Therapieinnovationen: Von der Idee zum Routineeinsatz
25.07.2014 -
Therapieinnovationen: Von der Idee zum Routineeinsatz. Wer sich als Arzt langjährig mit Grundlagenforschung und klinischer Forschung beschäftigt hat, traut dieser Tage kaum seinen Augen und Ohren.
Es vergeht keine Woche, in der nicht in den Schlüsseljournalen der Wissenschaft wie „Nature“ oder „Science“ und in den nachgeordneten medizinischen Anwendungsdisziplinen über neue, grundlegende Erkenntnisse zu Mechanismen und daraus abgeleitete Therapieinnovationen, sei es in Form medizintechnischer Produkte oder pharmazeutischer Präparate, berichtet wird.
Demgegenüber bewegt sich die Medizin auf der Versorgungsebene unter dem Diktat finanzieller Restriktionen exakt in die gegengesetzte Richtung.
Ein krasser Gegensatz, der verdeutlicht, dass die Schere zwischen versorgungsmedizinisch Umsetzbarem und wissenschaftlich Möglichem, ja Wünschbarem immer weiter auseinander geht.
Die Unhaltbarkeit dieses Zustands und seine fundamentalen Auswirkungen auf die akademisch-wissenschaftliche Struktur, aber auch die versorgungsmedizinische Ausgestaltung unseres Lebensalltags rechtfertigen tiefgreifendere Gedanken.
Die akademische Idee vom unabhängigen Erkenntnisgewinn hat in der Medizin ihre Ausformulierung in einem iterativen Prozess der Verfahrens- und Produktentwicklung gefunden, dessen ethische Grundlage das Streben nach Linderung bzw. Vermeidung von Leiden ist.
Unbestrittenes Handlungsprinzip ist dabei das Motto „Das Bessere ist der Feind des Guten“.
Der über diese Prinzipien erreichte medizinische Fortschritt hat dabei neben einer drastisch verlängerten Lebenserwartung verbunden mit deutlich verbesserter Lebensqualität allerdings auch dazu geführt, dass die Ressourcen, die eine Volkswirtschaft solidarisch für die Finanzierung ihrer Gesundheitssysteme zur Verfügung stellen kann, begrenzt sind.
Hieraus ergeben sich vielfältige, ethische, ökonomische, philosophische und nicht zuletzt politische Probleme, von deren Lösung wir selbst ansatzweise weit entfernt sind.
Allerdings verdeutlicht der skizzierte Problembogen auch, wie dringend die intellektuelle Kraft gebraucht wird, um bereits in einer frühen Phase des medizinischen, ökonomischen und politischen Prozesses zu entscheiden, welche Idee die Weiterentwicklung bis hin zum versorgungsmedizinischen Routinealltag rechtfertigt und welche als Scheininnovation den langen und investitionsaufwändigen Prozess nicht rechtfertigt.
Kreativität ist aber auch gefordert, wenn es darum geht, Möglichkeiten zu sehen und zu entwickeln, wissenschaftlich Mögliches versorgungsmedizinisch machbar zu machen – eine gemeinsame Aufgabe für Wissenschaftler, Mediziner und Gesundheitsökonomen.
Dabei ist zu hoffen, dass alle beteiligten Interessengruppen die Selbstdisziplin aufbringen, den Primat der Erkenntnistheorie auch unter den demographischen wie finanziellen Restriktionen zu akzeptieren.
Wissenschaft muss zeigen können was möglich ist, die Gesellschaft muss den normativen Rahmen für die Umsetzung des wissenschaftlich Möglichen setzen, Wirtschaft und Politik müssen Wege weisen bzw. auf Konflikte hinweisen.
In dieser Arbeitsteilung kann unabhängige Wissenschaft ihre Stärke als Innovationsmotor am besten zeigen.
Davon profitieren alle – an erster Stelle aber unsere Patienten.
Prof. Dr. Diethelm Tschöpe