Martin-Luther-Krankenhaus: Laborleitertreffen Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern 2006
01.10.2012 -
Martin-Luther-Krankenhaus: Laborleitertreffen Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern 2006. Das diesjährige Laborleitertreffen Brandenburg, Berlin, Mecklenburg- Vorpommern fand am 16./17. Juni 2006 traditionell wieder in den Veranstaltungsräumen des Courtyard Marriot Hotels in Teltow statt.
Die wissenschaftliche Leitung und Organisation der Veranstaltung wurde, wie schon in den Vorjahren, von Dr. K. Fritz, Güstrow, Dr. J. Muche, Cottbus, sowie Dr. K.-G. Heinze, Berlin, übernommen, wobei die Landes Ärztekammer Brandenburg den Besuch der Veranstaltung mit neun Fortbildungspunkten honorierte. Dr. Muche eröffnete im Namen der Veranstalter die Veranstaltung und übernahm die Moderation während des ersten Tages, der sich dem Hauptthema „Intoxikationen, Drogen, deren Analytik und ihr illegaler Vertrieb“ widmete. Dr. C. Vidal, Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung für Klinische Chemie, wies in seinem Vortrag „Labormedizinische Untersuchungen zur Erkennung von Intoxikationen“ auf die oft vergessene Tatsache hin, dass vielfach einfache laboratoriumsmedizinische Untersuchungen ohne toxikologische Spezialanalytik bei der Erkennung von Vergiftungen hilfreich sein können. Während die toxikologische Spezialanalytik vielfach spezifische „Beweisstücke“ liefert, versetzen einen klinisch-chemische Basisuntersuchungen in die Lage, eine Verdachtsdiagnose zu formulieren, differentialdiagnostisch vorzugehen, die Prognose des Patienten aufzuzeigen sowie eine gezielte Therapie einzuleiten und deren Kontrolle durchzuführen.
Die Anionenlücke, die osmotische Lücke, die Aktivität der Cholinesterase, die CO- sowie die Meth-Hämoglobin-Bestimmung und die Thromboplastinzeit („Quickwert“) wurden als Messgrößen mit den entsprechenden Beispielen vorgestellt. Immer wieder schlug Vidal die Brücke zwischen der Basis- und der Spezialanalytik; so ist beispielsweise bei Intoxikationen mit Coumarinderivaten der Abfall des Quickwerts noch vor der klinisch manifesten Blutung feststellbar, die Spezialanalytik ist aber indiziert, um die Art und vermutliche Schwere/Dauer der Intoxikation abschätzen zu können, was durch die unterschiedliche Halbwertszeiten der oft in suizidaler Absicht eingenommenen Präparate (therapeutische Coumarinderivate mit Stunden vs. „Superwarfarine“ mit extrem langen, mehrtägigen Halbwertszeiten) therapeutische Relevanz erhalten kann. Prof. Dr. F. Pragst, Institut für Rechtsmedizin der Charité, Berlin, gab einen spannenden Einblick in die modernen Möglichkeiten der toxikologischen Analyse, wobei sein Vortrag „Methoden der toxikologischen Analyse“ komplementär zu dem seines Vorredners eher die speziellen analytischen Verfahren zur Analytik vorstellte.
Generell soll in möglichst kurzer Zeit aus einer nahezu unüberschaubaren Vielfalt möglicher Substanzen (Drogen, Arzneimittel, Haushaltschemikalien, anorganische sowie pflanzliche und tierische Gifte), die in gänzlich unterschiedlichen Konzentrationsbereichen per se, als Metabolite oder im Gemisch wirksam sein können, in unterschiedlichen Materialien diejenigen identifiziert werden, welche als Ursache einer Intoxikation in Frage kommen. Ungeachtet der technischen Möglichkeiten muss auf enge Kommunikation mit dem einsendenden Arzt geachtet werden, da durch ihn entscheidende Hinweise auf die vorliegende Intoxikation (Zeitangaben, klinisches Bild, evtl. Reste der Substanzen, Mediaktion etc.) erhalten werden können und er auch in der Postanalytik der Ansprechpartner für die Ergebnisübermittlung und -interpretation sein wird. Werden keine gerichteten Analysen abgefordert, geht man davon aus, mit möglichst wenigen Methoden und vertretbarem Zeitaufwand möglichst viele toxikologisch relevante Substanzen zu erfassen („general unknown analysis“). Hierbei werden grundsätzlich vier Hauptrichtungen beschritten: 1. Gruppen- und Einzelteste (Immunoassays auf Betäubungsmittel, Drogen sowie Cyanid, CO-Hb, Ethylenglycol u.a.); 2. Prüfung auf Alkohol und andere flüchtige Gifte (headspace-Gaschromatographie (GC) oder headspace-GC-Massenspektrometrie (MS)); 3. Prüfung auf schwerflüchtige organische Gifte mittels Hochleistungs-Flüssigchromatographie/ Photoarraydetektor, GC-MS oder Flüssigchromatographie-MS; 4. Prüfung auf metallische Gifte mit Atomabsortionsspektro skopie oder induktiv gekoppelte Plasma-Atom- Emmissionsspektro skopie.
