Leberzellkarzinom: Multikinase-Hemmer Sorafenib
09.07.2012 -
Leberzellkarzinom: Multikinase-Hemmer Sorafenib. Für die Behandlung von Krebserkrankungen ergeben sich durch die zielgerichtete Orientierung an den molekularen Defekten und den Mutationen in den Krebszellen neue und erfolgsversprechende Optionen. Die so genannte „targeted therapy“ mit dem Multikinase-Hemmer Sorafenib (Nexavar) hat sich inzwischen beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom bewährt und ist in der Bundesrepublik für diese Indikation zugelassen. Die bisherigen Resultate experimenteller und klinischer Forschung mit Sorafenib belegen inzwischen auch verbesserte Möglichkeiten bei der Behandlung von Patienten mit hepatozellulärem Karzinom (HCC). Die Daten wurden auf einer Pressekonferenz von Bayer Schering im Juni 2007 in Frankfurt vorgestellt.
Klinik des hepatozellulären Karzinoms
Die Häufigkeit des hepatozellulären Karzinoms liegt in Deutschland bei 5,7 auf 100.000 Einwohner, wobei HCV ein besonderer Risikofaktor zu sein scheint. Auch Diabetes-Patienten scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben. Infolge der großen Ausbreitung von Hepatitis B in den Ländern Afrikas und Asiens bestehen dort bedeutend höhere Prävalenz-Raten und dadurch die Gefahr, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren auch in Mitteleuropa mit einer größeren Ausbreitung zu rechnen ist. Weil die zunächst kleinen Tumore potentiell heilbar sind, besteht bei einer Früherkennung der Erkrankung die Chance einer Verbesserung der Prognose. Patienten mit Leberzirrhose sollten demgemäß halbjährlich sonographisch untersucht werden. Entsprechend der häufig angewendeten Barcelona Clinic Liver Cancer – Stadieneinteilung wird nach Child Pugh Status in die Stadien A bis C unterteilt, was dann für die Algorithmen zur Therapie dient.
Im Frühstadium wird die Teilresektion der Leber vorgenommen, wodurch eine 5- Jahresüberlebensrate von 20 bis 50 % erreicht wird. Bei größeren Tumoren wird eine Lebertransplantation mit einer 5-Jahres-Überlebensprognose von 70 % angestrebt. Als weitere Behandlungsmethoden kommt eine Radiofrequenz- oder Laser-induzierte Ablation infrage, was ebenfalls mit guten Überlebenschancen verbunden ist. Bei lokal fortgeschrittenem HCC (Child-Pugh B) wird eine „Transarterielle Chemoembolisation“ angewendet, wobei entsprechende Wirkstoffe i. a. appliziert werden. Für spätere Stadien mit Pfortaderinfiltrationen oder extrahepatischen Manifestationen im Stadium B werden dringend Substanzen benötigt, da sich herausgestellt hat, dass die bisher zur Verfügung stehenden und auch klinisch geprüften Verbindungen (Mono- Kombinationschemotherapie bzw. Immunmodulatoren) zu keinem Überlebensvorteil im Vergleich zu den Kontrollen geführt haben.
Pathogenese des Leberzellkarzinoms
Die Entstehung und das Fortschreiten des Leberzellkarzinoms gehen mit einer Aktivierung bestimmter Signalwege einher. Für die Auslösung der Zellteilung werden die Signalproteine Ras (Rat sarcoma) und Raf (Ras-activated factor) verantwortlich gemacht, die in enger Wechselwirkung miteinander stehen. Während in der gesunden Zelle das Teilungssignal (Ras-Proteine) nach der Zellteilung abgeschaltet wird, bleibt bei der Krebszelle dieses Signal weiterhin aktiv und führt zu permanenter Zellteilung. Raf überträgt Phosphatreste und leitet somit die Wachstumsimpulse bis in den Zellkern weiter. Weil bei einer Blockade dieser Kinase die Wachstumssignale im Zellkern nicht mehr ankommen, wird die Zellproliferation unterbunden.
Wirkmechanismus von Sorafenib
Der Multikinase-Hemmer Sorafenib (Nexavar) hemmt die Raf- Kinase, was das weitere Wachstum des Tumors unterbindet (Abb. 1). Die Wirksamkeit von Sorafenib kommt auch bei Tumoren zum Tragen, die keine Ras-Mutation aufweisen, was für die Hemmwirkung auf weitere Kinasen spricht. Hierzu zählen die Tyrosin-Kinasen der Rezeptoren für den „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF-Rezeptor) und für den „Platelet Derived Growth Factor“ (PDGF-Recetor- beta). Sorafenib wirkt somit auch antiangiogenetisch, so dass die Tumore in der Folge durch unzureichende Nährstoffversorgung blockiert werden.
Klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit
Auf Basis dieser biochemischen Forschungsergebnisse wurde eine klinische Phase-II-Studie an 137 Patienten mit Child-Pugh-Stadium A (72 %) und B (28 %) durchgeführt. 8 % der Patienten zeigten eine Response auf diese Therapie und bei weiteren 34 % der Patienten wurde ein stabiler Verlauf der Erkrankung über >16 Wochen registriert. Die durchschnittliche progressionsfreie Überlebenszeit betrug unter dieser Behandlung 5,5 Monate. Als medianes Gesamtüberleben wurden 9,2 Monate berechnet. Als dem Präparat zugeordnete Nebenwirkungen (Grad 3) wurden festgestellt: Fatigue: 9,5 % Diarrhöe: 8 % Hautreaktionen an den Händen oder Füßen: 5,1 %. Bei einem Teil der Patienten wurde überprüft, inwieweit eine Korrelation zwischen bestimmten molekularen Markern und der Zeit bis zur Tumor-Progression bestand. Hierbei konnte gezeigt werden, dass die Expression von phosphoriliertem ERK (Extracellular Regulated Kinase) einen gesicherten Einfluss auf das Tumorwachstum ausübt.
Ausgehend von diesen klinischen Daten wurde eine kontrollierte, randomisierte Phase-III-Prüfung durchgeführt. Als primäre Endpunkte dienten das Gesamtüberleben und die Zeit bis zum symptomatischen Progress der Erkrankung. Eingeschlossen wurden 299 Patienten, die 2x tgl. 400 mg Sorafenib oral erhielten. In der Kontroll- Gruppe wurden 303 Patienten 2 x tgl. Placebo verabreicht. Es wurden in 23 Ländern Patienten mit histologisch gesichertem und fortgeschrittenem HCC (Child-Pugh Stadium A) in die Studie eingeschlossen, die vorher systemisch nicht behandelt waren. Bei der zweiten Zwischenanalyse (321 Todesfälle) wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, da unter der Verum-Behandlung eine Verbesserung des Überlebens um relativ 44 % (p = 0,0006) festgestellt werden konnte. Als Median-Wert für das Gesamtüberleben wurden 10,7 Monate unter Sorafenib berechnet, im Unterschied zur Placebo-Gruppe mit 7,9 Monaten (Abb. 2) (Hazard Ratio: 0,69; p = 0,00058). Gesichert zu Gunsten von Sorafenib war auch der Unterschied bzgl. der Zeit bis zum Progress, der durch unabhängige Reviewer bestimmt wurde (Sorafenib: 24 Wochen, Placebo: 12,3 Wochen, HR: 0,58; p = 0.00007).
Die progressionsfreie Rate nach 4 Monaten betrug in der Sorafenib-Gruppe 62 % und unter Placebo 42 %. Eine Subgruppen- Analyse der Studiendaten zeigte die Überlegenheit unter allen Aspekten, die sich bei den Eingangsuntersuchungen ergeben hatten. Auch in dieser Studie wurde das Prüfpräparat gut vertragen, die Nebenwirkungen (Diarrhoe, Hautreaktionen) wurden akzeptiert. Sorafenib hat sich somit als erstes Medikament erwiesen, durch welches das mittlere Überleben von Patienten mit HCC statistisch signifikant verlängert wird. Die Unterlagen wurden den Behörden zugestellt, so dass mit einer baldigen Zulassung auch für die Indikation HCC gerechnet werden kann. Bei weiteren Tumorarten mit nachgewiesenen Signalwegsdefekten – z.B. das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom – werden klinische Prüfungen durchgeführt.
Es ist denkbar, das als Indikation für die Klasse der Multikinase-Inhibitoren zukünftig die gestörte Signal- Regulierung und nicht mehr eine spezifische Tumorentität angegeben wird. Damit würde die „Targeted Therapie“ in der Onkologie eine neue Richtung einnehmen, die eine individualisierte Krebsbehandlung ermöglichen könnte. Ein derartiger Paradigmenwechsel wird bei gleichzeitiger Verbesserung der prädiktiven molekularen Diagnostik dann zu höheren Erfolgsraten führen.