Analyse durch Software unterstützt werden kann.
Leica Microsystems hat innerhalb kurzer Zeit eine herausragende Stellung in der digitalen Pathologie erreicht - und wir werden diese weiter ausbauen, in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden!
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