Besonders eindrucksvoll war die Aussage des Referenten, dass im Regelfall mit einem derartig angelegten Analysenspektrum im Notfall, jederzeit, „rund-um-die-Uhr“, innerhalb weniger Stunden mit klinisch verwertbaren Resultaten zu rechnen ist, was durch die rasante Entwicklung der Techniken zur Probenvorbereitung, Chromatographie, Spektrometrie sowie der entsprechenden computergestützten Auswerteprogramme weiter beschleunigt werden wird. Ungeachtet der technischen Fortschritte kann aber die kritische Kontrolle und Interpretation durch sachkundige Analytiker nicht durch Automation und minderqualifiziertes Personal ersetzt werden. W.-H. Bork, Landeskriminalamt Berlin, LKA KT 41 – Betäubungsmittel/ Toxikologie, spannte nun den Bogen von der rein analytischen Tätigkeit zum kriminellen „Einfallsreichtum“ der synthetischen Chemie: „Neues über synthetischen Drogen“. Neben einer kurzen Charakterisierung der chemischen Grundstrukturen stellte Bork ihre Eingruppierung im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes (von Anlage 1 als rein illegale Drogen, weder verschreibungs- noch verkehrsfähig, über Anlage 2 zur Anlage 3 als verkehrs- und verschreibungsfähige Substanzen), die gängigen Trivialnamen, ihre Verbreitung und die aktuelle Relevanz vor. Auch bei der Verbreitung dieser Stoffe sind dem Einfallsreichtum kaum Grenzen gesetzt und reichen von offensichtlich illegalem Vertrieb in der „Szene“ über offizielle Kanäle des Versandhandels, bei denen derartige Substanzen als Pilzkulturen, „Duftkissen“ o.ä. (mit dem Hinweis, dass sie beispielsweise nicht geöffnet oder verzehrt werden dürfen – was natürlich genau der Fall sein wird) vertrieben werden.
Auf einiges Unverständnis stieß im Publikum der Umstand, dass sämtliche Substanzen, die nicht definitiv im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt sind, prinzipiell erst einmal erlaubt sind (auch wenn nur eine geringste Modifikation einer an sich bereits verbotenen Substanz vorgenommen wurde), was der Modifikationslust entsprechender Kreise leider Vorschub leistet: „Was es explizit noch nicht im Betäubungsmittelgesetz gibt, ist erst einmal auch nicht verboten“. Dr. D. Waldmüller, Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt Berlin, knüpfte direkt an den Vortrag von Bork an, beschränkte sich hierbei aber nicht auf synthetische Drogen: „Zur Situation des Einschleusens von Drogen“. Vielmehr gab sie einen Überblick bzgl. der quantitativ größten Funde des Zolls, der hierbei auftretenden Drogen und vor allem aber die höchst einfallsreichen Methoden des Schmuggels, welche vom altbekannten „Körperschmuggel“ (beispielsweise in kleinen Päckchen verpacktes und geschlucktes Rauschmittel) bis hin zu als Plastiken modellierten Kokain/ Gipsgemischen, welche nicht das Behältnis sondern die zu schmuggelnde Substanz selbst darstellen. Während die „Südamerikaroute“ oftmals für Kokain mit Flug über Afrika bzw. als „Touristenroute“ dem Zoll bekannt ist, kommt Heroin heute zu ca. 90 % aus Afghanistan als Opiumlieferant (über die alte „Balkanroute“ bzw. die aktuellere „Seidenroute“) und hat das „goldene Dreieck“ (Laos, Burma, Thailand) in dieser Funktion abgelöst. Die synthetischen Drogen stammen zum großen Teil aus den benachbarten Niederlanden, Polen aber auch aus den Laboren Deutschlands selbst.
Auch beim Marihuana und Cannabis hat sich das Bild verändert: Der europäische Raum wird mehr und mehr zum „Selbstversorger“, da dort Cannabis-Pflanzen gezüchtet werden, die einen extrem hohen Anteil an THC aufweisen und oft mehr Gehalt in ihren Pflanzenteilen als das „Konzentrat“ Cannabis der „klassischen“ Ursprungsländer besitzen. Andererseits setzen aber auch der Zoll- und Strafverfolgungsbehörden modernste Technologie zum Aufspüren der Drogen ein: Ganzkörperscan-Systeme wie „Entryscan“ auf einigen Flughäfen der USA erlauben das umgehende Screening der Passagiere und der „Itemizer“ (auch in Deutschland eingesetzt) führt in Sekundenschnelle eine Vortestung von Wischabstrichen des Gepäcks durch. Die neue Technik der Ionenmobilitätsspektrometrie erlaubt hierbei oftmals den simultanen Drogen- sowie Sprengstoffnachweis. Grundsätzlich fordert die erhöhte transkontinentale Mobilität leistungsstarke, schnelle und – im Gegensatz zu Spürhunden – nicht rasch ermüdende Methoden im täglichen Einsatz gegen den Drogenschmuggel, was aber immer durch die Erfahrung und den stets wachen Spürsinn der hierbei tätigen Personen ergänzt werden muss. Beim gemeinsamen Abendessen fand der Tag seinen gemütlichen Ausklang und so manche Diskussion vieler Laborexperten rankte sich vermutlich auch um fachfremde Dinge.