Bruchlandung mit Bauchzentrum: Kostendruck in der Viszeralmedizin
25.07.2014 -
Bruchlandung mit Bauchzentrum: Kostendruck in der Viszeralmedizin. Die Idee einer interdisziplinären organbezogenen Medizin ist nicht neu. Bereits vor über 20 Jahren etablierte H. Pichlmayer in Hannover Schwerpunktstationen zu kolorektalen oder hepato-biliären oder endokrinen Erkrankungen.
Seine Motivation war eine Fokussierung der Klinikschwerpunkte, um national und international zu den Besten zu gehören.
In der Zwischenzeit entwickelten sich weitere Zentrentypen:
• Ressourcenorientiert: Zentral-OP, Radiologie
• Krankheits-, Problemorientiert: Tumorzentrum, Mutter/Kind-Zentrum
• Servicezentren: Herzzentrum
• Departments: Zentrum für operative Medizin
Allen Typen gemeinsam ist der Versuch, eine Optimierung der Klinikabläufe mit einer Kostenersparnis über eine bessere Koordination zu erreichen.
Bauchzentrum als Marketinginstrument
In Deutschland ist derzeit ein ganz anderer Trend zu erkennen. Krankenhäuser aller Versorgungsstufen übertreffen sich in ihren Bemühungen, Viszeral- oder Bauchzentren einzurichten. Dabei geht es nur noch vordergründig um eine höhere Versorgungsqualität.
Die heutige Finanznot zwingt die Krankenhäuser vorwiegend aus Marketinggründen ihren Weg zwischen traditioneller Fächerstruktur und attraktiven Zentren zu finden.
In manchen Großstädten in Nordrhein-Westfalen gibt es inzwischen mehr Bauchzentren als Fast-Food-Restaurants.
Mittlerweile suchen regelmäßig auch Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in ihren Stellenangeboten Gastroenterologen und Viszeralchirurgen zum Aufbau eines Viszeralzentrums.
Krankheitsbilder
Betrachtet man die bedeutenden viszeralmedizinischen Krankheitsbilder (z.B. Gallenwegs- und Pankreaserkrankungen) brauchen diese Einheiten eine gewisse Größe (= Patientenzahl) um ihre Vorteile zum Wohle des Patienten auszuspielen.
Interdisziplinäre Behandlung von Gallenwegserkrankungen beinhaltet eine rasche prä- oder postoperative endoskopische Gallengangsanierung bei Patienten mit Cholecysto-/ Choledocholithiasis.
Ebenso sollte nach einer Gallengangsverletzung im Rahmen der laparoskopischen Cholecystektomie eine rasche endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERCP) mit prothetischer Versorgung vorgenommen werden können, um eine Relaparotomie zu vermeiden.
Sinngemäß gilt das auch für die chronische Pankreatitis. Auch hier sind umfangreiche chirurgische und endoskopische Erfahrungen nötig, um eine optimale, möglichst organerhaltende Therapie einleiten zu können.
Es liegt auf der Hand, dass Kliniken mit einem Volumen von 50–100 ERCP Untersuchungen pro Jahr (1–2 Untersuchungen pro Woche) keine weitreichende Erfahrung z.B. in der endoskopischen Behandlung der Pankreatikolithiasis oder von infizierten Pseudozysten sammeln können.
Diese Expertise ist aber essentiell, um dem Patienten unnötige Schmerzen und überflüssige Behandlungsphasen zu ersparen.
Fallzahl und Ergebnisqualität
Die Bedeutung einer hohen Fallzahl für bessere Behandlungsergebnisse bei definierten Erkrankungen wurde in der Vergangenheit mehrfach nachgewiesen und ist heute unbestritten.
Dies gilt auch für resezierende Eingriffe an der Speiseröhre. Das präoperative Tumorstaging verlangt eine technisch hochwertige Diagnostik einschließlich Endosonographie zur Festlegung des optimalen therapeutischen Vorgehens.
Hier sollten dann in einem Viszeralzentrum die Optionen zur endoskopischen Mukosektomie, neoadjuvanten Therapie und Ösophagektomie in gleich guter Qualität vorgehalten werden, um die Entscheidung nicht von der Expertise einer einzelnen Disziplin abhängig zu machen.
Dies wird dauerhaft nur in sog. High-Volume-Zentren möglich sein, die auch für den Therapieerfolg entscheidende Bedeutung haben.
Der Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität mündet in der Diskussion über eine Mindestmengenregelung, die allerdings wegen der linearen Korrelation von Fallzahl und Ergebnisqualität nicht einfach ist.
Trotzdem werden in naher Zukunft komplexe Operationen von den Krankenkassen nur noch in Zentren mit hoher Fallzahl und niedrigen Komplikationen bezahlt werden.
Dabei wird diese Mindestmengenregelung keinen wesentlichen Einfluss auf die Versorgungsstrukturen haben. Im Rheinland konnte vor wenigen Jahren eine interessante Untersuchung zu Ösophaguseingriffen an 88 Kliniken durchgeführt werden, von denen 40 Ösophagusoperationen durchführten.
Würde man diese Eingriffe auf die sechs Zentren mit mehr als 10 Eingriffen pro Jahr konzentrieren, müssten die Patienten durchschnittlich 25 km zu diesem Zentrum fahren, die maximale Entfernung würde ca. 100 km betragen.
Das ist für einen elektiven Hochrisikoeingriff zumutbar.
Zukunft der Viszeralzentren
Der weitere Ausbau von Viszeralzentren ist sinnvoll. Damit kann die Patientenversorgung und somit das individuelle Behandlungsergebnis optimiert werden.
Mit der frühzeitigen Einbringung von Patienten in definierte Behandlungsabläufe werden Liegezeiten verkürzt, Doppeluntersuchungen vermieden und die Kommunikation verbessert.
Wenn Kliniken diese Leistung in hoher Qualität so effektiv wie möglich und in hoher Fallzahl erbringen, sollte unter DRG-Abrechnungsbedingungen auch die Erlössituation optimiert werden können – belastbare Zahlen hierzu gibt es aber bisher nicht!
Der aktuelle Trend mit gleich mehreren Zentren in einer Stadt (zum Teil auch in Häusern der Regelversorgung) muss jedoch mit Sorge betrachtet werden. Nur wenn die zentralen Krankheitsbilder der Viszeralmedizin in ausreichender Zahl an einem Standort behandelt werden können, wird sich der organisatorische, technische und personelle Aufwand für ein Viszeralzentrum langfristig auch finanziell lohnen.
Wenn die Fachgesellschaften oder der Gesetzgeber nicht rasch lenkend eingreifen, wird sich der Erfolg einer solchen Zentrumsbildung nur (schmerzlich) über die Marktentwicklung regeln lassen.
ann kann ein als Marketinginstrument gedachtes Bauchzentrum schnell mit einer Bauchlandung für die Beteiligten enden.
Kontakte:
Prof. Dr. Henning E. Adamek
Klinikum Leverkusen gGmbH
Medizinische Klinik 2
D-Leverkusen
Tel.: 0214/132676
adamek@klinikum-lev.de
www.klinikum-lev.de
Prof. Dr. Karl-Heinz Vestweber
Klinikum Leverkusen gGmbH
Klinik für Allgemeinchirurgie
D-Leverkusen
Tel.: 0214/1321-01
allgemeinchirurgie@klinikum-lev.de
www.klinikum-lev.de