Gesundheitsökonomie

Arzneimittel – verloren auf dem Weg zum Patienten

15.12.2020 - Die kleinen „Helferchen“ in der Not, wenn es wieder einmal zieht, zwick, sticht und schmerzt. Es gibt sie als Pillen, Kapseln, Dragees usw. Und wem es gefällt, gleich noch in grün, blau, rot, gelb oder dem Klassiker in weiß.

Die Rede ist von den Tabletten, die fast in unzähligen Kombinationen von Wirkstoff, Form und Farbe vom Produzenten hergestellt, über die Logistik geliefert, vom Pflegepersonal abgegeben, zum wartenden Patienten gelangen. Wenn sie denn dort überhaupt in dessen Magen auch ankommen!

Schmerz lass nach

Wer schon einmal Kopf-, Zahn-, Regel- oder Rückenschmerzen hatte, weiß genau, wie froh man ist, wenn da die eingenommenen Mittelchen schnellstmöglich helfen. Schmerzen sind an sich ja ein praktisches und überlebenswichtiges Signal, um uns zu zeigen, dass etwas nicht stimmt in unserem Körper. Und hier gilt es dann genauer hinzuschauen und das richtige Rezept zu schreiben bzw. im Krankenhaus dafür zu sorgen, dass dem Patienten die passende Substanz zur Linderung seiner Schmerzen zeitnah verabreicht werden kann. Je
stärker die Schmerzen auf der Skala von 1-10, desto stärker fällt die Dosis aus. Dabei kann auf verschiedene Formen der Verabreichung zurückgegriffen werden. Egal ob Infusion, Zäpfchen oder Tabletten, Hauptsache sie helfen schnell und sorgen beim Patienten für einen möglichst schmerzfreien Klinikaufenthalt. Daher ist es absolut nachvollziehbar, dass immer genügend Arzneimittel im Lager, in der Apotheke und auf der Station vorhanden sein müssen. Und dies gilt nicht nur für den MANV/P (Massenanfall von Verletzten oder Patienten), nein, dies bezieht sich vor allem auf den beruflichen Alltag jedes Krankenhauses, Pflegeheims oder Klinikums.

Überblick behalten und Verantwortung tragen

Egal, ob die Arzneimittel bei einem Pharmakonzern hergestellt oder in der spitaleigenen Apotheke zusammengemischt werden, die Medikamente müssen zur rechten Zeit am richtigen Ort in der passenden Form und Menge vorhanden sein.

Daher ist nicht nur die zu behaltende Übersicht des eigenen Lagerbestands vor Ort so wichtig, sondern auch das Bestellwesen und der Transport sind essenzielle Elemente einer funktionierenden Versorgungskette. Wenn mit einem Kanban-System die Bereitstellung der nötigen Medikamente zeitgerecht gewährleistet werden kann, ist das eine tolle Sache. Doch nicht nur die Bereitstellung ist eine zu beachtende Komponente. Es gibt auch einzuhaltende Vorschriften, was den Umgang mit den unterschiedlichsten Kategorien von Arzneimitteln angeht. Nicht alles ist und darf so einfach zugänglich sein, die Hand wechseln und über den Tisch gehen. Von rezeptfreien Dragees bis zu Präparaten, die dem Betäubungsmittel-Gesetz unterstellten sind, ist alles vorhanden und muss gesondert hergestellt, verpackt, gelagert, geliefert, deponiert, verabreicht und protokolliert werden.

Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe ist vor allem, nicht die Übersicht über den gesamten Weg vom Wareneingang in der Logistik bis hin zur Verabreichung beim Patienten zu verlieren. Hierfür sind die verschiedensten Abteilungen und Bereiche zuständig. Doch wer trägt die Verantwortung bei einem Fehler? Was ist, wenn Arzneimittel auf dem Weg einfach verschwinden oder missbräuchlich verwendet werden?

Fehlerpotential und Schadenstoleranz müssen klar sein

Die Versorgungskette ist einfach betrachtet einen Prozess, der den Weg des zu liefernden Produkts von A nach D über B und C sicherstellen soll. Hier können bereits verschiedene Ungereimtheiten auftreten, die unter Umständen zuerst einmal gar nicht bemerkt werden. Die Arzneimittel kommen in nicht korrekter Art und Weise beim Wareneingang des Krankenhauses an, werden ungenau vom Logistik-Assistenten erfasst, vom Springer oder der Aushilfskraft der Versorgungsabteilung an eine andere Station geliefert, vom Personal falsch protokolliert, vom Patienten nicht eingenommen und von der Stationsleitung ungenügend kontrolliert. Um hier nur ein paar Beispiele zu nennen.

Doch was für den einen oder anderen nicht so tragisch klingt, bei einer riesigen Menge an Medikamenten die täglich benötigt werden, kann schlussendlich einen großen, ernstzunehmenden Schaden anrichten. Es ist dabei nicht nur der finanzielle Aspekt der Organisation zu betrachten, sondern auch der physische, psychische und existenzielle eines betroffenen Menschen.

