Medizin & Technik

Nervengewebe bei Darmoperationen schonen

22.07.2015 -

Mehr als die Hälfte der Patienten leidet nach einer Darm-OP an den Folgen von irreparablen Nervenverletzungen.

Wissenschaftler haben ein Assistenzsystem entwickelt, das die Operateure während des Eingriffs im kleinen Becken vor Verletzungsrisiken warnt. Derzeit arbeiten die Experten an einer Lösung für die minimalinvasive Chirurgie.

Darmoperationen zählen nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in Deutschland. Dabei kommt es oft zu Komplikationen: Über die Hälfte der Patienten hat nach einem Eingriff im kleinen Becken mit Inkontinenz oder sexuellen Funktionsstörungen zu kämpfen, weil Nervengewebe verletzt wurde. Die Nerven, welche Blasen-, Darmausgangs-und Geschlechtsfunktionen steuern, liegen wie ein hauchdünnes Netz um den Darm herum. „Dieses Nervengeflecht lässt sich von seiner Farbe und Struktur äußerst schwer von anderem Gewebe und kleineren Blutgefäßen unterscheiden. Aus diesem Grund kommt es oft zu Verletzungen“, erklärt Prof. Klaus-Peter Hoffmann vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in St. Ingbert. Das Tückische: Oftmals kann es der Chirurg während der OP nicht bemerken. Die Probleme machen sich meist erst einige Wochen nach dem Eingriff bemerkbar.

Chirurgen werden gewarnt

Wissenschaftler des IBMT entwickelten im, von ihnen koordinierten, Projekt IKONA (kurz für: Kontinuierliches intraoperatives Nervenmonitoring als mikrotechnologisches Navigationsinstrument) mit mehreren Partnern ein Assistenzsystem zum interoperativen Neuromonitoring: Hauchdünne, flexible Elektroden werden direkt an Nervenfasern angelegt und diese mit elektrischen Impulsen stimuliert. Die Software des Partners inomed wertet aus, ob das autonome Nervengeflecht durch den chirurgischen Eingriff beeinflusst wird. Kommt der Chirurg einem Nerv zu nahe, bzw. drückt oder dehnt er ihn, beeinflusst dies die Funktionalität des Nervs. Droht Verletzungsgefahr, wird der Arzt optisch und akustisch gewarnt. Das System befindet sich bereits in der klinischen Testphase.

Derzeit arbeiten Hoffmann und sein Team im Nachfolgeprojekt autoPIN (kurz für: Assistenzsystem zur Stimulation autonomer pelviner Nerven zum Intraoperativen Neuromonitoring in der Laparoskopie) mit ihren Partnern daran, ein solches operationsbegleitendes Neuromonitoring auch für minimalinvasive Eingriffe zu ermöglichen. Anders als bei konventionellen Operationen müssen die Elektroden dabei außen am Körper platziert werden. Der Haken an der Sache: Zwischen Elektroden und dem Nervengeflecht befindet sich das Kreuzbein – dieses behindert das elektrische Feld. „Die Herausforderung besteht darin, die Elektroden so zu setzen, dass sie trotzdem das Nervengeflecht stimulieren können“, erläutert Hoffmann. Dazu platzieren die Wissenschaftler der Mainzer Universitätsklinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Körper ein Elektroden-Array, das ein rasterförmiges Feld erzeugt. „Wir sprechen dann die einzelnen Elektroden an. Dadurch identifizieren wir diejenigen, mit denen die Geometrie des elektrischen Feldes so optimiert werden kann, dass eine Neuromodulation – eine spezielle Form der Nervenstimulation – möglich wird“, schildert Hoffmann die Forschungsarbeiten der IBMT-Wissenschaftler. inomed hat einen intelligenten Algorithmus entwickelt, der die Rohsignale aus der Neuromodulation auswertet und so aufbereitet, dass der Arzt auf einen Blick erkennt, ob Verletzungsgefahr besteht. „Unser Ziel ist es, ein qualitätsgesichertes nervenerhaltendes Operieren an den Beckenorganen zu etablieren. Im Zentrum steht dabei die Erhaltung der postoperativen Lebensqualität“, sagt der zuständige Oberarzt im Team, Prof. Dr. Werner Kneist. Das neue Assistenzsystem für minimalinvasive Eingriffe wird derzeit in der präklinischen Phase getestet.
 

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