Labor & Diagnostik

Größte und modernste Hochsicherheitslabor in Berlin

21.09.2015 -

Mitten in Berlin ist das größte und modernste Hochsicherheitslabor Deutschlands entstanden.

Nach rund 15-jähriger Planungs- und Bauzeit wurde das Speziallabor der höchsten Sicherheitsstufe S4 in diesem Jahr eröffnet. Baukosten in Höhe von ca. 107 Mio. € stehen dem Forschungsauftrag an hochpathogenen Erregern zur Erkennung und Behandlung von hochansteckenden Infektionskrankheiten sowie dem Schutz vor bioterroristischen Agenzien gegenüber. Im Gespräch mit Prof. Gunter Henn, der mit seinem Büro HENN den Zuschlag für den Bau erhielt und für Architektur sowie Generalplanung verantwortlich zeichnete.

M&K: Herr Prof. Henn, Ihr international tätiges Architekturbüro hat seit vielen Jahrzehnten eine Expertise im Bau von Forschungseinrichtungen. Ihre Projektteams entwickeln zu jeder Bauaufgabe zunächst eine Prozess- und Organisationsstruktur, die ganz im Zeichen der Kommunikation steht. Wie sieht diese für das Hochsicherheitslabor aus?

Prof. Gunter Henn: In einem Forschungslabor und wie in diesem Fall in einem S4-Labor, müssen die Arbeitsprozesse genau studiert werden. Ein reibungsloser und vor allem sicherer Prozess der Tätigkeiten ist unabdingbar. Allerdings ist der Prozess oder besser sind die Prozesse so komplex, dass es nicht mehr nur ein einziges Ablaufschema gibt.

Hier müssen zunächst die unterschiedlichsten Anforderungen, Störungen, Einflüsse und Veränderungen betrachtet werden – unter der Prämisse, dass alle wahrscheinlichen Abläufe technisch möglich sind.

Erkenntnisse und Bewertungen dieser Abläufe entstehen aber erst aufgrund von Kommunikation zwischen Mitarbeitern. Somit wird die Kommunikation zum neuen Leitprozess. Das ist der schwierigere Teil, denn Kommunikationsmuster entstehen immer nur in der aktuellen Kommunikation. Sie sind zeitlich und räumlich vorher und nachher nicht existent – im Gegensatz zu technischen Prozessen, die an Leitungen, Geräten und Einrichtungen stets sichtbar bleiben. Kommunikation ist unsicher – oder wie Luhmann sagte: unwahrscheinlich. Es ist Aufgabe der Architektur, Kommunikation wahrscheinlicher zu machen.

Da stellt sich die Frage nach der Methodik des Organisierens solch komplexer Aufgaben. Sie haben eine einerseits höchst demokratische, andererseits doch ungewöhnlich hierarchisierende, zielführende Methode entwickelt, das „Programming“. Was ist darunter zu verstehen?

Prof. Gunter Henn: Jeder Entwurf eines Gebäudes stellt eine Antwort, eine Lösung dar. Für diesen Lösungsweg kennen wir viele Methoden, die Architekten und Ingenieure anwenden, um ein richtiges nachhaltiges und geeignetes Haus zu entwerfen, zu planen und zu bauen. Wenn ein Gebäude eine Antwort, eine Lösung darstellt, muss man wissen, was die Frage bzw. das Problem ist. Die Bearbeitung des Kontextes ist meistens sehr vernachlässigt. Warum soll das Gebäude gebaut werden?

Für die professionelle Bearbeitung dieser Frage wenden wir einen Prozess, eine Methode an, die diese Fragen umfassend bearbeitet. Das Problem wird auf den gleichen Komplexitätsstand wie die spätere Lösung gebracht, schon jetzt erkennt man die Verbesserungen, Optimierungen und kann diese nachhaltig und „kostenlos“ einbringen. Das Ergebnis dieser Arbeitsphase – wir nennen das die HOAI-Phase Null – sind eine Beschreibung der Ziele, Fakten, Konzepte und Bedarfe. In Form von Diagrammen, Prozessbildern, Qualität, Flächen und Kosten werden die Anforderungen exakt beschrieben.

Die anschließenden Entwurfsschritte werden dann nicht nur vergleichend untereinander, sondern bezogen auf die festgelegten Anforderungen bewertet. Wichtig für das Funktionieren dieser Methoden ist zum einen, dass die Ergebnisse im offenen Dialog mit den Nutzern, Bauherren und Experten gemeinsam erarbeitet und zum anderen in einer Ästhetik realisiert werden, die das gleiche Wahrnehmungsniveau wie beim Entwurf eines Grundrisses oder einer Fassade erreicht.

