Labor & Diagnostik

„Endotheliale Dysfunktion“

21.08.2014 -

„Endotheliale Dysfunktion“. Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems mit den klinischen Endpunkten Herzinfarkt, Schlaganfall und akuter Verschluß der Extremitätenarterien stellen weiterhin den Großteil der Todesursachen in der westlichen, industrialisierten Welt, aber auch zunehmend in den Entwicklungsländern dar.
Der Trend ist ungebrochen, verlagert sich aber zunehmend auf Populationen mit einer besonderen Risikofaktorenkomorbidität, wie z.B. Diabetes mellitus, Hypertonie, Dyslipoproteinämie, viszerale Adipositas oder allgemeiner, metabolisches Syndrom.
Dabei hat sich insofern ein Paradigmenwechsel eingestellt, als diese Risikofaktoren in der Vergangenheit häufig erst Beachtung in der sog. sekundären Prävention, also erst nach dem Eintritt eines ischämischen Gefäßereignisses gefunden hatten.
Die fortschreitende Kenntnis um die Pathophysiologie der Arteriosklerose hat uns dabei eine wesentliche Einsicht beschert:
Die klinische Relevanz des arteriellen Gefäßschadens beginnt nicht erst im Stadium der höhergradigen Gefäßeinengung mit relevanter Beeinträchtigung des Flusszeitvolumens, sondern bereits in frühen, funktionellen Stadien, in denen der arterielle Blutfluss quantitativ noch ungestört ist, aber seine adaptive Regulation durch die gefäßinnenseitige Endothelzellschicht hochgradig gestört ist: „Endotheliale Dysfunktion“.
Ein morphologisch intaktes, aber funktionell geschädigtes Endothel verliert seine physiologische Athrombogenität, begünstigt die Adhäsion proatherogener Zellen und verliert seine physiologische Vasotonusregulation.
Diese drei Störungsebenen lassen zwanglos verstehen, wie die oben genannten Risikofaktoren zu klinisch gefährlichen, arteriosklerotischen Endorganschäden führen.
Zwischenzeitlich wurde die prognostische Bedeutung der endothelialen Dysfunktion für ischämisch vaskuläre Ereignisse und ihre Morbidität/Mortalität zweifelsfrei nachgewiesen, was der therapeutischen Interventionspflicht bezüglich der genannten Risikofaktoren eine neue primärpräventive Bedeutung verleiht.
Mindestens aber muss gefordert werden, bei Vorliegen solcher Hochrisikobedingungen auch nach Kriterien des arteriosklerotischen Endorganschadens in frühen Stadien, d.h. der endothelialen Dysfunktion zu fahnden.
Dabei wird man häufig, wenn nicht immer fündig, was neben der individuellen Behandlungsnotwendigkeit große gesundheitsökonomische Konsequenzen hat.
Umso wichtiger wird es, zuverlässige, einfache und kostengünstige Verfahren in der Klinik zur Verfügung zu stellen, die eine Charakterisierung dieser frühen Arteriosklerosestadien ermöglichen.
Mit der Messung des peripheren Dopplerverschlussdrucks, der Intima-Media- Dicke sowie der Bestimmung endothelspezifischer Moleküle im Blutplasma stehen vergleichsweise einfache Messinstrumente zur Verfügung.
Besondere Bedeutung hat dabei die Ausscheidung auch kleinster Albuminmengen über die Niere erfahren, die neben der Indikatorfunktion für ein defektes, glumeroläres Filter im Rahmen der diabetischen Nephropathie heute als allgemeiner endothelialer Schädigungsmarker mit starker prognostischer Aussagekraft hinsichtlich der Mortalität von Patienten betrachtet wird.
Selbstverständlich kann die Patientendiagnostik nach Symptomatik und klinischem Bild über die aufwendigen, nichtinvasiven Imagingverfahren mit nuklearmedizinischen, computertomographischen oder magnetresonanztomographischen Verfahren bis hin zur invasiven Kontrastmitteldarstellung der Gefäße mit Katheterverfahren eskaliert werden.
Angenehmerweise stehen dabei heute auch im Falle pathologischer Befunde geeignete pharmazeutische, ggf. interventionelle Strategien zur Verfügung, um je nach Ausmaß des arteriosklerotischen Befalls die Entwicklung akut ischämischer Ereignisse zu verhindern bzw. den gesamtarteriosklerotischen Status zu stabilisieren, respektive reversibel zu gestalten.
Nur selten besteht eine so synergistische Situation zwischen Diagnostik und Therapie zum Wohle unserer Patienten.
Ich plädiere dafür, diese Option konsequent mindestens bei denen zu nutzen, die von der frühen, aggressiven Entwicklung arteriosklerotischer Organschäden besonders betroffen sind: den Diabetikern.

Prof. Dr. Diethelm Tschöpe

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