IT & Kommunikation

Butterfly-Effekt: Interdisziplinäre Forschung bewertet Innovationen

20.08.2012 -

Jetzt sind die Weichen fürs Krankenhaus von morgen zu stellen - und das trotz oft dünner Informationsbasis. Lohnt sich eine Optimierung wirklich? Um das beantworten zu können, entwickeln Fraunhofer-Wissenschaftler das „transparente Krankenhaus".

Ein gutes Beispiel, an dem sich nachvollziehen lässt, wie viele Facetten bei der Einführung einer Innovation zu berücksichtigen sind, ist die Speisenversorgung im Krankenhaus. Gilt doch aus subjektiver Patientensicht qualitativ hochwertiges und abwechslungsreiches Essen als DAS Aushängeschild eines Hauses. Der Patient ist schließlich direkt in der Lage, die Qualität der Speisenversorgung zu bewerten, während sich dies bei z. B. der medizinischen Versorgung als weitaus schwieriger erweist.

Diese Erwartungshaltung bzgl. der Speisenversorgung stellt hohe Ansprüche an die internen (und externen) Prozesse und die räumlichen Gegebenheiten eines Hauses. Ein genauerer Blick auf die Vielfalt der möglichen Ausgestaltung der Speisenversorgung lässt planende Verantwortliche jedoch schnell den Überblick verlieren: Sollen Speisen durch die eigene Krankenhausküche zubereitet werden oder wird die Versorgung komplett zu einem externen Dienstleister „outgesourced"? Falls ja, wer übernimmt die Aufbereitung der Speisen dieses „Cook&Chill"-Verfahrens? Soll dezentral auf den Stationen aufbereitet werden? Schnell müssen Aspekte wie die Delegation pflegefremder Tätigkeiten an das Servicepersonal neben logistischen Fragestellungen mit in die Analyse zur Suche nach der „optimalen" Speisenversorgung einbezogen werden. Der Projektverantwortliche ist auf einmal nicht nur mit der Optimierung der Speisenversorgung beschäftigt, sondern kann durch getroffene Entscheidungen auch Einfluss auf Aspekte wie Personalzufriedenheit oder Ausgestaltung von Stellenprofilen nehmen.

Ein weiterer Aspekt, der bei einem Thema wie der Speisenversorgung ebenfalls schnell vergessen wird, ist der Energieverbrauch - und das mit möglicherweise schweren Folgen: Denn wird erst bei Umstellung der Prozesse bemerkt, dass die Energiekosten in schwindelerregende Höhe getrieben werden, weil zur Mittagszeit auf 20 Stationen gleichzeitig die „Mikrowellen" eingeschaltet sind und sich der Energieversorger diese „Lastspitzen" teuer bezahlen lässt, ist es meist zu spät.

„Multiperspektivische" Modelle lösen komplexe Probleme

Doch wie sieht bei diesem Beispiel die „optimale" Lösung aus, und wie können möglichst alle relevanten Aspekte mit in die Beurteilung einfließen? Um diesem komplexen Problem der Analyse einen „multiperspektivischen" Charakter zu geben, haben sich die vier Fraunhofer-Institute des Ruhrgebiets mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Ausrichtungen zusammengeschlossen und ihre Kompetenzen gebündelt: Hat jedes Institut bisher nur aus der jeweils eigenen fachlichen Perspektive auf „das Krankenhaus" geschaut, so soll im Projekt „Hospital Engineering" eine gemeinsame Betrachtung in den Fokus gerückt werden, die die wissenschaftlichen Disziplinen der Informatik, Mikroelektronik, Logistik, Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik gleichermaßen berücksichtigt.