Ihr Motto lautet „form follows the communication flow“. Tritt bei diesem Ansatz „function“ in den Hintergrund?

Prof. Gunter Henn: Die Welt konnte bisher hauptsächlich in Funktionen aufgeteilt werden, die durch eine geeignete Organisation verbunden wurden. Die Welt war vorhersehbarer und damit planbar. Heute ist die Welt aufgrund der gesteigerten Komplexität weniger vorhersehbar und daher nicht mehr planbar. Anstelle der Organisationen tritt die Kommunikation.

Das letzte Element einer Arbeit ist nicht mehr ein Stück Arbeit, sondern die Kommunikation über die erfolgte Arbeit. Die Kommunikation verbindet die Arbeitsschritte, nicht mehr die Organisation. Dies ist mit dem Motto „form follows the communication flow“ gemeint. Natürlich bleiben unterscheidbare Funktionen erhalten, sie werden nur anders verknüpft, nämlich durch Kommunikation!

Der Bauköper wirkt von außen streng, im Innenraum hingegen deutlich offener, die Mitte ist geschlossen. Haben Sie von Beginn an eine Gestaltvorstellung, die sich auch im Farb- und Materialkonzept widerspiegelt?

Prof. Gunter Henn: Das Herzstück der Gebäudeanlage ist das S4-Labor. Es ist der wichtigste und wertvollste Gebäudeteil. Es ist das „Center of Gravity“ und bildet so das Zentrum des Gebäudes.

Alle Abläufe in dem Gebäude dienen letzten Endes dem S4-Labor und umschließen das Zentrum – auch aus Sicherheitsgründen. Das zeigt sich dann in der klaren und strengen äußeren und in der offen inneren Erscheinung.

Die Fassade des Gebäudes entwickelt sich aus den inneren Funktionen heraus sowie aus den architektonischen Zielsetzungen. Die gestalterische Logik entsteht aus dem Wechselspiel zwischen transparenten, gläsernen Körpern und schweren, massiven Bauteilen. Dabei stellt der rohe Beton des Labortrakts eine Assoziation mit einer massiven Trutzburg her. Die Materialität erweckt Bilder und Emotionen: der Beton steht für Sicherheit und Schutz, die Ziegel für Tradition und Einbindung ins Umfeld.

Sie haben den Anspruch, Komplexität erlebbar zu machen und weisen hierfür explizit Kommunikationszonen aus. Gelingt es über das Raumempfinden, die Beschäftigten zu einem Diskurs über ihre wissenschaftliche Tätigkeit anzuregen?

Prof. Gunter Henn: Kommunikation ist nicht vorhersehbar und auch nicht planbar und vor allem sehr schwer organisierbar. Kommunikation erfolgt über Wahrnehmung: Ich muss sehen, was der andere macht und jeder muss die Kollegen sehen, damit man mit ihnen kommunizieren kann.

Hierfür werden strategisch wichtige Orte bestimmt und dann durch Unterscheidungen, wie Möbel, Licht, Kaffeemaschinen markiert. Wir müssen auf einen Blick erkennen können, ob die Kollegin oder der Kollege im Konzentrations- oder im Kommunikationsmodus ist. Kann ich sie oder ihn ansprechen oder störe ich. Dazu brauche ich unterscheidbare Orte. Vergleichen kann man die funktionale Aufteilung mit dem Klosterbau. Hier gibt es Orte der Konzentration – die Klosterzellen – und es gibt den Ort der Kommunikation – den Kreuzgang. Über Jahrhunderte hat sich an dieser Gliederung nichts geändert!

Hatten Sie eine Grundvision für das Gebäude – was hat den Reiz an einem BSL-4 ausgemacht?

Prof. Gunter Henn: Uns fordern Bauaufgaben, deren Lösung wir am Anfang noch nicht kennen. Dazu entwickelt sich ein hochkonzentrierter Arbeitsprozess aus Dialogen mit vielen Beteiligten, wie Nutzern, Designern, Experten, Behörden – und es entsteht etwas Neues!

Die Arbeit beginnt mit einer Grundvision. Bei diesem Projekt hatten wir das Bild eines harten Kerns für das S4-Labor und einer offenen, transparenten Laborlandschaft. Wie Zwiebelschalen sollten die Labore das S4-Labor umschließen und schützen.

Dieses Konzept prägt die Gebäudearchitektur. Der Mitarbeiter oder der Besucher wird freundlich in einer großen Halle empfangen und nähert sich Schritt für Schritt dem Besonderen, dem S4-Labor in diesem Gebäude. Die architektonische Ordnung bildet so dem Unsicheren – der wissenschaftlichen Arbeit in einem S4-Labor – den notwendigen physischen wie mentalen Schutzraum.

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