Aus den Kliniken

Genschere: Neuer Therapieansatz bei angeborenen Herzfehlern

06.08.2020 -

Wissenschaftler des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen finden erstmals Ansatzpunkt für eine personalisierte Therapie-Option mit der „Genschere“ für das Noonan-Syndrom.

Angeborene Herzerkrankungen sind die häufigsten Organfehlbildungen. Sie kommen bei etwa 1% der Neugeborenen vor. An einer Fehlbildung des Herzens sind eine Vielzahl von Genen beteiligt. Für viele angeborene Herzerkrankungen, wie beispielsweise das Noonan-Syndrom, sind die Zusammenhänge zwischen den genetischen Mutationen und den Herzfehlbildungen noch nicht vollständig erforscht. Die Möglichkeiten für eine Behandlung sind begrenzt. Meist beschränken sie sich auf eine Therapie von Symptomen der Erkrankung.

Wissenschaftler des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) haben erstmals für die angeborene Herzerkrankung Noonan-Syndrom die Zusammenhänge zwischen den zugrundeliegenden Genmutationen und der Entstehung einer Herzmuskelverdickung (Herzhypertrophie) aufklären können. Nach ihren Erkenntnissen sind Veränderungen in einem Gen, dem LZTR1-Gen, die Ursache für die Entstehung der Symptome bei einigen, zuvor ungeklärten klinischen Fällen. Das Gen reguliert wesentliche Signalwege für die Differenzierung und das Wachstum von Zellen. Veränderte Varianten des Gens sind Ansatzpunkt für eine klinisch übertragbare, personalisierte Therapieoption mittels Genschere. Die Ergebnisse wurden in „Circulation“ publiziert.

Interdisziplinär angelegte Forschungen

Die interdisziplinär angelegten Forschungen fanden unter der Projektleitung von Dr. Lukas Cyganek, Leiter der Stem Cell Unit der UMG, und Prof. Dr. Bernd Wollnik, Direktor des Instituts für Humangenetik der UMG, statt. Beteiligt waren u.a. die Klinik für Kardiologie und Pneumologie (Direktor: Prof. Dr. Gerd Hasenfuß), die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Kardiologie, Intensivmedizin und Pneumologie (Direktor: Prof. Dr. Thomas Paul) und das Institut für Pharmakologie und Toxikologie (Direktor: Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann) der UMG.

Das Noonan-Syndrom ist eine Erbkrankheit, die mit Entwicklungsstörungen einhergeht. Zu den typischen Symptomen gehören Wachstumsverzögerung und Kleinwuchs, Gesichtsfehlbildungen und schwerwiegende Herzfehler. Die genetischen Veränderungen, die der Krankheit zugrunde liegen, bewirken eine Überaktivierung des RAS-MAP-Kinase-Signalwegs. Dieser Signalweg ist an vielen biologischen Prozessen beteiligt, z.B. an der Zelldifferenzierung und dem Zellwachstum.

Forschungsergebnisse im Detail

Die Forschungsgruppe um Dr. Cyganek und Prof. Dr. Wollnik konnte bei zwei betroffenen Brüdern mit schweren Ausprägungen der Herzmuskelverdickung die Mutation im LZTR1-Gen (leucine zipper like transcription regulator 1) als Ursache identifzieren. Hierfür wurden Hautzellen der Brüder in der Zellkulturschale zu induzierten, pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) umgewandelt und diese dann zu Herzmuskelzellen programmiert. Anhand der so gewonnenen Herzmuskelzellen ließen sich die molekularen und funktionellen Besonderheiten der Erkrankung genauer untersuchen. Für die Überaktivierung des RAS-MAP-Kinase-Signalwegs, die pathologische Vergrößerung der Zellen sowie die Veränderungen in der Erregungs-Kontraktions-Kopplung des Herzens konnte die Ursache erklärt und eine molekulare Signatur der Erkrankung erstellt werden.

„Die Entschlüsselung der ursächlichen LZTR1-Varianten in beiden Patienten mittels modernster Sequenziertechnologien und Varianten-Interpretation durch unser einzigartiges MutationMining(MM)-Team war die Voraussetzung, um eine Genkorrektur für wissenschaftliche Analysen überhaupt in Erwägung ziehen zu können“, sagt Prof. Dr. Bernd Wollnik. Darüber hinaus stellten die Göttinger Forscher fest, dass die bisherige medikamentöse Therapie (Calcium-Kanal-Blocker oder Inhibition des RAS-MAP-Kinase-Signalwegs) nur bedingt gegen die Symptome in den Herzmuskelzellen hilft.

Auf eine Genkorrektur mithilfe von CRISPR/Cas9, der „Genschere“ reagierten die im Labor nachgebauten, patientenspezifischen iPS-Zellen beider Kinder sofort: die Signalwegs-Aktivität normalisierte sich, die Verdickung der Herzmuskeln ging zurück. „Die Verwendung der iPS-Zell-Technologie hat es uns ermöglicht, künstliche Herzmuskelzellen der Patienten in der Kulturschale herzustellen. Sie sind der Schlüssel, um auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene Therapieoptionen mittels CRISPR/Cas9-Genschere auszutesten“, sagt Dr. Lukas Cyganek. Ob der Therapie-Ansatz mit der Genschere auch in der Klinik an Patienten einsetzbar sein könnte, wird nun weiter erforscht.

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