Dabei steht für die Fraunhofer-Wissenschaftler nicht die Schaffung neuartiger, innovativer Erfindungen im Vordergrund, da diese für Krankenhäuser erst in Jahrzehnten marktgängig zur Verfügung stehen würden. Im Gegenteil, die Industrie verfügt bereits über zahlreiche Innovationen für „das Krankenhaus der Zukunft" - nur scheuen sich Häuser davor, diese Innovationen einzuführen, da das damit verbundene (wirtschaftliche) Risiko und die Abhängigkeiten im Haus zu anderen Bereichen - wie am Beispiel der Speisenversorgung erläutert - aufgrund der Komplexität oft nicht zu überblicken sind.

Es besteht Bedarf nach mehr „Transparenz" im Krankenhaus: also einerseits nach Methoden, mit denen die relevanten Bereiche eines Krankenhauses aus den verschiedenen Betrachtungswinkeln analysiert werden können, und zum anderen sog. „multiper­spektivische Modelle", mit deren Hilfe alle identifizierten Zusammenhänge abgebildet werden können. Für die Speisenversorgung heißt das, Modelle zu entwickeln, die nicht nur formale Informationen dar­über enthalten, wer bei der Essenszubereitung, -verteilung und -disposition welche Tätigkeit ausführt, sondern auch, welche Energiebedarfe, Waren- und Informationsflüsse dabei eine Rolle spielen und welche ökonomischen Größen und qualitativen Aspekte relevant sind. Mit den aus „multiperspektivischen Modellen" ermittelten Zusammenhängen können anschließend die Entscheider im Krankenhaus „errechnen", welche Lösung anhand gegebener Rahmenbedingungen für das eigene Haus „optimal" ist.

Informationstransparenz

Ein weiteres im Projekt verfolgtes Ziel ist das Schaffen von „Informationstransparenz". Hierbei werden Methoden und Modelle entwickelt, die analysieren, welche Informationen welche Personen in welcher Situation benötigen. Denn oft stehen Informationen u. a. deshalb nicht bereit, weil aus Zeitgründen keine adäquate Dokumentation erfolgt. In anderen Fällen werden diese Daten festgehalten, allerdings nicht in der Form und Güte, wie der weitere Informationsverwender sie benötigt. Aufbauend auf dieser Analyse werden die Modelle so weiterentwickelt, dass ermittelt werden kann, wie viel Information in einer Situation wirklich notwendig und dementsprechend auch „wertvoll" ist.

Ganz dem Streben nach mehr Transparenz folgend, kann mit diesen Modellen leicht berechnet werden, ob und, falls ja, wann sich z. B. die Entwicklung einer IT-Schnittstelle zum genutzten KIS-System überhaupt lohnt. Am Beispiel der Speisenversorgung heißt das, dass beurteilt werden kann, ob die Vernetzung des Küchensystems mit einem vielleicht bereits vorhandenen System zur Arzneimittelverordnung (sog. CPOE - Computerized Physician Order Entry) und KIS-System aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist - denn so könnten Informationen zur Unverträglichkeit zwischen Speisen und Arzneimitteln bereits im Vorfeld erkannt werden und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) reduziert werden. Dies hätte nicht nur positiven Einfluss auf die Patientensicherheit und -zufriedenheit, sondern zusätzlich auch auf die Qualität der medizinischen Versorgung.

Bei der Einführung von Innovationen und den damit einhergehenden Investitionen sind zahlreiche, sich teilweise beeinflussende Faktoren zu betrachten. Krankenhausentscheider verlieren dabei schnell den Blick fürs Wesentliche mit der Folge, entweder einem Innovationsstopp zu unterliegen und den Anschluss an die Konkurrenz zu verlieren oder aufgrund einer unklaren Informationsbasis Fehlentscheidungen zu treffen. Die Entwicklungen im Projekt „Hospital Engineering" bringen durch die transparente Darstellung von Wechselwirkungen mehr „Licht ins Dunkel". Der ganzheitliche Blick hilft, negative oder unerwartete Auswirkungen frühzeitig zu erkennen, sodass sich die Gefahr, dass vorab hochgelobte Innovationen nach ihrer Einführung als „Wolf im Schafspelz" entpuppen, wesentlich verringert.

 

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