Schaden unter Medikamenteneinfluss

In Deutschland wird mit einer Zahl von ca. 1,5 Mio. Arzneimittelsüchtigen ausgegangen. Nimmt man dies in Bezug zu den 81 Mio. Einwohnern, kommt ein Prozentwert von 1.85 dabei heraus. Somit kann davon ausgegangen werden, dass in einer Gesundheitseinrichtung mit 100 Angestellten, 1.85 Personen ein Problem mit Arzneimitteln haben. Diese Zahl bezieht sich hierbei nur auf das eigene Personal, kann jedoch noch mit dem Beziehungsnetz der Angestellten außerhalb des Arbeitsplatzes erweitert werden. Der Medikamentenmissbrauch gefährdet in einem Krankenhaus nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die der Patienten und Dritter, die sich in diesem Umfeld bewegen.

Das Durchführen von Operationen, die medizinisch-pflegerische Intervention bei Patienten, das Bedienen von medizin-/technischen Geräten, das Führen von Fahrzeugen oder fahrzeugähnlichen Geräten, alles unter (starkem) Medikamenteneinfluss kann verheerende Folgen haben. Und wenn man dann etwas Auffälliges bei seinem Arbeitskollegen beobachtet hat, heißt das noch lange nicht, dass es auch bei der entsprechenden Stelle gemeldet wird. Die Sorgfalts- und Fürsorgepflicht aller Beteiligten und das gegenseitige Vertrauen können hier massiv unter Druck geraten.

Auffälligkeiten und schwindende Zahlen

Zuerst einmal könnte man denken, dass ein gewisser Arzneimittelschwund in Krankenhäusern, Kliniken, Spitälern usw. ganz normal ist und auf eine Fehlerquote des administrativen Aufwands zurückzuführen wäre. Jedoch sollten für eine solche Annahme zuerst einmal die relevanten Zahlen über die letzten Jahre im eigenen Unternehmen verglichen werden können, was im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus nicht immer so einfach der Fall sein wird.

Der Schwund von rezeptfreien Medikamenten aufgrund von Eigenbedarf wird nicht überall erfasst. Die Aufbewahrung von Präparaten, die dem Betäubungsmittelgesetz oder einer entsprechenden Verordnung unterstehen, kann gerne einmal über die Jahre vernachlässigt werden. Und die Kontrolle der Versorgungskette ist nicht immer klar geregelt. Man will sich ja das Arbeiten nicht unnötig kompliziert machen und sich selbst behindern. Doch wer hat denn überhaupt Zugang zu solchen Arzneimitteln? Zuerst denkt man an wahrscheinlich an Logistiker, Apotheker, Pflegepersonal, Ärztegedacht. Danach erkennt man, dass auch Dritte vor Ort irgendwie Zugang zu den verschiedensten Standorten der Übergabe, Depot- und Aufbewahrungsplätze haben, wie z.B. Reinigungskräfte, Haustechniker, externe Handwerker und Patienten, Besucher usw.

Bewusstsein für Prävention und passende Reaktion

Wird trotz Vorkehrungen eine Ungereimtheit festgestellt, muss sofort gehandelt und der einbezogene Kreis von Mitwissern vorerst klein gehalten werden. Wichtige Personen aus den betroffenen Bereichen müssen sich zusammensetzen und das weitere Vorgehen absprechen, was bereits verantwortungsbewusst und präventiv in einem Ablaufprozess vordefiniert sein sollte. Leitende Funktionen aus den direktbetroffenen, verantwortlichen Bereichen unter anderem der Pflege, der zuständigen Apotheke (Arznei- und Betäubungsmittel-Beauftragte), des Personaldienstes (HR), der Rechtsabteilung und der Sicherheitsabteilung, müssen nun rasch für eine koordinierte Aufarbeitung der nötigen Zahlen, Daten, Fakten und passenden Sofortmaßnahmen sorgen.

Wenn der Schaden bereits ein entsprechendes Ausmaß angenommen hat, ist mit den zuständigen Behörden zwingend Kontakt aufzunehmen, auch wenn man Bedenken bzgl. der eigenen Verantwortlichkeiten und Haftung haben mag. Aus einem zuerst augenscheinlichen, persönlichen Missbrauch von Arzneimitteln, kann unter Umständen ein gewerbsmäßiges Vorgehen und Verkaufen von Betäubungsmitteln im erweiterten Umkreis resultieren. Dies gilt es zwingend mit zulässigen Maßnahmen zu unterbinden.

Bei einem größeren Fall und der Kenntnisnahme der Medien, kommen schnell unangenehme Kommentare und Fragen auf die Verantwortlichen zu. Deshalb gilt auch hier: Die „Zusammenarbeit“ ist mehr als die Summe seiner Einzelteilchen, was das Bewusstsein, die Prävention und Reaktion betreffen!

Autor: Anton Dörig, Braunau, Schweiz

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